: Sozialhilfe mit Preußentugend
■ Personalrat: Probleme wachsen, Mittel schrumpfen / Soziale Dienste bekommen „letzte“ Chance
„Alles unter einem Dach“ - das ist nicht nur Werbestrategie einiger Innenstadt-Kaufhäuser, sondern seit zwei Jahren auch oberstes Motto aller Bremer Sozialarbeit. Ein „Jahrhundertwerk“ nannte Sozialsenator Henning Scherf seinerzeit die „Neuorganisation der Sozialen Dienste“ (NOSD) in Bremen. Am 1. April 1987 wurden die traditionellen Sozialbehörden in Bremen aufge
löst und stattdessen vier regionale Zentren für soziale Dienstleistungen gegründet. „Zielgruppenorientierung, Bedarfsgerechtigkeit und Stadtteilbezug“ lauteten die neuen sozialarbeiterischen Zauberworte. Inzwischen ist das „Jahrhundertwerk“ NOSD in die Jahre und damit in den Alltag gekommen. Was ist dabei von den großen Zielen übriggeblieben?
„Die Richtung stimmt“, schei
nen sich Sozialsenator, Amtsleitung der NOSD und die Personalräte der rund 3.000 NOSD-MitarbeiterInnen ausnahmsweise im Prinzip einig. Umstritten, das zeigt eine gemeinsame Zwischenbilanz von Senator und Personalrat nach zwei Jahren Bremer NOSD, ist nach wie vor der Weg. „Sparen und verbesserte Sozialarbeit passen nicht zusammen“, ist Rainer Müller überzeugt. Müller ist Personalrat im Amt für Soziale Dienste Bremen-Süd, einem der vier Regionalzentren: „Die Anforderungen an uns wachsen ständig, während die Personalausstattung sich eher verschlechtert.“ Und: Solange Mitarbeiter ständig über Überlastung klagen, ohne daß bei Senat und Behördenleitung Initiativen folgen, dürfen die sich nicht wundern, wenn ihre guten Ideen eher auf Lustlosigkeit bei den Mitarbeitern stoßen. „Alle guten Konzepte sind für den Papierkorb geschrieben, solange die Kollegen nicht bei der Planung und Umsetzung mit einbezogen werden.“ Beispiel des Personalrats für die dauernden Personalengpässe: Um die „Zielgruppe Ältere Menschen“ kümmern sich in jeder Region gerade vier MitarbeiterInnen. Macht insgesamt 16 SozialarbeiterInnen für die Probleme von rund 120.000 BremerInnen.
Verstärkung für die Sozialarbeit vor Ort soll jetzt eine Neuorganisation der neuorganisierten Sozialen Dienste bringen, auf die sich Sozialsenator, die Leitung des Amts für Soziale Dienste und die Personalräte nach 14-tägigen Verhandlungen geeinigt haben. Kernstück von „NOSD II“: Das bisherige Zentralamt wird ersatzlos aufgelöst. (vgl. taz. vom 18.7.) Möglichst viele seiner 238 Mitarbeiter vertauschen den grünen Tisch der Planungsarbeit mit
„klientenorientierter“ Arbeit vor Ort. Statt der bisherigen Zentralleitung bilden die Regionalzentren eine neue, kollektive Amtsleitung. Bei allen übergreifenden Problemen verhandelt sie in Zukunft direkt, ohne den Umweg eines „NOSD -Zentralamts“, mit Scherfs senatarischer Behörde.
238 MitarbeiterInnen: Der personelle Schub für die NOSD -Regionen hört sich größer an, als er ist: Nur für rund jede(n) 10. wird sich tatsächlich die Arbeit verändern. Die Mehrheit - z.B. alle, die bislang ausrechneten, wieviel Sozialhilfe einem Antragsteller zusteht - werden weiter tun, was sie schon immer getan haben. Für sie ändern sich allenfalls Telefonanschluß und Personalkennziffer im Geschäftsverteilungsplan.
Die übrigen 25, bislang „zentralen“ NOSD-Mitarbeiter bringen auch den Personalrat in eine heikle Situation: Traditionell zuständig „für die Besitzstandswahrung ihrer WählerInnen“, müssen die Personalräte ihnen jetzt vorsichtig den Wechsel in die Region schmackhaft machen, davon überzeugen, daß sie Verantwortung abgeben und Teamarbeit lernen müssen. Müller: „Wir müssen aus preußischen Beamten engagierte Sozialarbeiter machen.“ Wie schwierig das werden könnte, zeigt der gereizte Konter von Müllers Personalratskollegin Annemarie Schröder, zuständig für Interssenvertretung der Zentral-Mitarbeiter: „Bei uns gibt es keine preußischen Beamten.“ Kommentar von Scherf -Stellvertreter Hans-Christoph Hoppensack: „Ja, leider. Ich wünschte mir manchmal mehr preußische Beamte. Vielleicht ließe sich dann das Verwaltungs-Chaos in Bremens Behörden in den Griff bekommen.“
K.S.
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