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Britische Wasserwerke werden verschenkt

Privatisierungspolitik der Londoner Regierung wird immer kostspieliger, anstatt daß sie etwas einbringt / Wegen EG-Auflagen für sauberes Wasser müssen künftige private Wasserwerke gewaltige Investitionen vornehmen / Kritiker erwarten, daß Preiserhöhungen von 30 Prozent die Inflation wieder anheizen werden  ■  Von Ralf Sotscheck

Die britische Regierung zieht ihre Privatisierungspolitik unbarmherzig auf Kosten der SteuerzahlerInnen durch. Nachdem die 50-Milliarden-Rechnung für die Stillegung acht veralteter Atomkraftwerke aus dem Staatssäckel bezahlt wird (siehe taz vom 2.8.), damit der Verkauf der Stromindustrie im nächsten Jahr glattgeht, bescherte die Regierung der Wasserindustrie nun eine „grüne Mitgift“ in Höhe von 3,5 Milliarden Mark, um die Privatisierung nicht zu gefährden.

Die Pläne des Thatcher-Kabinetts waren nämlich vorübergehend ins Wanken geraten, nachdem die Europäische Kommission vor zwei Wochen gerichtliche Schritte angekündigt hatte, falls die britische Regierung nicht die europäischen Gesetze über die Reinheit des Trinkwassers einhalten würde. Unabhängige Untersuchungen hatten ergeben, daß das Trinkwasser zuviele krebsfördernde Nitrate enthält. In Schottland wurden stark erhöhte Bleiwerte festgestellt, was zu Gehirnschäden bei Kindern führen kann. Die Kommission forderte, daß sich Großbritannien bis spätestens 1993 an die in einer EG-Direktive im Jahr 1985 festgelegten Höchstwerte für 44 gesundheitsgefährdende Fremdstoffe im Wasser halten soll. Die britische Regierung drohte den von den Wasserwerken angestellten Wissenschaftlern daraufhin strafrechtliche Verfolgung an, falls sie ihre eigenen Untersuchungsergebnisse über die Wasserqualität veröffentlichen würden.

Die „grüne Mitgift“ soll für Maßnahmen verwendet werden, die das Trinkwasser verbessern. Darüber hinaus wurden den zehn Wasserbehörden in England und Wales, die am 22. November privatisiert werden, sämtliche Schulden in Höhe von 15 Milliarden Mark erlassen. Aufgrund der gesäuberten Bilanz können die Wasserunternehmen in den nächsten zehn Jahren 50 Milliarden Mark an Krediten aufnehmen, um die fällige Modernisierung der Wasserindustrie zu finanzieren.

Doch auch mit dieser generösen Geste ist es Thatcher nicht gelungen, die Wasserpreise stabil zu halten und die Inflation - ihr größtes Problem in Hinblick auf die nächsten Parlamentswahlen in zwei Jahren - einzudämmen. Die Wasserindustrie bestand darauf, die Preise für die nächsten zehn Jahre um einen über der Inflationsrate liegenden Faktor zu erhöhen. Dieser „K-Faktor“ wurde im Durchschnitt bei fünf Prozent angesetzt. Doch damit nicht genug: Die Wasserindustrie darf außerdem bisher unbekannte oder noch nicht kalkulierte Sonderkosten auf die Preise umlegen. Dazu gehören umweltschützende Maßnahmen, Preiserhöhungen in der Bauindustrie und die Installation von Wasseruhren. Andrew Lees, ein Sprecher der Umweltschutzorganisation „Friends of the Earth“, beschuldigte die Regierung, den „K-Faktor“ aus kosmetischen Gründen niedrig zu halten, während bereits bekannte Kosten für umweltschützende Maßnahmen als Sonderkosten an die Verbraucher weitergegeben werden. Kritiker sagen deshalb voraus, daß die Wasserpreise real um 30 Prozent pro Jahr steigen werden. Ann Taylor, Wasserexpertin der Labour Party, nannte die „grüne Mitgift“ einen müden Versuch, die Börsenbestechung in einen grünen Mantel zu hüllen.

Der Sprecher der für die Sauberkeit der Flüsse zuständigen Behörde mit dem trefflichen Namen Hugh Fish erklärte, daß die Verbesserung des Trinkwassers am billigsten durch individuelle Filter erreicht werden könne, die an jedem britischen Küchenhahn angebracht werden müßten. Es würde ausreichen, die Küchen mit genießbarem Wasser zu versorgen, da es keinen Sinn habe, „sauberes Wasser in den Klos hinunterzuspülen oder über unsere Autos zu kippen“. Die Kosten dafür sollen ebenfalls die Verbraucher tragen, da die Filter im Interesse ihrer Gesundheit liegen würden.

Das Privatisierungspaket der britischen Regierung ist von der Opposition, von Verbraucherorganisationen und von Umweltschutzgruppen scharf kritisiert worden. Umfragen haben ergeben, daß 79 Prozent der Bevölkerung die Privatisierung der Wasserindustrie strikt ablehnen. Jack Cunningham, Umweltsprecher der Labour Party, fragte: „Wenn soviel Geld vorhanden ist, um die Schulden abzuschreiben und die Wasserqualität zu verbessern, warum können die Wasserwerke dann nicht im öffentlichen Sektor bleiben?“ Die Privatisierung der Wasserindustrie wird ohnehin höchstens 22 Milliarden Mark einbringen. Rechnet man diesen Betrag gegen den Schuldenerlaß und die Mitgift auf, bleibt unter dem Strich nicht viel übrig. Die Wasserindustrie wird praktisch verschenkt.

Der für die Planung und Durchführung der Privatisierung verantwortliche Staatssekretär Michael Howard verteidigte dennoch sein Projekt. Es sei eine „grüne Strategie“, die den Kampf gegen Umweltverschmutzung verstärken und deshalb den Verbrauchern zugute kommen werde. Wie sich die von Thatcher stets beschworenen Marktkräfte jedoch zum Wohl der Verbraucher auswirken sollen, bleibt rätselhaft. Schließlich kann kein privates Wasserunternehmen seine Marktanteile auf Kosten der Konkurrenz ausdehnen, weil es gar keine Konkurrenz gibt. Außerdem müssen die Unternehmen keine Angst vor dem Bankrott haben. Welche britische Regierung wird den WählerInnen erklären, daß die Wasserwerke pleite sind und die Hähne deshalb abgedreht werden? Der 'Guardian‘ vermutet, daß die „Wasser-Folter“ die Thatcher-Regierung bis zu den nächsten Wahlen verfolgen wird.

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