: „Freiheit mit Sicherheit“
Thesen der Grünen zur Rechts- und Innenpolitik (in Auszügen) ■ D O K U M E N T A T I O N
These1: Die Individualität der Menschen stärken, solidarisches Handeln fördern
Die Grünen gehen von einem Menschenbild aus, welches die Fähigkeit zur Emanzipation, das heißt dem Freimachen von Fremdbestimmung stärkt und Sicherheit durch soziale und solidarische Entscheidungen möglich macht.
Das Eingreifen demokratischer Instanzen ist dort zu fördern, wo demokratisch nicht legitimierte Machtstrukturen existieren. Dabei muß staatliches Handeln jederzeit einsichtig und kontrollierbar bleiben. Wir fordern Vorrang für das Prinzip der Selbstbestimmung.
Die Voraussetzung, daß Bürgerinnen und Bürger ihre Grundrechte wahrnehmen können, ist, daß sie sich politisches Engagement „leisten“ können. Das heißt, daß ihre Existenzsicherung soweit gewährleistet werden muß, daß Raum zu sozialer und politischer Einmischung bleibt.
These2: Den Schutz der Privatheit verwirklichen
Die Grünen meinen, daß alle Gesetzgebung im parlamentarischen Verfahren nicht nur einer Kostenabschätzung, sondern auch einer Datensparsamkeitsprüfung unterzogen werden muß. Gesetze wären demnach so zu gestalten, daß sie das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht durch umfängliche Datenerhebung einengen. Regelmäßige „Datenkontoauszüge„, die BürgerInnen darüber informieren, wer welche Daten zu welchem Zweck über sie speichert, sollen dieses Recht verstärken.
These3: Gläserner Staat statt gläserne BürgerInnen als Voraussetzung für Demokratie
Wenn BürgerInnen vom Objekt staatlicher Planung zum Subjekt politischen Handelns werden sollen, muß das bisherige Prinzip, daß sich staatliches Handeln in der Regel im Geheimen vollzieht, überwunden werden. An seine Stelle muß das Prinzip des gläsernen Staates treten (...).
Als erster Schritt muß ein Akteneinsichtsrecht in Umweltakten verwirklicht werden, erst dadurch können andere Rechte, wie z.B. das Klagerecht für Umweltverbände zu wirksamen Instrumenten der Mitentscheidung werden.
These4: Den demokratischen Streit entstaatlichen
Radikaldemokratische Politik fordert den offenen Diskurs über alle denkbaren politischen Alternativen, seien sie noch so abwegig.
Die bisherige Praxis des „Verfassungsschutzes“ hat der Demokratie mehr geschadet als genützt.
Streit und Auseinandersetzung mit abweichenden Meinungen ist die bessere Alternative zum „Verfassungsschutz“, der aufzulösen ist.
These5: Im Zweifel für direkte Demokratie
Die Grünen fordern eine Ergänzung der repräsentativen Demokratie durch den Ausbau direkt demokratischer Entscheidungsrechte. Ein erster Schritt hierzu ist die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene.
These6: Demokratische Kontrolle der Exekutive
Solange noch die Exekutive die wesentlichen Entscheidungen ohne das Parlament trifft, oder dies in die Rolle des parteipolitischen Zustimmungsorgans der Regierungsmehrheit verwiesen wird, muß doch zumindest gefördert werden, daß das Parlament verstärkt zum Ort der politischen Öffentlichkeit wird.
Die Verlagerung von politischen Entscheidungen auf die EG -Ebene verstärkt derzeit die Entmachtung des Bundestages und muß durch mehr Beteiligung - z.B. Ratifizierungsvorbehalte von EG-Entscheidungen und Richtlinien - zurückgewonnen werden.
Auch die Besetzung bestimmter öffentlicher Ämter, wie der des Bundesdatenschutzbeauftragten, der Frauen- und Ausländerbeauftragten oder von Bürgeranwälten (Ombudsleuten) gehört in die Kompetenz des Parlaments.
These7: Das Parlament demokratisieren
Mit der Änderung des Wahlrechts wollen die Grünen den BürgerInnen mehr Einfluß auf die Zusammensetzung und Reihenfolge der ListenkandidatInnen der Parteien geben.
Durch eine Korrektur der Parteienfinanzierungsgesetze müssen Spendenpolitik und Einflüsse von Industrie und Interessenverbänden zurückgedrängt werden. Die WählerInnen sollen bei der Stimmabgabe auf ihren Wahlzettel gleichzeitig durch die Vergabe eines „Bürgerbonus“, entscheiden, welche Gruppe, Partei oder Bürgerinitiative finanzielle Zuwendungen zur politischen Arbeit erhalten soll.
These8: Demokratiefreie Räume vermindern
Zunehmende ökologische und ökonomische Krisen werden nur beeinflußbar oder verhinderbar sein, wenn durch neue Formen der Machtkontrolle die Rechte der Betroffenen gestärkt werden.
Dies erfordert neue Formen der inner- und überbetrieblichen Demokratie, Vetorechte für MitarbeiterInnen und Betriebsräte in Fragen der Kriegs- und Giftproduktion, Arbeitsverweigerungsrechte in Produktionsbereichen, die für MitarbeiterInnen oder die Allgemeinheit gefährlich sind. Umfassende Informationsrechte der Betriebsräte, das Recht auf ökologisch-politische Streiks, der Einfluß von VerbraucherInnen auf Produktionsentscheidungen sind weitere Schritte zur Gefahrenverhinderung.
These9: Die Verwaltung reformieren
Die Abschaffung des Berufsbeamtentums und der „besonderen Treuepflicht“ ist als Schritt zur Umgestaltung der obrigkeitsstaatlichen zur demokratischen Leistungsverwaltung anzustreben.
These10: Grundrechte müssen für alle gelten
Es ist Ziel Grüner Innenpolitik, gesellschaftliches Handeln darauf auszurichten, nationale und ethnische, religiöse und weltanschauliche, sexuelle oder kulturelle Andersartigkeit zu akzeptieren und in ihren Rechten zu stärken.
These11: Das Asylrecht ist unantastbar - Einwanderung politisch gestalten
Für die in der Vergangenheit zu uns gekommenen Eingewanderten und Flüchtlinge sind menschenwürdige und rechtlich angemessene Bedingungen zu schaffen. Dazu gehören ein Bleiberecht für Flüchtlinge, die aus Furcht vor Verfolgung nach der Genfer Flüchtlingskonvention auf Zeit zu uns kommen. Möglichkeit doppelter Staatsangehörigkeit, Nachzugsrecht für Familienangehörige und eigenständiges Aufenthaltsrecht für Frauen, Wahlrecht auf kommunaler, Landes- und Bundesebene für alle AusländerInnen, die weiterhin hier leben und arbeiten wollen.
These12: Rechte für zukünftige Generationen
Entscheidungen, die zukünftig nicht revidierbar sind, sind im Ansatz undemokratisch.
Deshalb ist eine gesellschaftliche Diskussion darüber notwendig, ob es neue demokratische Entscheidungsverfahren geben kann, die das Handeln von Minderheiten gegen die Interessen der Mehrheit oder gegen die Zukunftsinteressen kommender Generationen verhindern können.
These13: Medien- und Rundfunköffentlichkeit als Voraussetzung der Demokratie
Funktion und Zusammensetzung der Rundfunkräte müssen öffentlich stärker in Frage gestellt werden. Privatisierung des Rundfunks und Vervielfachung der Programmangebote können keine Heilmittel sein, weil sie Parteieinfluß in der Regel durch einseitige Profitinteressen ersetzen.
These14: Funktion und Grenzen des Strafrechts
Abschreckung und Sühne als Strafzwecke sind archaischen Ursprungs und moderner Strafrechtspolitik fremd. Resozialisierung und Verhinderung von Rückfalltäterschaft müssen dagegen verstärkt werden.
Politisches Strafrecht wie die §§129a und 130aStGB, die eine Gesinnung oder Meinung bestrafen, wirken zerstörerisch auf die Substanz einer freien Gesellschaft. Sie sind ebenso überflüssig und inhuman wie Sonderhaftbedingungen für politisch motivierte Straftäter.
Eine Entkriminalisierung des Drogengebrauchs würde den Betroffenen wie der Verfolgung der am Drogenhandel Verdienenden mehr nützlich sein als der geltende Rechtszustand.
These15: Die Polizei kann die Politik nicht ersetzen
Eine wesentliche Aufgabe des Gemeinwesens ist die Bereitstellung von Rahmenbedingungen, die eine friedliche Konfliktaustragung widerstreitender Interessen ermöglichen.
Auch die Struktur der Polizei und ihre Ausbildung und Ausrüstung prägen die Struktur des Gemeinwesens entscheidend mit. Hochgerüstete Polizei- und Sicherheitsapparate mit umfassenden Kompetenzen gefährden die Freiheit mehr, als sie sie schützen können.
Die Polizei darf nicht für die Aufgaben mißbraucht werden, die die Politik bewältigen muß.
These16: Demokratie braucht Bewegung
Politik beschränkt sich nicht auf Parteien und Parlamente. Grüne Rechts- und Innenpolitik muß deshalb eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für eine Demokratisierung der Gesellschaft „von unten“ nach radikaldemokratischen Gesichtspunkten leisten.
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