: Die Wahlkämpfer und der Santo Domingo
■ In Nicaragua ist der Vorwahlkampf in vollem Gange, unterbrochen nur vom Volksfest des „Heiligen Sonntag“
Offiziell beginnt der Wahlkampf erst in drei Wochen, aber längst sitzen Nicaraguas Parteien in den Startlöchern, die 21 Oppositionsgruppierungen feilschen um einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten - oder eine Kandidatin. Die Regierung will für den entscheidenden 25.Februar nächsten Jahres nicht noch einmal wie 1984 einen Wahlboykott der Rechtsparteien riskieren und hat deshalb einen „Nationalen Dialog“ mit der Opposition angeboten, der heute beginnen soll.
Schweißüberströmt schiebt sich ein Mann auf den Knien bergan, die Augen mit einem Tuch verbunden. Verwandte stützen ihn auf beiden Seiten und breiten Handtücher vor ihm aus, damit er sich die Knie nicht wundscheuert. Wallfahrt in Managua. Die Rutschpartie endet in der Kirche vor einer zigarrenkistengroßen Heiligenstatue unter Glas: Santo Domingo, der Stadtheilige von Managua. Das Gelübde ist erfüllt - der Gläubige löst die Binde von seinen Augen und betrachtet ein paar Augenblicke lang den Schutzpatron, dem übernatürliche Kräfte zugeschrieben werden. Dann kommt bereits die nächste, völlig erschöpfte Sünderin herangerutscht.
Einem alten Brauch folgend, tragen die Bürger von Nicaraguas Hauptstadt ihren Heiligen jedes Jahr am 1.August von der Santo-Domingo-Kirche auf einer Anhöhe wenige Kilometer südlich der Hauptstadt in das gleichnamige Gotteshaus im alten Stadtzentrum. Die Prozession wird von folkloristischer Musik und Tänzen begleitet. Schon die ganze Nacht vor der „Talfahrt“ herrscht in der Umgebung Jahrmarktsstimmung. Die Gläubigen tanzen zum Klang von Gitarre und Marimba. Frauen bieten billig Devotionalien feil, Männer verkaufen Knallkörper und Leuchtraketen.
Vor der Kirche tobt an den Jahrmarktsbuden das Glücksspiel, die Rumverkäufer machen Rekordumsatz. Rundum auf der Straße und am Straßenrand liegen knutschende Pärchen und die ersten Schnapsleichen, die den Aufbruch des Heiligen um 5 Uhr früh mit Sicherheit verschlafen werden.
Das größte Fest Managuas lockt alle an: da ist der 20jährige Manuel, der gerade erst seinen zweijährigen Wehrdienst absolviert hat und dessen T-Shirt zehn Jahre Revolution bejubelt; da ist auch die 24jährige Yamileth, deren Bruder bis vor wenigen Monaten als ehemaliger Nationalgardist hinter Gittern saß und die letzten Sonntag bei einer Demonstration der Konservativen Partei mitmarschierte. Der sonst eher steif auftretende Bürgermeister der Hauptstadt'Carlos Carrion, ist am Nachmittag mit Cowboyhut erschienen, um der traditionellen Wahl der „India bonita“ - der schönen Indianerin beizuwohnen. Und als - auch das ist Teil des Santo-Domingo -Festes - am Montag die alte Bourgeoisie des Landes bei der Reiterparade hin zum luxuriösen Intercontinental-Hotel ihren großen Auftritt hat, läßt es sich auch der sandinistische Parlamentssekretär Rafael Solis nicht nehmen, seine 90 Kilo in den Sattel zu schwingen.
Nationaler Dialog
Ein paar Tage lang treten Parteipolitik und Wahlkampf in den Hintergrund: die Heiligenverehrung mit all ihren heidnischen Bräuchen ist den meisten Einwohnern von Managua gemeinsam, vor allem den proletarischen. Unmittelbar danach wird es allerdings wieder politisch: Daniel Ortega hat für den heutigen Mittwoch die erste Runde eines Nationalen Dialoges einberufen, an dem Vertreter aller zugelassenen Parteien letzte Hindernisse aus dem Weg der Wahlvorbereitungen räumen sollen. Die Gespräche sind schon ein Politikum, bevor sie überhaupt begonnen haben: Noch rechtzeitig, bevor am Wochenende in Honduras die fünf zentralamerikanischen Präsidenten die Beratungen über die Zukunft ihres Friedensplanes („Esquipulas II“) beginnen, will Ortega den Oppositionsparteien zunächst die Position darlegen, mit der seine Regierung zum Gipfel reist.
Später soll es dann zu konkreten Gesprächen kommen, wo die Parteien alles vorbringen können, was sie an der bisherigen Vorbereitung der Wahlen am 25.Februar 1990 auszusetzen haben. „Ortega will keinen Dialog, er will uns einen Vortrag halten“, protestiert ein Vertreter des größten Oppositionsbündnisses „UNO“ (Union Nacional Opositora). Und die Chefredakteuerin des rechten Kampfblattes 'La Prensa‘, Cristina Chamorro, ruft sofort beim costaricanischen Präsidenten Oscar Arias an, um dem Friedensnobelpreisträger eine Verurteilung der Sandinisten zu entlocken. Am nächsten Tag prangt dann prompt auf dem 'Prensa'-Titel die Schlagzeile: „Oscar Arias: So hab ich mir den Dialog nicht vorgestellt.“
Arias gegenüber hatte sich Daniel Ortega Mitte Juli zur Einberufung des Nationalen Dialoges verpflichtet. Allerdings gab und gibt es über seine Ausgestaltung grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten. Die Regierung bietet an, mit den Parteien, die zur Wahl antreten wollen, die Durchführungsbestimmungen zum Wahl- und zum Mediengesetz zu diskutieren. Bestimmungen, die im Gesetz unklar sind oder mehrere Auslegungen zulassen, sollen geklärt werden. Darunter fällt etwa das Problem der Wahllokale für Soldaten. Die Opposition läuft Sturm gegen die Möglichkeit, daß die Uniformierten in den Kasernen ihre Stimmen abgeben, weil dort psychologischer Druck herrsche. Läßt man sie allerdings an den zivilen Wahlurnen in den Gemeinden abstimmen, wo sie gerade stationiert sind, besteht die Gefahr, daß das Ergebnis für die lokalen Vertretungen verzerrt wird.
Die meisten Oppositionsparteien treten überhaupt für die Demobilisierung der Armee ein. Man müsse der Contra eben glauben, wenn sie verspricht, die Wahlen nicht zu stören. Darüber hinaus hat die Oppositions-Uno die Neubesetzung des Obersten Wahlrates auf ihre Wunschliste gesetzt sowie die Abänderung einer Anzahl von Paragraphen des Wahl- und des Mediengesetzes.
Die Uno - ein Bündnis, das von den Kommunisten Altamiranos über den ehemaligen Contra-Chef Alfredo Cesar mit seinen Sozialdemokraten bis zu den rechtsextremen Konservativen unter Matamoros reicht - vertritt außerdem die Meinung, daß sie die einzig legitime Vertreterin der Opposition sei. Die Führer der übrigen sechs Parteien - drei kritisieren die regierende FSLN von links, vier sind eher Mitte-rechts angesiedelt - seien verkappte Sandinisten. Deswegen beansprucht die Uno, die beiden Oppositionsvertreter im Obersten Wahlrat allein zu stellen, und der Dialog solle in erster Linie zwischen FSLN und Uno geführt werden. Die Regierung argumentiert, daß das Bündnis formal gar nicht existiert, weil es sich beim Wahlrat noch nicht als Wahlbündnis eingeschrieben hat.
Oppositionskandidaten
Spannend wird die Wahl des Einheitskandidaten der Opposition für die Präsidentschaft. Uno-intern sind nur mehr drei Namen ernsthaft im Gespräch. Denn Enrique Bolanos Geyer, der ehemalige Präsident des Unternehmerverbandes, der von der extremen Rechten favorisiert wird, ist den meisten Bündnispartnern zu radikal. Zu den übriggebliebenen zählt Virgilio Godoy, seit ewigen Zeiten Chef der Unabhängigen Liberalen Partei (PLI), der allerdings deutlich angeschlagen ist, seit öffentlich wurde, daß er Gelder der Friedrich -Naumann-Stiftung möglicherweise nicht nur in die Parteikasse gesteckt hat.
Zum Kompromißkandidaten könnte der greise Emilio Alvarez Montalvan werden. Der renommierte Mediziner gehörte schon unter Somoza der oppositionellen Konservativen Partei an, hat sich aber im Gegensatz zu anderen nie von der Diktatur kaufen lassen.
Am meisten Wind macht derzeit Violeta Barrios de Chamorro, Witwe des unter Somoza ermordeten 'La Prensa'-Verlegers Pedro Joaquin Chamorro. Die heutige Herausgeberin der Oppositionszeitung kann vor allem das Prestige ihrer Zeitung bei den Rechten im In- und Ausland in die Waagschale werfen. Für sie spricht auch, daß sie zwar dem Unternehmerverband „Cosep“, aber keiner Partei angehört. Doch viele trauen ihr nicht, weil sie „mangels eigener politischer Meinung von ihren Familienmitgliedern manipuliert wird“, wie es ein Oppositionspolitiker formuliert. „Dona Violeta“ wird vor allem von ihrer eigenen Zeitung aufgebaut, die deren Konterfei schon gelegentlich dreimal auf einer einzigen Titelseite plaziert.
Offiziell beginnt die erste Phase des Wahlkampfes am 25.August. Ab diesem Datum müssen Versammlungen und Demonstrationen nicht mehr von der Regierung genehmigt werden, und jede Partei kann im 2.Fernsehkanal nach Belieben und nach Maßgabe ihrer Wahlkampfkasse bezahlte Werbung unterbringen. Bis dahin sollen auch alle Kandidaten feststehen. In Wahrheit tobt die Kampagne aber schon seit langem. „Die FSLN hat den Wahlkampf noch nicht begonnen“, erklärt Comandante Bayardo Arce, der stellvertretende Parteichef der Sandinisten, „wir sind uns aber bewußt, daß die Feierlichkeiten um den 19.Juli unseren Interessen gedient haben.“
Die momentane Verschnaufpause dauert wahrscheinlich nicht länger, als bis Daniel Ortega vom Gipfel in Honduras zurückkehrt - und bis Santo Domingo am 10.August wieder in seine Heimatkirche zurückgebracht wird.
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