: Milch auf den Tisch - Gift ins Glas
■ BUND und Verbraucherzentrale warnen vor Dioxin / Bundesgesundheitsamt und Verpackungsindustrie wiegeln ab
„Die Milch macht's“, heißt es im Werbespruch der Molkereien. Fragt sich nur was? Munter, wie im Schlager gesungen wird, oder krank, wie gestern der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) aus Bonn vermeldete. Der BUND hält es nämlich für einen „unerträglichen Zustand, daß Kartonverpackungen die Trinkmilch mit ultragiftigen Dioxinen verunreinigen.
Daß sie dieses tun, ist unbestritten. Die Verpackungen bestehen aus gebleichtem Zellstoff, der mit dem Kunststoff Polyethylen beschichtet ist. Der Zellstoff wird mit Chlor gebleicht, und dabei entstehen extrem giftige Dibenzodioxine und Furane, darunter auch das Seveso-Gift 2,3,7,8 - TCDD einer der giftigsten Stoffe überhaupt. Sinn der Bleich -Übung: Die Kartons sollen hübsch weiß sein - wie die Milch.
Bis vor einem Jahr behauptete der Industrie-Fachverband „Kartonverpackung“ allerdings, die Kunststoffbeschichtung halte die Dioxine zurück. Auf einem Fachseminar „Dioxin 88“ wies dann erstmals ein kannadischer Wissenschaftler nach, daß das Dioxin sehr wohl durch die Folie in die Milch übergeht. Selbst eine Studie, die der Fachverband seinerseits in Auftrag gab, belegte nachträglich diese Behauptung. Unbestritten ist inzwischen, daß sich je nach Dauer der Lagerung bis zu 20 Prozent des im Karton befindlichen Dioxins im Fett der Milch löst.
Das Dioxin lagert sich im menschlichen Fettgewebe ab. Das Bundesgesundheitsamt geht davon aus, daß rund ein Drittel
der „normalen“ Tagesdosis an Dioxinen aus den Milchverpak kungen stammt. Zu einer Warnung sieht das Amt allerdings keinen Anlaß. Statt dessen wurde vor Monatsfrist im Bundesgesundheitsblatt ein Artikel veröffentlicht, der schon in der Überschrift verharmlost: „Dioxin-und Furanbelastung aus Milchtüten künftig geringer“, hieß es da. Künftig geringer soll heißen: Der Fachverband für Verpackung hatte in Gesprächen mit dem Bundesgesundheitsamt zugesagt, daß „nur noch gering belastetes Material“ zum Einsatz kommt. Ziel des Fachverbandes nach Auskunft seines Sprechers Michael Kleene: Der Dioxin-Gehalt in der Verpackung soll von 8 ppt auf 4 ppt heruntergebracht werden. Langfristig solle dann ein Wert von 1 ppt angestrebt werden.
Grenzwerte, wieviel Dioxine der menschliche Körper überhaupt verträgt, gibt es nicht. Beim Bundesgesundheitsamt geht man von einem „Acceptable Daily Intake“, also einer zu tolerierenden täglichen Aufnahme von 1-10 Picogramm je Kilogramm Körpergewicht aus. Mit dem Wert ist die Bundesbehörde weltweit „absoluter Spitzenreiter“, wie Andreas Fußer vom BUND kritisiert. Die Vorschläge aus anderen Ländern beginnen bei 0,008 Pikogramm. Kein Wunder, daß das Bundesgesundheitsamt in dem Artikel zu dem Schluß kommt: „Die hieraus (den Milchtüten, d.Red.) resultierende Dioxinbelastung liegt jedoch noch innerhalb der tolerierbaren Aufnahme-Menge.“
Überhaupt nicht tolerierbar findet das dagegen der BUND. Wenn schon das Stillen von Säug
lingen wegen hoher Dioxinwerte in der Muttermilch in Frage gestellt sei, müßten alle Dioxinquellen rigoros verstopft werden. BUND-Toxikologe Henning Frieges: „Es gibt keine andere große Dioxinquelle für die menschliche Nahrung, die so einfach zu verschließen wäre, wie die Milchkartons.“ Das meint auch die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Sie emp
fiehlt seit gestern, lieber zur Glasflasche statt zu den Gift-Kartons zu greifen.
Wissenschaftliche Schützenhilfe bekommen die Verpackungskritiker von der Hessischen Landesanstalt für Umwelt. In einer Studie zur Dioxinbelastung schreibt die Anstalt: „Die Feststellung, daß die Normalbevölkerung in Europa bereits mit 3 Nannogramm/kg im Fettgewebe bela
stet ist, zeigt, daß bereits jetzt nur noch zwei Zehnerpotenzen die Normalbevölkerung von der Konzentration trennt, die in der Ratte nachweisbar zum Krebstod führt. Wird weiter berücksichtigt, daß Säuglinge mit der Muttermilch die 500fache der hier als vorübergehend hinnehmbaren Dosis erhalten, so ist ein weiteres Schweigen der Behörden völlig unakzeptabel.“
hbk
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