Vier Flüchtlinge bedrohen die finnische Nation

Finnland wird von Fremdenhaß und Rassismus erfaßt / Dabei suchten nur 49 Verfolgte 1988 Asyl in dem skandinavischen Land / Ausländerhetze ist gefundenes Fressen für populistische „Landschaftspartei“ / Es hagelt Kritik von amnesty international  ■  Aus Helsinki Reinhard Wolff

Finnland liegt weitab aller Flüchtlingsströme. Gerade 49 Personen wollten im vergangenen Jahr dort politisches Asyl haben - ganze vier wurden aufgenommen. Und das war schon eine Steigerung um 300 Prozent gegenüber 1986 mit nur einem anerkannten Asylsuchenden. Trotzdem ist im Lande, beinahe über Nacht, eine Flüchtlingsdiskussion ausgebrochen, die ein bislang schlummerndes Rassismuspotential enthüllt hat. Rassistische und fremdenfeindliche Parolen werden jetzt bis in die Regierung hinein gedroschen.

Keijo Korhonen heißt der außenpolitische Ratgeber von Ministerpräsident Harri Holkeri - ehemaliger UN-Botschafter seines Landes. Wirft man ihm Rassismus vor, reagiert er sehr empört. Aber wie anders sollte man Äußerungen von ihm einordnen, wenn er im Hinblick auf Ausländer und Flüchtlinge meint, Finnland brauche nicht ausländische „Errungenschaften wie Drogenhandel, organisierte Bandenkriminalität und andere derartige Probleme“.

Das ist nicht etwa ein einmaliger „Ausrutscher“. Seit Wochen zieht Korhonen durch das Land und nimmt an Veranstaltungen teil, auf denen er reihenweise solche Rundumschläge verbreitet, die überdies von der Mehrzahl seiner ZuhörerInnen mit eifrigem Beifall bedacht werden. Ministerpräsident Holkeri nennt das „private Meinungen“ seines Ratgebers, ohne sich wirklich von dessen fremdenfeindlichen Äußerungen zu distanzieren. Die Frage, welche Ratschläge dieser Berater dem Präsidenten eigentlich erteilt, sollte in diesem Zusammenhang auch gestellt werden.

Stimmungsmache in Medien und Parteien

„In Finnland wohnen Finnen - und so soll es bleiben“, lautet eine der Parolen, die „in“ ist. Eine wahre Flut von Diskussionsbeiträgen über Ausländer- und Flüchtlingspolitik überzieht derzeit die Medien in Finnland. Korhonen ist nur ein prominenter Name, an Nachahmern, die noch viel „deutlicher“ werden als er selbst, fehlt es nicht. So hat vor allem die kleine populistische „Landschaftspartei“, auch für die regierenden Sozialdemokraten durchaus koalitionsfähig, sich flugs auf das „neue“ Thema gestürzt. In der Hoffnung offenbar, einen ähnlichen Aufschwung zu erleben wie die „Fortschrittsparteien“ in Dänemark und Norwegen, die ebenfalls mit dem Ausländerthema Stimmen sammeln. „Die Flüchtlinge stehlen uns unsere Arbeit und unsere Kindergartenplätze“, befand unlängst der Reichstagsabgeordnete der „Landschaftspartei“, Sulo Aittoniemi. „Wer sagt mir denn, ob ein vietnamesischer Bootsflüchtling seinen Finger unter Folterungen verloren hat oder ganz einfach unter einer Kreissäge?“ Das Niveau der Fernsehdiskussionen scheint nach unten keine Grenzen zu kennen.

Warum das Flüchtlingsthema freilich in der letzten Zeit einen so breiten Raum in der öffentlichen Diskussion einnimmt, ist schwer zu verstehen. Finnlands Grenzen sind für Asylsuchende so gut wie dicht. Neben einigen hundert Kontingentflüchtlingen - meist Vietnamesen-, die in den vergangenen Jahren aufgenommen worden sind, lassen sich die „Spontanflüchtlinge“ an einer Hand abzählen. Trotzdem geht die Angst vor Überfremdung um und wird auch gnadenlos ausgeschlachtet. „Bevor nicht unsere eigenen Arbeitslosen beschäftigt werden können, sind schon 50 Flüchtlinge zu viel“, meint Tina Mäkelä von der „Landschaftspartei“ und stößt damit auf breite Zustimmung. „Gebt den Vietnamesen lieber Geld, dann wenden sie ihre Nasen wieder Richtung Ferner Osten“, ist das Rezept seines Parteifreundes Aittoniemi. Wenn an diesen Parolen seitens der Politiker anderer Parteien kaum ein öffentliches Wort der Kritik zu hören ist, dann ganz einfach deshalb, weil sie davon ausgehen müssen, daß Aittoniemi, Korhonen und Mäkelä die überwiegende Mehrheit der Finnen repräsentieren.

Asylsuchende aus der UdSSR abgewiesen

Flüchtlinge aus der Sowjetunion beispielsweise sollten ganz schnell die Fährschiffe nach Schweden aufsuchen, ohne sich vorher bei irgendeiner finnischen Behörde zu melden. amnesty international (ai) hat nämlich eine Liste von sowjetischen Flüchtlingen zusammengestellt, die abgeschoben wurden, ohne einen Asylantrag stellen zu können. Einige mußten dann nachweislich mehrere Jahre in sowjetischen Arbeitslagern verbringen. Daß hinter den bekannt gewordenen Fällen eine weit höhere Dunkelziffer steht, daran dürften keine Zweifel bestehen.

In Dänemark hatte die Regierung vor einiger Zeit erwogen, Finnland von der Liste der „sicheren“ Zufluchtsländer zu streichen. Auf dieser Liste stehen die Staaten, in die Dänemark Asylsuchende zurückschickt werden können, wenn sie über diese Länder eingereist waren. Grund für diese Entscheidung: Das angeblich „sichere Drittland“ Finnland war einer Gruppe tamilischer Flüchtlinge zum Verhängnis geworden. Über Warschau und Helsinki nach Kopenhagen eingereist, waren sie von den Dänen nach Helsinki zurückgeschickt worden, wo die finnischen Behörden trotz der Auslieferungsgefahr durch Polen diese Flüchtlinge nach Warschau verfrachteten. Doch Polen steht auf der Liste der „unsicheren“ Länder.

Flüchtlinge sollten gleich einen Anwalt mitbringen

Finnland hat natürlich die UN-Flüchtlingskonvention unterschrieben. Wer aber wirklich auf die Idee kommen sollte, hier Asyl zu beantragen, tut gut daran, finnisch zu sprechen und am besten in Begleitung eines Anwalts die Grenze zu überschreiten. Ansonsten läuft er oder sie - so eine seit Jahren anhaltende Kritik von ai - erstaunlich häufig Gefahr, überhaupt nicht „verstanden“ zu werden und als bloßer „Grenzüberschreiter“ umgehend abgeschoben zu werden.

Sicherlich ist die Kritik von amnesty international nicht ganz folgenlos geblieben. Nein, das Innenministerium ließ eine vorbildliche Broschüre in mehreren Sprachen drucken, in der jeder Flüchtling auf seine Rechte hingewiesen wird. Auf dieses Heftchen wird denn auch gerne verwiesen, wenn wieder einmal ausländische Kritik an der finnischen Flüchtlingspolitik laut wird.

Die Sache hat nur einen Haken: Die Broschüre liegt seit Herbst 1987 in einem Kellerraum des Innenministeriums, gestoppt vom Chef des Ausländerreferats, der mit eigenhändiger Unterschrift verfügt hatte, wegen „Unvollständigkeit“ dürfe der Leitfaden nicht verteilt werden. Ein Sozialarbeiter hatte die Geschichte ans Licht gebracht, nachdem er verwundert feststellen mußte, daß keiner der Flüchtlinge, mit denen er arbeitete, diese Broschüre kannte.