Referendum in Chile

Bei der Volksabstimmung über Verfassungsreformen am Sonntag rufen sowohl Diktatur als auch Opposition zum Ja auf / Interessanter sind für Chile die Präsidentschaftswahlen im Dezember  ■  Aus Santiago Gaby Weber

Wozu wählen gehen, wenn die Opposition und Pinochet die gleiche Wahlempfehlung geben? Diese Frage werden sich die acht Millionen stimmberechtigte Chilenen, wenn sie am Sonntag über eine Verfassungsreform abstimmen.

In der Verfassung von 1980 sollen 54 Bestimmungen verändert werden. Der Artikel 8, der alle marxistischen Parteien verbot, wird abgeschafft. Im Nationalen Sicherheitsrat, der in Zukunft nur noch beratende Funktion haben soll, verlieren die Militärs durch die Aufnahme eines weiteren zivilen Mitglieds ihre Mehrheit, und im Senat wird die Zahl der gewählten Senatoren von 26 auf 38 erhöht. Der nächste Präsident wird nur vier und nicht acht Jahre im Amt bleiben, ohne das Parlament auflösen zu können. Einzig die Kommunistische Partei und die „Bewegung der Revolutionären Linken“, MIR, haben die Wähler dazu aufgefordert, ungültig zu stimmen. Ihnen gehen die „Pseudo-Reformen“ nicht weit genug: sie wollen eine neue demokratische Verfassung und keinen zwischen der regimenahen „Partei der Nationalen Erneuerung“ (PRN) und der Christdemokratischen Partei, PDC, ausgehandelten faulen Kompromiß.

Zudem - Verfassungsänderung hin oder her - werden die KP und die MIR wahrscheinlich auch zukünftig nicht an Wahlen teilnehmen dürfen. Denn da ist noch ein anderer Paragraph, über den nicht abgestimmt wird: Artikel 19 verbietet Organisationen, die der Gewalt nicht abgeschworen haben. Die Verfassung „sei unveränderbar für alle Zeiten“ hatte Pinochet noch vor Monaten geprahlt. Auf den Druck der Opposition hin aber mußte der Diktator doch einige „Verbesserungen der Verfassung“ , wie er sie vornehm nennt, akzeptieren. Grund genug, daß die 17 Parteien der „Demokratischen Konvergenz“ den Wählern nun das Plebizit als „politischen Sieg“ über Pinochet verkaufen.

Während das Plebizit von den Chilenen eher mit einem gleichgültigen Schulterzucken wahrgenommen wird, gehen die Diskussionen um die für Dezember anstehenden Präsidentschaftswahlen hoch her. Im Juli hatten sich die 17 Parteien der „demokratischen Konzertation“ auf einen gemeinsamen Kandidaten geeinigt, um ein Stimmensplitting zu verhindern. Das Rennen hatte erwartungsgemäß der Christdemokrat Patricio Aylwin gemacht - ein saurer Apfel für die Linke, in den sie aber im Hinblick auf einen möglichen Wahlsieg beissen muß.

Aylwin ist nicht nur Christdemokrat, der Rechtsanwalt kommt auch noch aus dem rechten Flügel der PDC. Er bewundert Helmut Kohl und Franz-Josef Strauss und hatte 1973 mit den Putschisten gemeinsame Sache gegen die Unidad Popular gemacht. Nach dem Staatsstreich forderte er als PDC -Präsident sein Parteivolk dazu auf, mit dem Regime zusammenzuarbeiten - in einer Zeit also, als die Menschenrechtsverletzungen ihren Höhepunkt erreicht hatten. Erst 1975 kam es zum Bruch zwischen der Christdemokratie und den Generälen, die nicht im Entferntesten daran dachten, die Macht wieder in die Hände der rechten Politiker zu legen.

Aylwin wirbt bis heute in der Öffentlichkeit für den Putsch gegen Allende um Verständnis. Der „Kampf gegen den Kommunismus“ habe damals auf der Tagesordnung gestanden, rechtfertigt er sich. Der Christdemokrat hat sich wiederholt für einen Dialog mit den Streitkräften ausgesprochen. Zwar hat die „Konzertation“ in ihrem provisorischem Regierungsprogramm eine Amnestie für die Folterer ausdrücklich ausgeschlossen und eine Wiedergutmachung für die Opfer der Repression in Aussicht gestellt. Aber die meisten Menschenrechtsorganisationen fürchten, daß die Christdemokraten längst den Militärs Straffreiheit zugesichert haben.

Die Christdemokratische Partei, die in den sechziger Jahren die Parole „Revolution in Freiheit“ im Munde führte, wird rechtzeitig für ihre künftige Regierungsrolle auf Linie gebracht. Bei den letzten parteiinternen Wahlen gewann der rechte Flügel. Liberalen PDC-Mitgliedern wurden aussichtsreiche Listenplätze verwehrt. Bessere Chancen, in einer künftigen christdemokratischen Regierung mitreden zu können, wird die „Partei der Nationalen Erneuerung“, PRN, um den früheren Innenminister Pinochets, Sergio Onofre Jarpa, haben.

Die beiden großen regimenahen Parteien PRN und die „Unabhängige Demokratische Union“, UDI, haben sich noch nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten geeinigt. Während PRN -Chef Jarpa seit der verlorenen Volksabstimmung vom vergangenen Oktober zunehmend auf Distanz zu Pinochet gegangen ist und am liebsten selbst in den Ring steigen würde, hält die UDI den Pinochet-Jünger Hernan Büchi für den geeigneten Mann. Der hat inzwischen seinen Mitte Mai verkündeten Verzicht auf die Kandidatur rückgängig gemacht. Von dem Ex-Wirtschaftsminister Pinochets und Architekten des „chilenischen Wirtschaftswunders“ versprechen sich die Unternehmer wirtschaftspolitische Standfestigkeit. Der PRN -Chef Jarpa dagegen könnte - populistisch - bei Lohnforderungen zu nachgiebig sein.