: Kampf um Europaliga-Aufstieg
■ Börsen sind Foren für An- und Verkauf von AGs - auch im Vorlauf zum EG-Binnenmarkt / Welche Chancen hat der Finanzplatz Frankfurt?
Teil 26: Horst Buchholz
Hans Joachim Schwarze, Syndikus der Frankfurter Börse, war Mitte Juni zunächst ziemlich sprachlos. KISS, das Kurs -Informations-Service-System, war ausgefallen. 90 Minuten lang herrschten chaotische Zustände.
Ratlos fragt der Börsianer: „Warum hat der Überspannungsschutz nicht funktioniert?“
Solche Pannen bringen die Finanzjongleure in der Mainmetropole ihrem Ziel, die führende europäische Börse zu werden, zweifellos nicht näher.
Bundesbankchef Pöhl aus Frankfurt will jedenfalls der Finanzwelt seiner Stadt Dampf machen: „Mit dem einheitlichen europäischen Binnenmarkt werden finanzielle Gravitationszentren in Europa entstehen, die wiederum von erheblicher wirtschaftlicher und politischer Bedeutung sein werden. Die Positionen sind keineswegs schon verteilt, es wird keine Erbhöfe geben.“
Diese Kampfansage an die in Europa derzeit führenden Börsenplätze London und Paris hörten die Allfinanzstrategen in der Bundesrepublik besonders gern. Pöhl erhielt uneingeschränktes Lob. Doch um den Rückstand aufzuholen, muß noch kräftig dereguliert und modernisiert werden.
Hauptzielscheibe ist die Börsenumsatzsteuer. Finanzminister Waigel, der sie erst zum 1. Januar 1993 abschaffen will, bekam bereits energische Töne zu hören. „Viel zu spät“, kritisierte nicht nur Pöhl.
Um Anschluß an Tokio, New York, London und Paris zu bekommen, müsse - so fordert der Direktor der Deutschen Bank, Norbert Walter - die Unternehmensbesteuerung gesenkt und die Mindestreservepflicht erleichtert werden. Auch eine Modernisierung der Börsengesetzgebung und -technik ist für den Frankfurter Banker unerläßlich. Moniert wird vor allem der Paragraph 795 BGB, der besagt, daß die Begebung einer Anleihe der staatlichen Genehmigung bedarf, wenn die Schuldverschreibungen im Inland ausgestellt werden. Als eine gravierende Schwachstelle wird darüber hinaus das Fehlen kurzfristiger Titel im Kapitalmarktbereich bezeichnet. In den USA hat der Markt für diese Finanzwechsel („Commercial Paper Market“) bereits ein Gesamtvolumen von über 240 Milliarden Dollar. Auch „Certificats of Deposits“ (fest bzw. variabel verzinsliche Einlagenzertifikate mit Laufzeiten zwischen einem Monat und fünf Jahren) gibt es zum Bedauern der Frankfurter Strategen nicht. Dieses Marktsegment hat sich insbesondere der Finanzplatz Luxemburg einverleibt.
Treibsatz Terminbörse
Einen speziellen Treibsatz bei der Aufholjagd soll die Deutsche Terminbörse (DTB) bilden. Der Startschuß fällt im Januar 1990. Zunächst werden nur Aktienoptionen gehandelt. Da aber die Musik in den Terminkontrakten spielt, werden sie im Mai folgen. Seit Mitte April werden an der Londoner International Financial Futures Exchange (Liffe) sowie an der Pariser Terminbörse Marche a Terme des Instruments Financiers de Paris (Matif) bereits Bundes-Futures bzw. kurzfristige DM-Terminkontrakte gehandelt. In den USA haben die Financial Futures seit ihrer Einführung Anfang der siebziger Jahre einen beispiellosen Aufschwung genommen.
Daß der führende Finanzplatz in der BRD auf jeden Fall Frankfurt heißen wird - daran lassen die Groß-Banker und auch Pöhl keinen Zweifel: „Die deutsche Entwicklung geht eindeutig zur Zentralisierung auf Frankfurt - (...) Frankfurt ist der einzige Platz, der überhaupt eine Chance hat, ernsthaft als internationaler Platz in Frage zu kommen.“ Derzeit sind in der Main-Metropole 396 Kreditinstitute aus aller Welt präsent. Dabei stehen den 149 deutschen inzwischen 247 Auslandsbanken gegenüber. Mitglied der Frankfurter Wertpapierbörse sind 72 deutsche und 50 ausländische Kreditinstitute.
Eine weitergehende Marktaufteilung hat E. Breuer, Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, im Sinn: Während die „Regionalliga“ (Düsseldorf, München, Stuttgart usw.) sich um die Lokalmatadore kümmert, sollen die 200 internationalen Standardwerte in Frankfurt - also der „Bundesliga“ gegeneinander antreten. In der „Europaliga“ schließlich (London, Paris, Frankfurt) werden Regierungstitel und die bedeutendsten europäischen und außer-europäischen Aktien gehandelt.
Ob es denn so kommt, steht vorläufig noch in den Sternen. Auf jeden Fall muß auf dem Weg zur „Bundesligabörse“ erst einmal ein heftiger Streit gelöst werden. Neben den Präsenzbörsen (in denen Makler und Händler der Banken zusammenkommen) werden Aktien und Anleihen in der BRD auch außerbörslich - nämlich als Interbankenhandel - verkauft. Dies ist ein computerunterstützter Handel, bei dem sich die Makler auf ihren Bildschirmen gegenseitig informieren und das Geschäft mündlich über Telefon abschließen. Damit der Frankfurter Terminhandel auch konkurrenzfähig wäre, müßte der Handel von zehn bis 16 Uhr abgewickelt werden. In den Börsensälen wird jedoch gegenwärtig nur während zwei Stunden gehandelt. Eine Ausweitung dieses Handels lehnen die meisten Banken aus personellen- und Kostengründen ab. Statt dessen streben sie unter Führung der Großbanken eine offizielle Anerkennung des außerbörslichen Handels an, auf dem schon jetzt zwei- bis viermal mehr Anleihen umgesetzt werden. Bei Aktien sind die Umsätze gleich hoch.
Gegen diese Bestrebungen laufen die Regionalbörsen Sturm, die durch einen aufgewerteten Interbankenhandel für sich die Felle davon schwimmen sehen.
Umstritten ist auch das computergestützte System „Ibis“ (Inter-Banken-Informationssystem), das den außerbörslichen Handel transparenter und schneller machen soll. (Siehe Rubrik „McCash Flow's Orakel“ vom vergangenen Mittwoch). Nach den Vorstellungen von Breuer wird es auch ein „Instrument für die deutschen Bundesliga-Werte“ sein. Mit „Ibis“ und der DTB sollen auch Teile des ins Ausland abgewanderten DM-Geschäfts zurückgeholt werden.
Gegen „Ibis“ als eine „Privatveranstaltung der Banken“ stellen sich jedoch auch die Versicherungskonzerne, die mit jährlich 50 Milliarden DM in Wertpapieren immerhin zu den Großanlegern gehören.
FDP-Chef und erklärter Feind allzugroßer Bankenmacht Otto Graf Lambsdorff hat die Machtverhältnisse in diesem Streit ganz offen dargelegt: Wie die Dinge heute liegen, können die Börsen keine gleichwertigen Wettbewerbspartner sein, weil sie von den Banken abhängig seien. „Der Wettbewerb wird also nicht am Markt, sondern vorab in den Bankenvorständen entschieden.“
Hinsichtlich der Zukunft einer derart von den Banken beherrschten Börse geben sich die Herren im grauen Flanell natürlich äußerst optimistisch. Wolfgang Röller, Vorstandssprecher der Dresdner Bank, zum Finanzplatz BRD: „Der Befund lautet heute, daß dieses Kind wahrscheinlich kräftiger und gesünder wird, als es je war und viele seiner Mitstreiter sind.“
Rosige Zeiten
Aber auch die Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Wertpapierbörsen selbst sieht nur rosige Zeiten kommen. Im Jahresbericht 1988 werden vor allem vier Vorteile des hiesigen Finanzplatzes genannt:
-Verknüpfung mit einer dynamischen Volkswirtschaft, die in Europa weit vorn liegt;
-internationale Spitzenposition der Mark;
-solide private Ersparnis;
-fortschrittliches Finanzsystem mit hoher technischer Effizienz und traditionell liberalem, ordnungspolitischem Rahmen.
In Zahlen dargestellt, ergibt sich folgendes Bild: Die starke Vernetzung mit den weltweiten Kapitalmärkten resultiert daraus, daß rund acht Prozent der internationalen Bankausleihungen auf Banken aus der BRD (Mutterinstitute und Auslandsniederlassungen) entfallen. Der Anteil der DM an den internationalen Anleiheemissionen beläuft sich auf rund zehn Prozent - damit ist sie eine der wichtigsten privaten Anlage - und Kreditwährungen.
Die hohe Ersparnis der privaten Haushalte bildet schließlich mit 140 Milliarden DM eine solide finanzielle Grundlage. Der Kapitalstock beläuft sich auf rund 2.500 Milliarden DM und wird zu Anfang der neunziger Jahre die 3.000-Milliarden-Grenze erreicht haben.
Einen besonderen Vorteil sehen die Finanzstrategen im Universalbankensystem, bei dem die Banken vom Kleinkredit und dem Girokonto bis zum Wertpapierhandel dem universellen Geschäft nachgehen dürfen. Und im Jahresbericht 1988 der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Wertpapierbörsen wird besonders hervorgehoben, daß die deutschen Kreditinstitute im vergangenen Jahr konkrete Fortschritte in Richtung Allfinanzsystem gemacht, ihren Einstieg ins Versicherungsgeschäft betrieben hätten. „Allfinanz steht dabei synonym für Synergie, für die Zukunft der Finanzmärkte nicht nur in Europa.“
Doch der Abstand zu den führenden Börsen der Welt ist noch erheblich. Zu den bedeutendsten Ereignissen gehört dabei zweifellos der Aufstieg Japans zur führenden Finanzmacht. Im vergangenen Jahr lag der Anteil des fernöstlichen Inselreiches an der Weltkapitalisierung bei 45 Prozent, während jener der USA auf unter 30 Prozent zurückgefallen war (nach 55 Prozent zu Beginn der achtziger Jahre). Bereits 1987 übertraf die Gesamtkapitalisierung der an der Tokioter Börse notierten Aktien erstmals die New Yorker Börse. In Dollar umgerechnet stand es 2,7 Billionen gegen 2,1 Billionen gegenüber. (Zum Vergleich: Das Jahresumsatzvolumen der Frankfurter Börse lag 1987 bei 125 Milliarden Dollar, und der Gesamtkurswert aller notierten Aktien betrug 192 Milliarden Dollar). An der Tokioter Börse sind 1.532 inländische Unternehmen notiert, in New York 1.577 und in Frankfurt magere 243. Und auch die Sparquote der japanischen Haushalte ist derart hoch, daß es einem fast die Sprache verschlägt. Die Finanzanlagen von Privatpersonen - ohne Aktien - hatten im Juni 1988 ein Volumen von 4,7 Billionen Dollar. Rechnet man den Aktienbesitz hinzu, ergeben sich 6,4 Billionen Dollar.
Doch die dynamischen Effekte des europäischen Binnenmarktes werden von allen führenden Finanzstrategen keineswegs übersehen. Nimmt man das Bruttoinlandsprodukt als Maßstab, so ergibt sich für 1987: Mit 3.520 Milliarden Dollar lag die EG um sieben Prozent über jenem der USA und um 160 Prozent über dem Japans. Und erst die Einwohnerzahl der USA und Japans zusammen, erreicht die der EG. Nach 1992 steht der europäische Finanzmarkt also keineswegs auf verlorenem Posten.
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