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Die Kalbshaxe bleibt eine „chemische Keule“

Die Grünen und ein Tierarzt erheben schwere Vorwürfe: Der Hormonskandal in NRW geht munter weiter / Nachfolgepräparate ersetzen die bekannten Mittel und können bisher nicht nachgewiesen werden / Jeder zweite Tierarzt macht angeblich mit  ■  Aus Düsseldorf J. Nitschmann

Ein Jahr nach der Aufdeckung des Kälbermast-Skandals in Nordrhein-Westfalen hat die „Hormon-Mafia“ nach den Erkenntnissen der NRW-Grünen „Nachfolgepräparate“ für die einschlägig bekannten illegalen Masthilfsmittel entwickelt, deren Substanzen von den Behörden bislang nicht nachgewiesen werden können.

Der Wittgensteiner Tierarzt Rolf Clemen sagte am Donnerstag auf einer Pressekonferenz der NRW-Grünen, ihm lägen „konkrete Hinweise“ vor, daß „die Kalbshaxe immer noch zu chemischen Keule wird“. So sei beispielsweise für den bei den Kalbsmästern als „Hustensaft“ bekannten Wachstumsförderer „Clenbuterol“ ein Nachfolgepräparat auf den Schwarzmarkt gekommen, mit dem die Veterinäre und Lebensmittelkontrolleure ausgetrickst würden, weil seine Substanzen bislang in den Tierkörpern nicht nachgewiesen werden könnten.

Nach der Einschätzung von Clemen können die Kälbermäster überhaupt nicht ohne illegale Masthilfsmittel arbeiten, „weil sonst der Markt völlig zusammenbrechen würde“. Die Erlöse auf dem Fleischmarkt seien derzeit immer noch so niedrig, daß ein Kalb bei einer normalen Aufzucht zwei Mark unter dem Produktionspreis“ abgegeben werden müßte. Deshalb könnten die Großmäster überhaupt nur Profite erwirtschaften, wenn sie mit illegalen Praktiken arbeiteten.

Dabei würden die Kälbermäster häufig auch von Tierärzten unterstützt. „Jeder zweite Tierarzt macht da Unredlichkeiten in kleinerem oder größerem Rahmen“, sagte Clemen. Auch nach der Aufdeckung des Kälbermastskandals in Nordrhein-Westfalen gebe es immer noch die sogenannten „Autobahntierärzte“, die Überdosen von zugelassenen Medikamenten vertrieben, die von den Mästern gezielt als Wachstumsförderer eingesetzt wurden. Zugleich kritisierte Tierarzt Clemen die Zusammensetzung des industriell produzierten Kälberfutters, das nur zu 35 Prozent aus Trockenmilch und im übrigen aus Abfallprodukten insbesondere der Margarine-Industrie gesetzlich zulässigen Chemikalien bestehe. „Was da passiert ist ein volkswirtschaftlicher Unfug, der über die Milchpulverproduktion auch noch staatlich subventioniert wird“, erklärte Clemen.

Der Landesvorstandsprecher der NRW-Grünen, Siegfried Martsch, warf dem Düsseldorfer Landwirtschaftsminister Klaus Matthiesen (SPD) und den zuständigen Behörden vor, keinerlei Konsequenzen aus dem Kälbermastskandal vor einem Jahr gezogen zu haben: „Wir haben einen Kälbermastskandal ohne Ende.“ Die „tierquälerische Haltungsbedingungen“ seien unverändert geblieben. Auch heute noch versuchten „die Kälberbarone mit brutalen Verhaltensweisen höchste Profitraten aus den Kälbern und aus den Lohnmästern herauszuholen“, sagte Martsch. Zudem seien Großmäster, gegen die verschiedene Strafermittlungsverfahren liefen, weiterhin uneingeschränkt aktiv.

Der Sprecher des Düsseldorfer Landwirtschaftsministeriums, Thomas König, sagte gegenüber der taz, in seinem Haus gebe es „keinerlei Hinweise“ dafür, daß in der Kälbermast weiterhin mit illegalen Methoden und Präparaten gearbeitet werden. Er fordert die Grünen auf, „Roß und Reiter zu nennen“. Erst dann könnten die Behörden solchen Hinweisen ernsthaft nachgehen.

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