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„Verantwortungslosigkeit von Dow Chemical“

Der Toxikologe Otmar Wassermann (Universität Kiel) zu Versäumnissen und Bergungsarbeiten auf der „Oostzee“ / „Dunkle Geschäfte auf unseren Schiffahrtswegen“ / Töpfers Blauäugigkeit, Glasnost in Schleswig-Holstein  ■ I N T E R V I E W

taz: Wie ist es möglich, daß es auf der „Oostzee“ keine Schutzanzüge und Masken gab?

Otmar Wassermann: Ich vermute, daß es sich um einen ganz normalen Frachter handelt, der für Spezialtransporte gar nicht ausgerüstet ist. Das sieht man schon an der Art und Weise, wie der Kapitän die Verstauung dieser 4.000 Fässer überhaupt zugelassen hat. Hier liegt offensichtlich keinerlei Fachkunde vor.

Warum können die Rettungsmannschaften selbst mit Schutzanzügen und Masken nicht zu den Fässern? Die Fässer strahlen ja nicht radioaktiv.

Schutzanzüge und schwere Atemschutzgeräte müßten absolut dicht sein, denn diese Substanz durchdringt sogar die intakte Haut. Sie wird also nicht nur eingeatmet, sondern auch über die Haut resorbiert. Bei kleinster Undichte besteht die Gefahr von Krebs. Dazu kommt die hohe Aggresivität, besonders gegenüber den Schleimhäuten und den Atemwegen, und dann eben die Gefahr bis hin zum Lungenödem und zum Tod.

Wen machen Sie für diesen Unfall verantwortlich?

Neben der Reederei und dem Kapitän, der eine solche Ladung einfach nicht akzeptieren darf, muß selbstverständlich der Hersteller verantwortlich gemacht werden. Es ist eine unglaubliche Verantwortungslosigkeit, ein so brisantes Material wie Epichlorhydrin dilettantisch in einfachen Fäassern auszuliefern, wohlwissend, daß hier bei schwerer See etwas passieren kann.

Der Hersteller Dow Chemical sagt, die UdSSR als Käufer trage die Verantwortung.

Ein Hersteller von riskanten Produkten macht es sich natürlich zu einfach, wenn er vom Fabriktor an die Haftung ablehnt. Aber das schlägt ja der Blauäugigkeit von Umweltminister Töpfer voll ins Gesicht. Töpfer schwört ja auf die Selbstverpflichtung der chemischen Industrie, und die stellt sich hier als ausgesprochen fauler Zauber raus.

Der Fall „Oostzee“ hellt nur blitzlichtartig die dunklen Geschäfte auf, die täglich unsere Schiffahrtswege bedrohen. Er zeigt auch den Unwillen bundesdeutscher Umweltpolitik, die chemische Industrie durch strenge Auflagen zu einer größtmöglichen Sicherheit zu verpflichten. Unter dem Diktat der chemischen Industrie bringt die bundesdeutsche Umweltpolitik nichts als Scheinaktionismus auf die Beine. Es ist unerläßich, daß wir eine neue Bundesregierung bekommen, die eine völlig andere Chemiepolitik verordnet, wenn die Industrie zu ignorant und zu arrogant ist, Produktlinien zu entwickeln, die nicht gesundheits- und umweltschädlich sind.

Ist Dow Chemical früher schon unangenehm aufgefallen?

In diesem Fall hat sich Dow Chemical anfangs geweigert, der Wasserschutzpolizei Daten über das Gefahrenpotential der Substanz herauszugeben. Aber Dow Chemical hat auch eine lange Tradition in der Herstellung gefährlicher Produkte. Ich erinnere an die Herstellung von Napalm im Vietnamkrieg, und von brisanten Herbiziden wie z.B. 2-4-5-T, ein Bestandteil des Entlaubungsmittels „Agent Orange“. Dow Chemical hat zuletzt in Neuseeland bei der Firma Watkins, die sich später Watkins Dow nannte, noch bis vor wenigen Jahren 2-4-5-T hergestellt, welches ja wegen seiner hohen Kontamination mit einer Reihe von Dioxinen hinreichend bekannt ist.

Was heißt es für Sie, daß Greenpeace mit im Krisenstab sitz?

Leider nur als Beobachter, aber immerhin. Für mich ist daseine erfreuliche Andeutung von Perestroika und Glasnost in Schleswig-Holstein, wenn unabhängige Initiativen hier Einblick bekommen, wie ein Krisenstab funktioniert oder funktionieren könnte. Ich könnte mir schon vorstellen, daß Greenpeace mehr beteiligt wird.

Ist es auch ein Eingeständnis des Versagens der staatlichen Umweltschützer, daß sie zur Stärkung ihrer eigenen Reputation Greenpeace heranziehen?

Hier muß man auch würdigen, daß die neue Landesregierung aus der endlosen Serie von Versagen in der Umweltpolitik gelernt hat. Daß sie hier nach anfänglichen Schwierigkeiten auf unterem Behördeniveau - falsches Messen, Abwiegeln, Vertuschungsversuche - sehr energisch gehandelt hat. Im Gegensatz zur Bundesregierung, die in solchen Fällen den üblichen Mechanismus der Volksverdummung betreibt.

Interview: Wieland Giebel

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