: Kranke Seelen kosten Geld
■ Psychologen sehen Versorgungslücke in Bremen / Ärzte und Kassen pflegen den Mangel
„Wenn die Seele schmerzt, dann geht das ans eigene Portemonnaie“, meinen Bremer Psychologen und wenden sich über eine Pressemitteilung ihres Berufsverbandes (BDP Berufsverband Deutscher Psychologen) an die Öffentlichkeit. Sie stellten mit einer Erhebung fest: 623 Bremer Bürger haben sich in den ersten drei Monaten dieses Jahres bei 23 ihrer niedergelassenen Diplom-Psychologen behandeln lassen. Über zwei Drittel von ihnen mußten ihre Therapie selbst bezahlen: „Das ist eine Folge davon, daß in Bremen eine Versorgungslücke besteht und die meisten Kassen den Patienten die Kosten nicht erstatten, obwohl das Gesundheitsreformgesetz ihnen dies ermöglicht,“ erläutert Sigrun Preuss aus dem Vorstand des BDP-Bremen die Hintergründe.
Nur rund 31 Prozent dieser mehr als 600 statistisch erfaßten BremerInnen in Therapie erhielten von ihrer Krankenkasse die Kosten zurückerstattet. Die Barmer gehört zu den wenigen Bremer Kassen, die nach Beurteilung des jeweiligen Einzelfalls auch Therapien bei Psychologen, die nicht gleichzeitig niedergelassene Ärzte sind, bezahlen: „Die Versorgungslücke ist nicht aus der Welt zu diskutieren,“ meint BEK-Mitarbeiter Fuhst. „Solange unsere Mitglieder ein halbes Jahr und länger auf ein erstes Gespräch bei einem Arzt mit Therapieausbildung warten müssen, akzeptieren wir, wenn es notwendig ist auch die Therapie durch
Diplom-Psychologen.“
Knackpunkt der Diskussion zwischen Ärzten, Krankenkassen, Kassenärztlicher Vereinigung und den Psychologen ist die Reichsversicherungsordnung, wonach nur „ärztliche Behandlungen“ von dem, der sie durchführt oder überwacht, abgerechnet werden dürfen. Demzufolge könnten auch Ärzte die Therapie an Psychologen delegieren und dies abrechnen - Dazu müßten sie den Mangel aber auch erkennen. „Vom Delegationsverfahren wird zu wenig Gebrauch gemacht“, bedauern Insider.
Die Kassenärztliche Vereinigung in Bremen sieht nämlich eine ausreichende Versorgung gesichert: „Im Vergleich zum Bundesgebiet sind wir gut versorgt,“ meint deren Sprecher Wessel. Von Leuten, die monatelang auf ihr erstes Beratungsgespräch warten, von fehlenden Therapieplätzen besonders im Bereich Verhaltenstherapie, will Wessel nichts wissen. Er will die Hilfesuchenden weiter zunächst von einem psychologisch-therapeutisch geschulten Arzt begutachtet wissen, bevor über deren Therapierung entschieden wird. Daß genau an dieser Stelle der oft mühsame und vergebliche Weg der seelisch Kranken beginnt, übergeht er geflissentlich.
Hat der Gutachter der Kasse signalisiert: Es besteht Leistungpflicht, dann macht sich der Patient auf die Suche nach einem Therapeuten. Oft muß der Hilfesu
chende aber auch die gelben Seiten des Telefonbuchs zu Hilfe nehmen. „Dann werden tatsächlich Termine zu einem ersten Vorgespräch im Herbst angeboten. Manchmal wird die Suche aber auch zu einer Odyssee: Die Telefonnummern sind falsch oder die Ärzte therapieren längst nicht mehr,“ berichtet Psychologin Preuss aus der Praxis ihrer Kollegen. Und wenn die Patienten sich dann an Diplompsychologen wenden und ihre Kassen einschalten wollen, dann sitzen sie oft mit den Kosten ihrer Therapie allein
auf der Straße, obwohl sie vielleicht endlich einen Therapeuten gefunden haben, zu dem sie auch noch Vertrauen haben.
Deshalb fordert der BDP erneut: Ein Psychotherapeutengesetz ist dringend erforderlich. Wenn endlich ein gesetzlich definiertes Berufsbild die Qualifizierung von Psychologen festschreibt, läßt sich die Abrechnung mit den Krankenkassen, der Vergleich zu therapeutisch arbeitenden Ärzten objektivieren.
ra
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