Tiefe Meßlatte

■ Zum Thesenpapier der Grünen zur Innen- und Rechtspolitik

Was immer die Grünen in Bonn derzeit sagen, tun und schreiben - sie werden es in den nächsten Wochen und Monaten unter dem Blickwinkel einer möglichen rot-grünen Koalition begutachten lassen müssen. Das war auch den Autoren der sechzehn Thesen zur grünen Rechts- und Innenpolitik klar, die am Mittwoch in Bonn vorgestellt wurden. Offiziell gelten diese Quasi-Essentials der grünen Bundestagsfraktion als Diskussionspapier für die eigene Partei, als Entwurf für ein mittelfristiges Parteiprogramm. Geschrieben wurden sie aber auch als „Orientierungspunkte für eine verhandelbare Programmatik“ mit den Sozialdemokraten.

Als solches jedoch sollten die Grünen dieses Thesenpapier schnellstens dem Reißwolf zum Fraß vorwerfen: Zweiundzwangzig Seiten füllen viele kuschelige Worte vom „gläsernen Staat“, vom „Schutz der Privatheit“ und der „Demokratisierung der Gesellschaft von unten“, die auf dieser Abstraktionsebene sicher sämtliche im Bundestag versammelten Parteien unterschreiben könnten, dazu magere konkrete Forderungen, mit denen diese Postulate politisch gefüllt werden sollen. Hinter einer dicken schillernden Seifenblase aus schön formulierten gesellschaftlichen Rundumbetrachtungen bleiben nur noch wenige belebende grüne Giftspritzer sichtbar. Da, wo es endlich konkret wird, weicht das Thesenpapier der Fraktion häufig hinter die selbst eingebrachten Gesetzentwürfe zurück. In anderen wichtigen Punkten, wie zum Beispiel der Frage der offenen Grenzen für AusländerInnen, steht das Papier sogar in klarem Dissens zur bisherigen Politik der Grünen. Statt eines generellen Akteneinsichtsrechtes etwa fordert das grüne Papier bescheiden nur ein Einsichtsrecht für Umweltakten. Und die aktuelle Diskussion um die Legalisierung von Drogen umschiffen sie mit den dürren Worten, eine Entkriminalisierung des Drogengebrauchs könne sicher „nützlich sein“.

Sicher, das Thesenpapier enthält einige Kröten, die die SPD nicht schlucken wird, wie zum Beispiel die Abschaffung des Verfassungsschutzes oder das Wahlrecht für Ausländer. Als Verhandlungsgrundlage, von der man erfahrungsgemäß noch Abstriche machen muß, hängt dieses Papier die Meßlatte jedoch so niedrig, daß die Sozialdemokraten ohne Anlauf drüberhüpfen können. Von den „radikaldemokratischen“ Grünen bliebe dann nicht viel mehr übrig als die manchmal gar nicht tugendhafte Bescheidenheit.

Vera Gaserow