MIT BLOSSEN HÄNDEN...

■ Neues vom Kaninchenkiller

„Zuerst wollte ich das nicht begreifen, ich dachte, das ist ein makabrer Gag.“ (Udo Lindenberg, 'Jack‘)

„Kaninchen-Killer - Staatsanwaltschaft stellt die Ermittlungen ein“ ('MoPo‘). Ich glaubte an eine Ente oder an die Phantasie, die einem armen freien 'MoPo'-Mitarbeiter gekommen wäre, vielleicht, als er einen Erinnerungsabend mit ehemaligen Kifferfreunden gefeiert und sich über Lebens- und sonstigen Ekel unterhalten hatte - ungewohnt und ziemlich derbe - holla! - hätte „das Zeug“ gewirkt, und da wäre ihm eben der verfaulte Kaninchenbraten aus Polanskis „Ekel“ eingefallen und die Killergeschichte noch dazu, und er wäre am nächsten Morgen damit in die 'MoPo'-Redaktion getigert. Unter Peitschenhieben (so stellt man sich die 'MoPo‘ in der taz vor) hätte er Wahrscheinlichkeitsindikatoren und politische Brisanz einbauen müssen - „Schneller, Schubert, schneller!!“ -, und davon hätte er wieder ein paar Tage Frau und Kinder durchbringen können. Nix da, alles wahr.

Es gibt ihn, den „Kaninchen-Killer“ - und Nachthemdchenkinder singen seilspringend den alten Reim: „Eins und zwei, Freddy kommt vorbei; drei und vier, verschließe Deine Tür...“ („Nightmare on Elm Street“). Mit aufgelöster Stimme erzählt mir Renate Siebert die Geschichte: Am 20.Februar zwischen 11 und 11.30 Uhr wäre sie mit Frau Dinse und ihrem Hund, einem kleinen Yorkshireterrier, im Tiergarten spazierengegangen und hätte einen Mann beobachtet, der mit bloßen Händen ein Kaninchen erwürgte. Ihrer Freundin hätte sie den Hund gegeben - „der hätte den doch angefallen“ - und den Killer nach seiner Genehmigung gefragt. Der weigerte sich, hätte sie bedroht und gesagt: „Machen Sie, daß Sie weiterkommen, Sie dummen Kühe!“ Wiederholt hätte sie im Tiergarten solche Vorgänge unsachgemäßen Tötens beobachten können - an Eingreifen sei nicht zu denken gewesen, weil auch die umherstehenden Gartenbauarbeiter mit dem Killer unter einer Decke zu stehen schienen. Von Pontius zu Pilatus seien sie gerannt, bis sie endlich jemanden gefunden hatten, der zuständig war: Herrn Albrecht vom Gartenbauamt. Seine Behörde stellt die Genehmigungen für das alljährliche Kaninchenjagen aus. Dieser bestreitet, daß einer seiner Frettiere oder Gartenbauarbeiter etwas mit der Sache zu tun haben könnte. Frau F., eine weitere Zeugin der grausigen Geschehnisse, versicherte jedoch, daß sie diesen „bestimmten Mann“ von früher her kenne und daß er, B.W., Angestellter beim Gartenbauamt sei. Sie wäre zu ihm hingegangen, keiner war da, und nach ein paar Tagen war auch das Schild an seiner Wohnung weg. Zufall? Nach den Vorfällen wurde sie telefonisch belästigt, ihr Auto beschädigt. In einer daraufhin eingerichteten Fangschaltung der Post blieb ausgerechnet B.W. hängen. Der streitet natürlich alles ab. Das „Internationale Antijagdkomitee zum Schutz von Tier und Natur e.V.“ (Turin) erstattete Anzeige. Das Verfahren wurde eingestellt, ohne daß Frau F. auch nur vernommen worden war. Renate Siebert wittert „eine politisch motivierte Entscheidung“. Gegen die Einstellung des Verfahrens hat Frau Kersten vom IAJK Einspruch eingelegt.

Auf den 'MoPo'-Artikel hin wollte Herr Albrecht vom Gartenbauamt „diese unverschämte Frau“, die das initiiert hätte, kennenlernen. Herrn Schubert ('MoPo‘) durfte sie zum Gesprächstermin nicht mitbringen, und alleine wollte sie auch nicht gehen - „das ist mir zu riskant“. Schließlich begleitete sie eine Freundin, und Albrecht erklärte ihnen in einer anderthalbstündigen Unterredung die Notwendigkeit der Kaninchenjagd.

Kaninchen werfen bis zu 30 Junge im Jahr und gelten als Schädlinge. „In diesem Jahr befürchten wir das Allerschlimmste“, sagte mir Herr Scharf vom Gartenbauamt, denn zur Zeit bevölkern etwa 10.000 Kaninchen den Tiergarten und knabbern alles, von Blumen bis zur Eiche an. In Berlin gibt es etwa zwanzig Frettiere, von denen zehn nach „sorgfältiger Prüfung und unter ständiger Kontrolle“ zur Kaninchenjagd zugelassen werden. Frettchen, eine domestizierte Abart des Iltis, vielfach Albinos mit gelblich -weißem Pelz, krauchen in die Kaninchenhöhlen, legen sich dann schlafen oder jagen sie hinaus. Der Frettierer packt sie daraufhin an den Hinterläufen, gibt ihnen einen Schlag hinter die Löffel, und dann merken sie nichts mehr, auch wenn sie vielleicht noch etwas zappeln, aber das wäre wie bei den Hühnern, die ohne Kopf noch ein Stückchen laufen. Die Frettierer nehmen die Kaninchen mit nach Hause, braten sie, frieren sie ein, verkaufen sie dem Schlachter, dem Kürschner - Kaninchenfell gilt als schmerzlindernd - oder verschenken sie an Freunde.

Plinius der Ältere schrieb ausführlich über die Vorliebe römischer Frauen für Kaninchenfleisch. Es diene dazu, einen reinen Teint zu bekommen. Als Fastenspeise dienen die ungeborenen Kaninchenjungen, wie aus einem Erlaß Gregors von Tours zu entnehmen ist.

Viele tierliebende Berliner „bringt das waidgerechte Töten jedoch zur Weißglut“. An die 700 Kaninchen werden zwischen Mitte Oktober und 29.Februar zur Strecke gebracht, zu wenig, aber man müsse damit leben, so Scharf, der die Kaninchenkillerverdächtigungen für übertrieben oder ausgedacht hält.

Herr Berger von der AL hat noch vor der Sommerpause eine Kleine Anfrage betreffs der Notwendigkeit der Kaninchenjagd und der Verdächtigungen unsachgemäßen Tötens gestellt - „uns kommt es so vor, als würden da Freibriefe ausgestellt“ (Kersten) -, und ein Detektiv hat sich bereiterklärt, der Sache privat und unentgeltlich nachzugehen.

Was mag die Motivation des Kaninchenkillers sein? Steckt Frauenhaß dahinter - das Kaninchen ist Fruchtbarkeitssymbol und Hexentier - Sexangst - Sodomiten töten oft das Tier, mit dem sie verkehrten (E. Schorsch, „Zur Psychopathologie der Sexualität“) - hat er sich nur „einen Jux“ machen wollen „aus Spaß an der Freude“ (Frau Kersten)? Das Risiko dieses „Juxes“ ist hoch: „Derjenige, der ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet oder ihm aus Roheit erhebliche Schmerzen zufügt, kann mit einer Strafe von bis zu zwei Jahren belegt werden.“ (Tierschutzgesetz vom 24.7.1972) Den Tiergarten kann man, wenn es so weitergeht, bald in „Tierquälergarten“ umbenennen; ein Hundefeind legte mit E605 vergiftete Würstchen aus, und neuerdings werden dort Igel gegrillt; „in Lehm eingerollt - das ist ja ungeheuerlich in Lehm lebend eingerollt!“ berichten mehrere ZeugInnen.

Detlef Kuhlbrodt