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Reise in den deutschen Urlaub

■ Ob die Berliner Wannsee-Idylle oder das Strandbad von St. Peter Ording: Fett und faul am Strand liegen. Keine Hemmungen mehr. Wir machen Urlaub, woll

Olga O'Groschen REISE IN DEN DEUTSCHEN URLAUB

Ob die Berliner Wannsee-Idylle oder das Strandbad von St.Peter Ording: Fett und faul am Strand liegen. Keine Hemmungen mehr. Wir machen Urlaub, woll.

In den letzten Tagen hatte ich die Kontrolle über mein Privatleben verloren. In meiner Wohnung nisteten etwa sieben Leute, die ich kaum kannte, und fraßen meinen Kühlschrank leer. Im Briefkasten nörgelten unbezahlte Rechnungen. Die taz-Reiseredakteurin haßte mich, weil ich mit dem Artikel über Berliner Badeanstalten nicht rüberkam. Und in den Badeanstalten, die ich seit Wochen auskundschaftete, wurde ich systematisch fertiggemacht. Nein, es war wirklich höchste Zeit abzuhauen, einige Habseligkeiten zu schnüren und den Staub der Großstadt von den Füßen zu schütteln. Wenn ich nicht völlig zusammenbrechen wollte, mußte ich rasch einen Ort der Ruhe und des Friedens finden, um mich innerlich zu sammeln und für neue Taten zu rüsten. Genau, Urlaub nehmen vom Berliner Hochsommer-Irrenhaus-Syndrom. Außerdem hatte ich Geschäfte in Hamburg abzuwickeln.

Am Freitag morgen also klemmte sich Fräulein Klein, meine technische Beraterin, auf den Beifahrersitz. Wir beide hatten seit Tagen nicht mehr geschlafen und waren extrem ruhebedürftig. Den Milchbubi an der innerdeutschen Grenze, der ratlos mit unseren Papieren hantierte, blaffte sie entnervt an: „Herrgott, sehen Sie denn nicht, daß wir es verdammt eilig haben? Wir fahren in Urlaub, Mann!“ Hastig winkte er uns weiter. Sie schob eine Kassette der Butthole Surfers in ihren transportablen Recorder und drückte die Starttaste.

Aber der Ärger begann schon auf der kochend heißen Transitstrecke. Ich mußte unbedingt eine irrwitzige Verabredung für zwölf Uhr in Hamburg einhalten. Der VW-Bus, der aus einem obskuren hannoverschen Familienbesitz stammte, laborierte an einer Art Öl-Durchfall und kam auf eine Höchstgeschwindigkeit von sechzig Stundenkilometern. Höhnisch hupend zogen die Trabbis an unserem keuchenden Gefährt vorbei. Ein Autobahn-Überwachungsteam der Volkspolizei klebte stur an unseren Fersen. Fräulein Klein drehte den Kassettenrecorder auf, um ihre Sorgen mit den Lime Spiders zu betäuben. Gegen zwei Uhr zockelten wir erschöpft durch die Hamburger Innenstadt, die mir seit jeher Angst und Schrecken eingeflößt hat. Zwar ließ sich der Disput mit einem BMW-Fahrer, der sich über unser Einparkverhalten erregte, noch gütlich beilegen, als ich auf meine Karatekenntnisse zu sprechen kam. Doch die Kleidungsfrage machte uns heftig zu schaffen. Für Berliner Verhältnisse waren wir wohl ansprechend angezogen, auch wenn die Klamotten schweißnaß an uns herunterhingen, aber hier in Hamburg flanierten weißgekleidete Otto-Katalog-Fans und zischelten uns angewidert zu. Erleichterung stellte sich ein, als unser häßlicher VW-Bus schließlich vom Berufsverkehr aus Hamburg hinaus in Richtung Pinneberg gespült wurde. * * *

Als wir endlich über den Strand von St.Peter Ording stiefelten, wurde ich von bösen Erinnerungen an die Berliner Wannsee-Idylle heimgesucht. „Erwin, schmier nich so mit die Sonnencreme rum“, keifte eine Krankenschwester ihren Freund mit Polizistenschnauzer an. Kleinkinder wurden von ihrer eifrigen Verwandtschaft ins Wasser geschleppt und so lange untergetaucht, bis sie wie am Spieß brüllten. „Hör auf zu flennen, du Memme, wir alle mußten schwimmen lernen.“ In der schlappen Brandung promenierten Muskelpakete, die das ganze Jahr in ihrem Fitneßstudio für diese Augenblicke geschwitzt hatten. Zehnjährige Jungs schlichen zum FKK-Strand: „Los, komm, wir gehn zum Ekelbereich und glotzen nackte Frauen an“, während ernste Familienoberhäupter wehrhafte Strandburgen für ihre Lieben gruben. Eine Mutter brabbelte auf ihr pizzafressendes Kind ein: „Paß uff, de Wespen, kiek hin, wenn de abbeißt, friß keene Wespe“, worauf das Kind in den Rücken gestochen wurde, prompt loszuquäken begann und natürlich umgehend eine knallende Ohrfeige bekam: „Ha‘ ick doch gesacht, paß uff de Wespen uff, du Dämel!“ Einige Kinder waren damit beschäftigt, tote Quallen zu sammeln und zu einem nahrhaften Abendessen zu verarbeiten.

Wir schritten entspannt durch die Berliner, Pinneberger und Wuppertaler Kolonien, die Brandung spülte Killeralgen an unsere Füße, die Sonne brannte durch das Ozonloch, wir waren angekommen. Minuten später wälzten wir unsere Bäuche im Sand, falteten eine 'Bild'-Zeitung über unsere Köpfe, tranken lauwarme, klebrige Limonade, suchten den Horizont nach Schiffen ab und packten die Mettwurststullen aus. Herrlich. Alles mal raushängen lassen. Fett und faul am Strand liegen. Ohne Rücksicht zu nehmen, keine Hemmungen mehr, wir machen hier Urlaub, woll.

Folgerichtig kehrten wir am Abend beim nächsten Campingplatz ein. In den meisten Wohnwagen liefen schon die Fernseher. Die Duschmarken bescherten uns drei Sekunden lang einen brühenden Wasserschwall und danach pures Eiswasser. Einige Frauen kamen vom späten Abwasch zurück. Die Männer gingen mit einer Zahnbürste bewaffnet zum abendlichen Reinlichkeitsritual. Im Lager herrschte die Atmosphäre brutaler Friedfertigkeit, die jeder Vorort -Reihenhaussiedlung zu eigen ist. Ein falsches Wort, und sie hetzen dir ihre Schäferhunde an den Hals. Und obwohl wir uns rasch wie zu Hause fühlten und uns gern zu den zwanglos plaudernden Urlaubsbekanntschaften gesellt hätten, schaute man uns allgemein mißbilligend an. Wir hatten kein Hauszelt mit Troddel-Bordüren dabei, keinen Wohnwagen mit Wäschegestell, keine Klapptischgarnitur, kein Plastikgeschirr mit Tupperwarendosen, keinen Fernseher, und wir kochten unser Abendessen nicht auf der Gasflamme. Wir waren so eine Art kurzhaarige Chaoten, mit denen man besser nichts zu tun hat. Einfach übersehen. So tun, als hätte man nichts bemerkt. Die Costa-Cordalis-Kassette etwas lauter spielen.

Am nächsten Morgen wurden wir von unserer Nachbarin geweckt, einer älteren Frau im Popeline-Kittel, die sich um neun Uhr früh mit einem elektrischen Rasenmäher über die spärlichen Grashalme ihres Reviers hermachte. Für uns war das voll in Ordnung, da wir seit Monaten in Berlin von einem dröhnenden Bagger aus den Federn geworfen werden, der unsere Straße aufreißt. Doch ein Segeberger Passatfahrer verschluckte sich vor Ärger an seinem Marmeladenbrötchen und brach einen Streit vom Zaun, in den sich kurz darauf das gesamte Lager eingeschaltet hatte. * * *

Den Tag über lungerten wir in der Stadt herum und verhielten uns wie gewöhnliche Touristen. Wir deckten uns mit Nahrungsmitteln für das Wochenende ein, aßen Eis und Pizza, latschten in Gummischluppen, Adidashosen und Fischnetzhemden mit allen anderen Urlaubern über die betonierte Promenade und sahen die Drachen steigen. Am Nachmittag versammelte man sich vor Elektro-Neumann, um die Tennisspiele zu verfolgen, und ich verfiel wieder in einen dieser gräßlichen Alpträume von den Berliner Badeanstalten. Buddhaförmige Familienväter mit krebsroten Sonnenbränden auf ihren Bäuchen saßen im Prinzenbad und am Tegeler See, kaltbibbernde Sandburgbuddelbabies krabbelten herum, kreischende Schwimmflügelkids, Jugendliche mit Sonnenbrillen und Hertha -Kappen, knutschende Liebespaare auf Luftmatrazen. Der Lärm war überwältigend. Quäkende Kleinkinder, trötende Bademeisterdurchsagen, dröhnende Transistorradios und brüllende Ehepaare. Die Sonne knallte runter, der Schweiß floß in Strömen, Rivercoladosen und Schultheissflaschen wurden in der Brandung gekühlt, Hunde ins Wasser geworfen. Zwei Blondinen, deren Bräunungsprozedur gelegentlich von naßglitschigen Fußbällen gestört wurde, gifteten zurück: „Faß dir mal an den Arsch und frag, ob de noch Luft kriegst.“ Draußen auf hoher See dümpelten Schlauchboote, die untergründig von Kämpfern mit Taucherbrillen und Schwimmflossen angegriffen wurden. Von außen vielleicht kein schöner Anblick, aber wenn man mittenmang mitmischt und seine schlechte Laune am nächstbesten Miturlauber ausläßt, dann ist es durchaus befriedigend und wohltuend.

Am Abend fuhren wir zum Strand zurück, wo sich in der einfallenden Dämmerung die nordfriesischen Autofreaks mit ihren aufgemotzten Maschinen trafen, um todesverachtende Rennen auf der riesigen festgefahrenen Sandfläche zu veranstalten. Ein brummender Käfer mit sturzbetrunkener Besatzung schleuderte mit achtzig Stundenkilometern durch die Dunkelheit, ließ das Fernlicht rausploppen und gab Gas in Richtung auf die Windsurfer-Kolonie. Andere Wagen fuhren mit abgeblendeten Scheinwerfern herum, auf dem Dach saßen drei/vier Leute, die Bierflaschen schwenkten und alte Seemannslieder sangen. Hin und wieder rauschten mörderische Enduromaschinen vorbei. Hier war die Welt noch jung und unternehmenslustig; und nachts um drei schreckte ich hoch, fummelte am Anlasser herum und gab Gas, während Fräulein Klein den Kassettenrecorder mit einem dreckigen Heavy-Metal -Lied aufheulen ließ. * * *

Um uns von den nächtlichen Strapazen zu erholen, mußten wir nach Büsum wechseln. Ein Rentnerparadies ohne böse Vibrationen. Mal abgesehen davon, daß man für alles bezahlen muß. Wir hatten jedoch absolut kein Geld mehr dabei und wurden von den dauernden Kaufzwängen und Konsumreizen zunehmend kriminalisiert. Die Strandpromenade war nur an wenigen Stellen zugänglich, an denen prompt Strandwärter ein Eintrittsgeld verlangten. Mit einem flotten Sprint ließ sich viel Ärger vermeiden. Die Büsumer Szenerie war geruhsam. Die älteren Herrschaften saßen ordentlich in ihren Strandkörben, hatten die Schlupfhosen anständig hochgekrempelt und lösten fleißig Kreuzworträtsel. Am Nachmittag wurden die Thermoskannen und Keksdosen hervorgeholt. Wer noch rüstig genug war, spazierte eine Weile durch den Wattmatsch. Das Meer hielt sich im Hintergrund. Die Sonne hielt sich bedeckt. Wir erbeuteten in einem Buchladen sieben Tim und Struppi-Hefte und diverse andere Bücher und zogen uns in ein Cafe zurück, das uns durch die gesalzenen Preise derart deprimierte, daß wir den alten „Muß mal kurz auf Toilette„ -Trick wieder anwenden mußten. Wir wollten kein großes Aufsehen erregen und entkamen der Stadt, als die Urlauber mit deutschen Fahnen den Tennistriumph feierten. Außerdem hatten wir mittlerweile genau jene Teneriffa-Bräune erlangt, die die Berliner vor Neid erblassen läßt.

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