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Integrations-Hürdenlauf

■ Die Integration von Aussiedlern in Berliner Sportvereinen kommt nicht voran / Die Sportverbände halten sich zurück, und in den Vereinen geht es zwischen Ablehnung und Kooperation zu wie in der Gesamtbevölkerung

Wolfgang Seidel, Jugendleiter des Fußball-Oberligisten Spandauer SV (SSV), ist sauer auf den Landessportbund Berlin (LSB). Zwar hat der Club - ganz im Sinne des LSB - fünf polnische Aussiedlerkinder in sein B-Juniorenteam integriert, doch die Kosten für die Werbekampagne in den Spandauer Aussiedlerheimen trug allein der Havelverein. „Wir haben erst gar nicht versucht, einen Kostenvoranschlag einzureichen, das dauert einfach viel zu lange und stellt ein bürokratisches Hemmnis dar“, so Seidel. In Berlin steht der SSV inzwischen einzig dar: Dort ist inzwischen jedes dritte SSV-Mitglied Aus- und Übersiedler oder „Zuwanderer“.

1,1 Millionen Mark hat der Bundesinnenminister dem Deutschen Sportbund (DSB) für 1989 bewilligt, damit er sein Programm „Sport für alle“, unter das auch die Aussiedler fallen, umsetzen kann. Doch die Ergebnisse sind dürftig: Von einer „lohnenden Aufgabe“ (DSB-Pressesprecher Walter Mirwald) kann derzeit noch keine Rede sein.

„Unsere Devise lautet: Schweigen und arbeiten“, sagt LSB -Jugendsekretär Heiner Grupe-Brandi. Er gibt zu, daß sein Verband diese Thema „nicht offensiv in die Öffentlichkeit bringen“ möchte. Einerseits ist die Berliner Sportjugend, der „Sport für alle“ obliegt, noch dabei, ein genaues Konzept auszuarbeiten; andererseits, resümiert Grupe-Brandi, gehen die Meinungen in den Vereinen zur Aussiedler„frage“ weit auseinander: „Manche Clubs zeigen sich sehr kooperativ und wollen mit uns zusammenarbeiten. Andere wiederum melden massive Vorbehalte gegen diese angeblichen Ausländer an. Das ist wie in der Gesellschaft.“ Der Sport, der alle Sprachen spricht, steht vor einer Bewährungsprobe. Selbst der Berliner Turnerverband hält sich vornehm zurück, obwohl auch er grundsätzlich zur Kooperation mit dem LSB bereit ist. Ähnlich verfährt der Berliner Fußballverband (BFV).

Erfolgreicher sind die mobilen LSB-Teams vor Ort in den Aussiedlerheimen, wo sie zusammen mit anderen Institutionen versuchen, ein „Netzwerk der Hilfe“ (Grupe-Brandi) aufzubauen. „Hunderte von Kindern und Jugendlichen nehmen unser Angebot begeistert an“, freut sich der Jugendsekretär des LSB. Die Spiel- und Bewegungsgruppen des LSB kümmern sich jedoch nur um Kinder und Jugendliche, bieten ihnen auch Informationen über die Berliner Einrichtungen der Jugendhilfe an.

Für die Erwachsenen unter den Aussiedlern muß ein adäquates Programm erst noch entwickelt werden. Kein Problem sind diejenigen, die bereits in ihren Heimatländern Sport betrieben haben, weiß Grupe-Brandi, diese suchen eigenständig nach sportlichen Betätigungsmöglichkeiten. Die Verbliebenen hingegen verfolgen die Aktionen der Berliner Sportjugend mit gewissen Vorbehalten, denn im Ostblock besitzt der Sport einen anderen Stellenwert als in West -Berlin.

Doch spitzt sich alles auf den Leistungssport mit seinen sattsam bekannten Selektionsmechanismen zu. Breitensport in unserem Sinne existiert hinter dem durchlässiger werdenden Eisernen Vorhang bislang nicht. Was der Masse an Leibesertüchtigung bleibt, ist allenfalls der Betriebssport. Wer aber einmal durch das Leistungsraster durchgefallen ist, interessiert sich kaum noch für den Sport. Vor diesem Hintergrund hält es Grupe-Brandi deshalb auch für „illusionär“ zu glauben, daß man eine Vielzahl von Aussiedlern in Berliner Sportvereine integrieren könne. Wenn dies trotzdem gelingt, wie beispielsweise dem Spandauer SV, der wird auch aus dem LSB-Topf profitieren: „Wir haben hier einen Zuwendungsantrag des SSV liegen. Darauf werden wir selbstverständlich reagieren.“

Jürgen Schulz

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