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„Nicht im Interesse der BRD“

■ Türkischer Doktorandin drohte die Ausweisung, weil sie während ihres Studienaufenthalts ein Kind bekam

Seit 1982 lebt Gülay Toksöz in West-Berlin. Die Politologin steht kurz vor der Promotion - „Gewerkschaftliche Interessenvertretung türkischer Arbeiterinnen in der Bundesrepublik“, lautet ihr Thema. „Darüber gibt es hier noch keine eigene wissenschaftliche Untersuchung“, erklärt sie. Den Mangel erkannten sowohl die FU, an der sie ihre Dissertation schreibt, als auch die Friedrich-Ebert -Stiftung, die ihr ein Stipendium erteilte, nicht aber die Ausländerbehörde.

Die weigerte sich Mitte April, Gülay Toksöz eine weitere Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Weder die Bescheinigung ihres Doktorvaters über ihren Studienstand noch der Widerspruch des Rechtsanwalts fruchteten. Innerhalb von zwei Monaten - so die Ausländerbehörde - habe sie die Bundesrepublik zu verlassen. Zusätzlicher Stein des Anstoßes ist Gülays dreijährige Tochter. Das Kind widersprach nach Auffassung der Ausländerbehörde „dem Interesse der Bundesrepublik Deutschland“, „da ihre Anwesenheit zu einer noch stärkeren Belastung öffentlicher Einrichtungen führen würde“.

Der Brief der Ausländerbehörde sei für sie „wie ein Schlag ins Gesicht gewesen“, sagt sie heute. Immerhin konnte sie sich der Unterstützung der Ausländerbeauftragten Barbara John versichern. „Es gibt verschiedene Formulierungsbausteine in den Behörden, die in den Papierkorb gehören“, befand die Politikerin, die nicht versteht, wie in diesem Fall ein derartiger Bescheid verschickt werden konnte.

Das Schlimmste ist für Gülay Toksöz vorerst überstanden. Nach Intervention bei der Senatsverwaltung für Inneres wurde ihr eine weitere Aufenthaltserlaubnis für die Dauer eines Jahres erteilt. Beantragt hatte die angehende Doktorandin mit Unterstützung ihre Professors und der Friedrich-Ebert -Stiftung zwei Jahre.

Vor ähnliche Probleme sind ausländische StudentInnen und Doktoranden gestellt, die die durchschnittliche Regelstudienzeit von zwölf Semestern überschritten haben. Solange erteile die Ausländerbehörde in der Regel eine zweijährige Aufenthaltserlaubnis, erklärt Paul Janositz vom Akademischen Auslandsamt der TU. StudentInnen mit mehr als zwölf Semestern und Doktoranden müssen sich mit einer einjährigen Aufenthaltsgenehmigung begnügen.

Viele der rund 7.000 ausländischen StudentInnen können die Regelstudienzeit allein deshalb nicht einhalten, weil sie mehr Zeit für Jobben aufwenden müssen als ihre deutschen Kommilitonen oder erst einmal zwei Semester mit Sprachkursen zubringen. Am härtesten betroffen sind Frauen mit Kindern. Deren Erziehung - so die Logik der Ausländerbehörde im Fall Toksöz - hält sie vom schnellen Abschluß des Studiums ab.

Viele leben bereits zehn Jahre oder länger in Berlin, haben hier Familien gegründet und sich integriert, müssen mit Abschluß des Studiums aber laut Ausländergesetz unweigerlich die Koffer packen.

Andererseits wird immer deutlicher, daß in bestimmten Bereichen ausländische Akademiker und WissenschaftlerInnen dringend gebraucht werden - zum Beispiel PsychologInnen und TherapeutInnen. Die „psychosoziale Versorgung ausländischer Berliner ist nicht gewährleistet“, räumt auch die Ausländerbeauftragte ein. Ebenso werden nach Angaben des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands ausländische LehrerInnen und ErzieherInnen gebraucht. Doch dem steht bislang das Ausländergesetz entgegen: Nach dem Studium heißt es Koffer packen.

anb

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