piwik no script img

Rakowski fällt die Treppe hoch

Nach der Wahlniederlage wird Polens Ministerpräsident Rakowski zum Parteichef befördert  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Das Zentralkomitee der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP) hat am Samstag abend den bisherigen Ministerpräsidenten Mieczyslaw Rakowski zum neuen Ersten Sekretär (Parteichef) ernannt. Rakowski tritt die Nachfolge Wojciech Jaruzelskis an, der zehn Tage nach seiner Wiederwahl zum Staatspräsidenten erwartungsgemäß zurückgetreten war. Jaruzelski legte auch seine Mitgliedschaft im Politbüro und im ZK nieder.

Die Wahl des 62jährigen Rakowski, für den 171 Ja- und 41 Nein-Stimmen abgegeben wurden, war der Höhepunkt einer Reihe von Personalentscheidungen, die das Plenum auf seiner Tagung fällte.

Eigentlich hatte man erwartet, daß das Zentralkomitee der PVAP in seiner Samstagssitzung einen Kandidaten für die Wahl des Premiers in der folgenden Woche aufstellen würde. Doch die Genossen hatten es damit nicht sonderlich eilig. Selbst die Tagesordnung ging nicht ohne Debatte durch, erst diskutierte das ZK mit der neugewählten Sejm-Fraktion der PVAP über die Niederlage im Wahlkampf und die Wirtschaftspolitik, dann ging es um die Einberufung eines außerordentlichen Parteitags, der, so erklärte unter anderem Jan Krol, Chef der Sejm-Fraktion, zugleich Gründungsparteitag einer neuen Partei sein sollte. Die Debatte, in deren Verlauf dann auch ZK-Sekretär Baka seinen Rücktritt ankündigte, nachdem er Rakowskis Wirtschaftspolitik wegen derer inflationärer Tendenzen angegriffen hatte, dauerte auch länger als geplant, sogar in den Samstag hinein.

Erst gegen Abend begann dann die geschlossene Tagung des ZK ohne die Abgeordneten, in deren Verlauf die spektakulären Entscheidungen fielen. Gegen 18 Uhr meldete die staatliche Presseagentur 'Pap‘, Jaruzelski habe den Rücktritt von allen Parteifunktionen angeboten. Zehn Minuten später war Rakowski ohne Gegenkandidat zum Parteichef gewählt worden. Und als solcher stellte er dem ZK gleich seine Wunschliste der neuen ZK-Sekretäre und Politbüromitglieder vor. Prompt kam der Vorschlag, für jeden Posten zwei Kandidaten vorzuschlagen. Doch für so viel Demokratie waren die Genossen nach zwei Tagen Bera Fortsetzung auf Seite 2

tung schon zu müde. Rakowskis Li

ste kam durch. Nur in zwei Fällen traten Mitglieder der Führung zurück, die auf dem zehnten Plenum aufgestiegen waren. Zugleich mußten zahlreiche altgediente Genossen ihren Hut nehmen, bis auf zwei Ausnahmen rückten profilierte Reformer nach.

Offen ist bis jetzt noch die Frage, wen die Partei als Premier vorschlagen wird. Die Entscheidung soll in den ersten drei Tagen in dieser Woche erfolgen, erklärte ZK -Sprecher Bisztyga.

Kurz nach Rakowskis Wahl zum Parteichef hat seine scheidende Regierung die Freigabe der Lebensmittelpreise zum 1.August beschlossen. Die Solidarnosc hatte noch bis Samstag gegen diesen Schritt protestiert. Mit dieser Einführung der Marktgesetze im Lebensmittelhandel werden die Preise ab Dienstag drastisch steigen. Die seit 1981 bestehenden Lebensmittelkarten für Fleisch fallen weg. Dafür werden die Preise etwa dreifach so hoch sein wie bisher, wobei eine schnelle Besserung des völlig zusammengebrochenen Fleischhandels nicht garantiert werden kann. Wie Radio Warschau meldete, erhält die Bevölkerung einen Teuerungsausgleich, der sich nach der bisher den einzelnen Bürgern auf Marken zustehenden Fleischmenge richtet und zwischen 8.500 und 14.900 Zloty (20 bis 35 Mark) beträgt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen