: Sam Fullers „Straße ohne Wiederkehr“
■ Melodramatische Action als film noir
Daß man oft zusammenzucken muß bei diesem Film, der mit einem Schlag ins Gesicht beginnt, ist wohl ganz im Sinne Sam Fullers, des „grand old man of B - movies“. Aber wirklich schockierend sind nicht die Action-und Gewaltszenen, nicht das bißchen Busen und Schamhaar von Valentina Vargas, nicht die Verwandlung des attraktiven Hollywoodstars Keith Carradine vom erfolgreichen Schlagersänger in einen saufenden dreckigen Penner, und nicht einmal die Einstellung, in der gut zu sehen ist, wie dem Oberbösewicht die Eier weggeschoßen werden.
Nein - da wo Fuller uns schockieren will, kann der erfahrene Kinogänger nur abwinken - das sind die Kinotricks, die in den den alten Thrillern noch ihren antiquierten Charme haben, aber in neuen Filmen nur abgestanden wirken. Zusammenzucken muß man hier alle zehn Minuten, weil einem ein Detail, eine vor Klischees tropfende Dialogstelle, oder ein verunglückter Regieeinfall wieder klarmacht, daß man einen schlechten Film ansieht.
Dabei war es eine gute Idee der französischen Produzenten, den 78jährigen Fuller über 35 Jahre nach seinem Klassiker „Pickup at South Street“ wieder einen film noir drehen zu lassen. Zudem nach einem Roman von David Goodis, der in Frankreich zum Kultautoren wurde und nach dessen Vorlagen u.a. Francois Truffaut den großartigen „Schießen sie auf den Pianisten“ und Jean-Jacques Beineix den mißlungenen „Der Mond in der Gosse“ drehten.
Und ein Film der schwarzen Serie von Fuller ist auf jeden Fall eine spannende Angelegenheit, denn anders als die ästhetischen Franzosen, deren Beiträge zu diesem Genre immer kunstvoller und vergeistigter wurden, ist Fuller der große „Primitive“ des amerikanischen Films geblieben, der sein Credo in Godards „Pierrot Le Fou“ verkündete:“ Film ist wie ein Schlachtfeld: Liebe. Aktion. Hass. Gewalt. Mit einem Wort: Gefühle.“ Diese Schlacht hat er aber leider verloren. An die Gefühle der Zuschauer kommt er zu selten heran, und das ist fatal, gerade bei einer Geschichte von Goodis, der immer in Action verpackte Melodramen geschrieben hat - in dessen Welt es nur zwei Arten von Menschen gab: „die Verwundeten und die Erschlagenen“ (ein Kritiker).
Der Held des Films ist solch ein Verwundeter, ein einst als Popstar gefeierter Penner, der für seine große Liebe alles verlor - nach einem Schnitt durch die Kehle auch seine Stimme. Sein haarsträubendes Abenteuer inmitten von Rassenunruhen, Polizistenmord und Grundstücksspekulation wird von Fuller wie eine Achterbahnfahrt präsentiert: So hat er eigentlich immer Filme gemacht, aber diesmal klappt es nicht mehr. Was schockieren soll, wirkt lächerlich, besonders durch den Versuch, die Geschichte aus den fünfziger Jahren ins Heute zu übertragen.
Hier zeigt sich gnadenlos, daß Fuller ein alter Mann geworden ist: Wenn Keith Carradine im lächerlichen Kostüm einen Popsong singt, oder wir uns ein ganzes Popvideo ansehen müssen, daß von dem 78jährigen inszeniert wurde, dann wünscht man sich fast einen Produzenten, der eingreift, oder ein Studio, daß einfach einen anderen Techniker diese Szenen drehen ließe. Fuller war immer im Clinch mit den Studios in Hollywood, sein vorletzter Film „White Dog“ wurde von Paramount gar nicht erst in die US Kinos gebracht, aber „Street of no Return“ wäre unter dem dort herrschenden Druck sicher ein besserer Film geworden. Wilfried Hippe
Schauburg 23.00 Uhr
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