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Die „Heerscharen“ sind ausgeblieben

■ Die neue Ausländerpolitik des rot-grünen Senats war im rot-grünen Hessen bereits Praxis / Warnungen der CDU vor der Einwanderungswelle erwiesen sich als unbegründet / Die CDU/FDP-Koalition schaffte die Verbesserungen wieder ab

Wenn heute in Berlin konservative und rechtsradikale Kreise

-von der CDU bis zu den REPs - aufgrund der neuen Ausländerpolitik des SPD/AL-Senats den „Untergang des Abendlandes“ prognostizieren und dabei mit den irrationalen Ängsten der Deutschen vor „Überfremdung“ ihr politisches Spiel treiben, handelt es sich nach Auffassung des Ex -Landtagsvizepräsidenten Bernd Messinger (die Grünen) nur um einen „billigen Abklatsch“ der sogenannten hessischen Verhältnisse der Jahre 86/87. In der Tat: Die rot-grüne Ausländerpolitik der Ära Börner/Fischer hatte den damals noch als Frankfurter Oberbürgermeister im „Römer“ residierenden hessischen CDU-Vorsitzenden Walter Wallmann gar zum Verfassungsbruch animiert. Der spätere Bundesumweltminister und amtierende Ministerpräsident des Landes ignorierte hartnäckig die von SPD-Innenminister Horst Winterstein auf der Grundlage der rot-grünen Koalitionsvereinbarungen herausgegebenen Erlasse zur Familienzusammenführung und zum Bleiberecht für ausländische MitbürgerInnen in Hessen. Nach dem Willen der hessischen Koalitionäre wurde seinerzeit das Nachzugshöchstalter für Kinder ausländischer ArbeitnehmerInnen von 16 auf 18 Jahre heraufgesetzt und der Ehegattennachzug erleichtert. Der zweite Erlaß des Ministers hatte einen weitgehenden Ausweisungsschutz eingeführt. Die Mindestaufenthaltsfrist für die Erlangung einer Aufenthaltsberechtigung wurde von acht auf fünf Jahre verkürzt. Abgeschafft wurde auch die bis dahin übliche Praxis, unverschuldet in Arbeitslosigkeit geratene Ausländer abzuschieben. In Wiesbaden erklärte Minister Winterstein im Juni '86 dazu vor der Landespressekonferenz, daß ein Ausländer, der über lange Jahre hinweg hier gearbeitet und Arbeitslosenversicherung bezahlt habe, nicht mehr ausgewiesen werden dürfe, wenn er seine Arbeit verliere. Das sei eine „unmenschliche Praxis“ gewesen.

Nach zähen Verhandlungen konnten die Grünen dem sozialdemokratischen Partner auch das Zugeständnis abringen, jugendliche und heranwachsende Ausländer auch dann nicht mehr abzuschieben, wenn diese straffällig geworden seien. Ausnahmen waren nur zulässig, wenn es sich bei den Delikten um „schwere Fälle von Rauschgifthandel“ oder um die „Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung“ handelte. Sollte allerdings die Familie des verurteilten jugendlichen Ausländers in der Bundesrepublik leben, wurde nicht abgeschoben.

Mit den rot-grünen Koalitionsvereinbarungen im Bereich Ausländerpolitik gingen am Ende der zahlreichen Verhandlungsrunden selbst die koalitionskritischen Fundamentalisten um Jutta Ditfurth und Manfred Zieran „d'accord“. Und Joschka Fischer warf auf der entscheidenden Koalitions-Mitgliederversammlung der hessischen Grünen gezielt die Ausländerpolitik in die Abstimmungswaage - und die Koalitionsgegner aus den Reihen der Fundamentalisten gingen unter.

Unter ging auch Frankfurts OB Wallmann. Innenminister Wintersteins Erlasse hielten nämlich mehreren gerichtlichen Prüfungen stand. Der Minister konnte denn auch stolz verkünden, daß mit diesen Gerichtsentscheidungen „alle wahrheitswidrigen Behauptungen der Opposition zurückgewiesen“ seien und die neue hessische Ausländerpolitik „rechtsstaatlich und rechtsmäßig“ sei. Winterstein entzog Wallmann die Entscheidungskompetenz bei der Umsetzung des Ausländererlasses und übertrug sie dem Regierungspräsidenten in Darmstadt, der als „Hochkommissar“ den Interessen des Landes gegen den renitenten Wallmann zum Durchbruch verhalf.

Hessen wurde in den knapp 15 Monaten der rot-grünen Koalition nicht zum bevorzugten „Einwanderungsbundesland“ für die „Heerscharen von Ausländern“, die - nach Auffassung von Wallmann und dem heute amtierenden Innenminister Gottfried Milde (CDU) - bereits an den Grenzen des Landes „Aufstellung genommen“ hätten. Die Zahl der in Hessen registrierten Ausländer veränderte sich im Vergleich mit den Vorjahren nur minimal. Nur 3.264 Menschen mit ausländischen Pässen kamen aufgrund der herabgesetzten Fristen für den Daueraufenthalt zusätzlich in den Genuß eines sicheren Aufenthaltsschutzes.

Dennoch hat die seit den Landtagswahlen vom April '87 in Hessen regierende CDU/FDP-Koalition sämtliche Erlasse der Vorgängerregierung bereits kurz nach der Regierungsübernahme eliminiert. Als einen „Beitrag zur Rechtssicherheit“ bezeichnete Innenminister Milde sowohl die neuerliche Herabsetzung des Nachzugsalters für Kinder von 18 auf 16 Jahre als auch die Wiedereinführung der Achtjahresfrist für die Erlangung einer Daueraufenthaltsberechtigung. Darüber hinaus kippte die Regierung Wallmann auch den Ausweisungsschutz für straffällig gewordene jugendliche Ausländer - trotz heftiger Proteste der Kirche, die der Regierung Wallmann „Unmenschlichkeit“ im Umgang mit den ausländischen MitbürgerInnen vorwarfen.

In Reaktion auf den Aufstieg der REPs hat sich die hessische Landesregierung öffentlich für weitere Beschränkungen der Rechte ausländischer BürgerInnen ausgesprochen und in Bonn „Vorschläge gegen den Mißbrauch des Asylrechtes“ eingereicht, die selbst von Wallmanns Koalitionspartner FDP als „überzogen“ charakterisiert wurden.

Letzte hessische Bastion für eine liberale, an humanitären Grundsätzen orientierte Ausländerpolitik ist seit den Kommunalwahlen vom März '89 die Stadt Frankfurt. Ob Volker Hauff (SPD) allerdings zum Momper am Untermain werden wird, dürfte entscheidend von den Kompetenzen abhängen, die der neue Oberbügermeister seinem ehrenamtlichen Dezernenten für multikulturelle Fragen, Daniel Cohn-Bendit (die Grünen), zuschanzen wird. Bis jetzt hat Cohn-Bendit noch nicht einmal eine arbeitsfähige Dezernatscrew. Dabei hat sich der Ehrenamtliche viel vorgenommen: In allen Stadtteilen sollen Ausländerbeiräte geschaffen und danach ein Ausländerbeirat für die gesamte Stadt gewählt werden. Ob Cohn-Bendit den Kampf gegen die ausländerfeindliche Politik der Landesregierung auf der materiellen und der juristischen Ebene aufnehmen wird, steht dagegen in den Sternen. Noch befinde sich das Amt „in der Aufbauphase“.

Klaus-Peter Klingelschmitt

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