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IBSEN-COMIC-STRIP

■ Das Medeatheater spielt Ibsens „Volksfeind“

Die Parabel von der Radikalisierung des Badearztes Dr. Otto Stockmann, den die Unterdrückung der von ihm entdeckten Wahrheiten vom braven Familienvater zum tatendurstigen Revolutionär macht, scheint in ihrer Absurdität und Naivität oft faustdick übertrieben. Allein, Herr Henrik Ibsen, allgemein für einen Naturalisten gehalten, erfand es so vor über hundert Jahren.

Der Doktor hat herausgefunden, daß das Wasser in Bad und Brunnen, von dem der ganze Kurort lebt, mit krankheitserregenden Bazillen verseucht ist. Eine „Pesthöhle“ nennt er, was als das „schlagende Herz“ der Stadt gilt. Eine Zeitlang wird der Doktor mit seiner Entdeckung von den verschiedenen Interessengruppen der Stadt in ihren Intrigen als Druckmittel benutzt. Doch letztlich wollen die Bürger sich die Grundlage ihres Reichtums nicht entziehen lassen; der Doktor soll mundtot gemacht werden, und seine Freunde lassen ihn fallen.

Ibsens Volksfeind dient dem Medeaprojekt als Handlungsskelett für einen Rückblick auf die deutsche Nachkriegsgeschichte, in der die Gesellschaft ihre Leichen im Keller stets am Rande des Bewußtseins zu halten weiß und lieber Gasmasken trägt, als den Gestank aus den Gräbern zuzugeben. Die Geschichte vom Doktor, der seine Ideale von der Mehrheit verraten sieht und zu immer groteskeren Formen der Selbstgerechtigkeit und des Einzelkämpfertums findet, wird zum Spiegel für die Entwicklung der deutschen Mentalität und ihres intellektuellen Hofnarren.

Der Inszenierungsstil des Medeatheaters ist das krasseste Gegenteil des Naturalismus. Die ganze Psychologie Ibsens über die Verdrängungsmechanismen des Bürgertums wird durch das grobe Raster der Typisierung gemahlen. Feingesponnene Andeutungen in den Dialogen blähen sich zu knalligen Sprechblasen auf, Karikaturen entstehen vom aufrechten Forscher, von korrupten Redakteuren und Möchtegernrevolutionären, von der Doppelmoral des Hausbesitzervereins und dem autoritären Größenwahn des Bademeisters und Stadtoberhaupts. Verblüffend ist, daß die Sätze Ibsens vermischt mit wenigen zeittypischen Zitaten zu einer kabarettistischen Revue taugen, die vom Nachkriegselend und Erneuerungseifer über Wirtschaftswunder und Revolutionskoketterie der sechziger Jahre bis zum Saturieren der Yuppies reicht.

Dr. Stockmann: Psst. Ihr dürft noch nicht darüber reden aber ich habe eine große Entdeckung ge macht.

Frau Stockmann: Schon wieder?

Dr. Stockmann: Ja, sicher! Seht Ihr, die Sache ist die: Der stärkste Mann hier auf dieser Welt, das ist der, der ganz für sich allein steht.

Bei Ibsen beschließt Stockmann mit diesen Worten, in seiner Außenseiterposition dem ganzen Dorf zu trotzen und den Kampf gegen die ihm verhaßte Majorität (der Hausbesitzer) aufzunehmen. In dieser Medeaversion werden dies deutlich die Worte eines von allen verlassenen Irren, der noch am Rande des Todes sein heroisches Pathos nicht aufgibt. Stockmann, schon bei Ibsen in seinem Haß auf die Majorität und in seiner Verherrlichung des einzeln vorstürmenden Geistesmenschen ein fragwürdiger Held, wird beim Medeatheater zu einem lächerlichen Revolutionär, der sich an seiner Rolle als Aufklärer besäuft.

Das Bild vom verleugneten Seuchenherd als lügnerischer Basis des Wohlstands nahm Ibsen selbst schon als Gleichnis für den verseuchten Sumpf der politischen Kultur. Das Medeatheater weitet dies Thema zur generellen Zerstörung unserer Lebensgrundlagen aufgrund von Habsucht, Machtinteressen, Feigheit und Ignoranz aus. Daß in dieser globalen Interpretation im Hintergrund Erschießungsszenen aus dem Vietnamkrieg als verdrängter Bestandteil unserer Schuld erscheinen, strapaziert den Rahmen eines Gleichnisses zu sehr und macht aus dem Stück eine Müllhalde für den moralischen Verfall im gesamten Kapitalismus.

Schon in den ersten Auftritten krümmen sich die Spieler: Das tatsächliche Übel - das verseuchte Wasser - und ihre verlogene Moral sitzen ihnen im Gedärm. Der oberste Bösewicht, Bademeister und Bruder des Arztes, krepiert bei jedem Auftritt ein bißchen mehr an dem Wasser, dessen Vergiftetsein er bis zum Schluß vertuschen will. Doch die grausliche Steigerung, die zum Showdown führen sollte, wird zum ermüdenden Gekrampfe. Merke: Wer sich schon in der ersten Minute in Krämpfen wälzt, kann nach drei Stunden nicht mehr damit schrecken.

Der Witz der Inszenierung entspringt der Sprache der gierigen Körper, die die gesprochenen Worte ständig Lügen straft. Wenn Stockmann das erste Mal seine Entdeckung von der Verseuchung des Wassers durch Krankheitserreger verkündet, befindet er sich im Zentrum eines familiären Menschenknäuels, das von ihm abplatzt wie eine explodierende Granate: Die Sprengwirkung seiner Nachricht wird damit vorweggenommen, lange bevor die Beteiligten dies realisieren. Wenn sich Stockmann Illusionen darüber hingibt, daß schon alles „glatt“ gehen werde, rutscht er prompt auf dem Teppich aus und fällt auf die Schnauze. Doch so sehr Slapstick und clowneske Aktionen die moralischen Botschaften auch verzuckern, zerdehnen sie zugleich die Spielzeit, lassen den roten Faden verlieren und zerfasern die Spannung. Auch die bei jedem Auftritt von Frau oder Tochter Stockmann eingeschobenen sexuellen Nachstellungen durch wen auch immer auf der Bühne, lustig wie im Pornoschwank, sind auf die Dauer überflüssig wie ein Kropf.

Katrin Bettina Müller

Pesthöhle vom Medeatheater vom 2. bis 6. und 9. bis 13. August im Ratibortheater, Cuvrystraße 20.

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