„Oostzee„-Grenzen

Solange es die Chlorchemie gibt, wird es Chlorchemie-Unfälle geben  ■ K O M M E N T A R

Der Schutz der Umwelt stand schon beim ersten Entsorgungskonzept für den Giftfrachter „Oostzee“ hintenan. Die Tatsache, daß auf der Neufelder Reede Zehntausende von Kubikmetern Epichlorhydrin-verseuchter Luft unkontrolliert in die Umwelt abgegeben wurden, erschien selbst Greenpeace unter den gegebenen Umständen als das kleinere Übel. Jetzt liegt das Schiff, das aus Sorge um die Gesundheit der Bevölkerung in „freier Natur“ entladen werden sollte, doch im Brunsbüttler Hafen. Gegenüber der Sorge, daß im Sturm weitere Giftfässer leckschlagen, erschien den Verantwortlichen nun eine begrenzte Gefährdung der Bevölkerung hinnehmbar. Grundsätzlich hätte sich auch Greenpeace damit anfreunden können, wenn die Sicherheitszone entsprechend großzügig gewählt worden wäre.

Man kann drüber lamentieren, daß dem ein ungestörter Hafenbetrieb im Wege stand. An der Tatsache, daß bei diesem Unfall immer nur zwischen kleineren Übeln gewählt werden kann, ändert das nichts. Eine Kennzeichnung des Giftfrachters als Gefahrguttransport hätte den Unfall nicht verhindert. Schärfere gesetzliche Bestimmungen werden Schlampereien auch in Zukunft nicht verhindern. Kurz: Es ist sinnlos, sich an den Details dieses Unfalls abzuarbeiten.

Das mit dem Transport derartiger Giftstoffe verbundene Restrisiko ist untragbar. Wenn selbst die Dow-Chemiker darüber rätseln, wie aus dem Epichlorhydrin jenes Dichlorpropanol werden konnte, von dem den Hafenarbeitern schlecht wurde, kann das nur heißen: Hier ist nicht nur der Unfall unbeherrschbar, sondern auch das Produkt. Die Firma Dow mag ihre Produktion für sicher halten. Erst im April mußten 1.000 Einwohner des zwischen Hamburg und Bremen gelegenen Ortes Rotenburg evakuiert werden, als drei glücklicherweise leere Tankwaggons, aus den Gleisen sprangen. Sie transportierten vorher ein anderes Dow -Produkt.

Bei der Chlorchemie geht es nicht mehr um das Auffinden und Minimieren von Schwachstellen. Seveso war und die „Oostzee“ ist der hinreichende Beweis dafür, daß nur der Ausstieg aus der Chlorchemie Sicherheit vor ihren Produkten bietet. Was sich bis heute an Dioxinen, PCBs, PVC, Pestiziden angesammelt hat, wird schwierig genug zu entsorgen sein. Auf den sogenannten Altlasten muß der Schwerpunkt liegen, statt Zeit, Geld und Kreativität darauf zu verschwenden, die tägliche Vergiftung auf ein niedrigeres Niveau zu drücken. Wer das nicht erkennt, hat nicht begriffen, daß diese und noch einige weitere Generationen, in erster Linie damit beschäftigt sein werden, den Dreck der letzten hundert Jahre zu beseitigen - und zwar nicht weil sie Naturromatiker sind oder dem Sauberkeitswahn verfallen, sondern weil sie überleben wollen.

Den Spaß, wieder so richtig rumzusauen - mit umweltverträglichem „Dreck“, versteht sich -, müssen wir späteren Generationen überlassen.

Kai Fabig