: Wer krank ist, ist selber schuld
Zur Blümschen Festbetragsregelung bzw. Negativliste für Heilmittel ■ G A S T K O M M E N T A R E
Wer nichts zu beißen hat, der braucht auch keine Zähne! So hatten die Kranken bereits die Zahnersatzregelung aus dem Blümschen Ministerium erlebt. Und wer vor Schmerzen nicht mehr gehen konnte, der/die verzichtete seit Januar 1989 auch häufig auf den Arztbesuch, denn die Kassen zahlen Taxi- und Krankenwagenfahrten nur noch bei Einkommen unter 1260.- DM brutto im Monat. Jetzt kommt der nächste Schlag für die Kranken: Heil- und Hilfsmittel werden nur noch bedingt gezahlt.
Weil hier und da „ein Bodybuilder sich seine Handgelenksbandage vom Hausarzt verschreiben läßt“ (O-Ton Blüm), sollen Tausende mit schmerzhaften Gelenken diese Hilfe aus eigener Tasche finanzieren. Und weil alle Welt Batterien kauft, sollen Hörbehinderte ihre besonders teuren und für die Kommunikation unentbehrlichen Batterien selber zahlen. Die chronisch Kranken mit Rheuma oder Anfallsleiden haben oft Jahrzehnte gebraucht, bis sie das richtige Medikament gefunden hatten. Fällt dieses jetzt nicht unter die Festbetragsregel, müssen sie entweder kräftig zuzahlen oder die riskante Suche nach einem passenden Medikament erneut beginnen.
Mit Gesundheitsreform hat dies alles wenig zu tun, mit Kostendämpfung um so mehr. An der ideologischen Voraussetzung für die zusätzliche Belastung der Kranken zugunsten der Noch-Gesunden wurde schon lange gearbeitet: Wer krank ist, ist selber schuld! Krankmachende Lebens- und Arbeitsbedingungen sind eine Erfindung linker und grüner Spinner!
Jetzt kommt die Rechnung. Das Geschäft mit der Krankheit aber blüht weiter. Ärzte und Pharmaindustrie verdienen ungeschmälert, die Lohnnebenkosten der Arbeitgeber sinken. Teurer und damit riskanter wird es nur für die Kranken, denen oft die Kraft zum Kämpfen fehlt. Es ist Zeit, daß dieser Politik ein Denkzettel verpaßt wird. 1991 ist Gelegenheit dazu.
Dr.med.Winfried Beck, Vorsitzender des Vereins Demokratischer Ärztinnen und Ärzte, Frankfurt
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