Die Anderen

■ Les Echos: Geisselaffäre im Libanon / Liberation: Kurdenmord in Wien / Le Figaro: Gegenmacht in der UdSSR / Paris Normandie: DDR-Flüchtlinge / Der Bund: Mittelamerika / Independent: Wahlen in Nicaragua / Il Messagero: Ungarn

'Les Echos‘

Das Pariser Wirtschaftsblatt meint zur israelisch -libanesischen Geiselaffäre:

In einer spektakulären Wendung hat der iranische Präsident Rafsandschani den USA in der Geiselaffäre unter der Bedingung seine Hilfe angeboten, daß Washington auf Gewalteinsatz verzichtet. Doch zwei Elemente sollten den darauf gründenden allgemeinen Optimismus dämpfen. Zuerst einmal schwieg fast die gesamte örtliche Presse zu den Vorschlägen des iranischen Präsidenten, und es scheint so, als wären die Erklärungen Rafsandschanis, der mit einer knallharten Opposition rechnen muß, nur für den äußeren Gebrauch bestimmt. Zweitens hat die Hizbollah an diesem Wochenende fünfe wieder gerade sein lassen, indem sie als Vorbedingung jeder Diskussion über die Geiseln die Befreiung des Scheichs Obeid verlangte. Die sehr positive Erklärung des algerischen Botschafters in Beirut, der bestätigt hat, daß sein Land über die Freilassung aller westlichen Geiseln verhandelt, scheint jedoch zu belegen, daß das Problem „dabei ist, sich zu klären“, um mit seinen eigenen Worten zu sprechen. Die Angehörigen der Geiseln müssen sich jedoch noch in Geduld üben. Und vor allem darauf warten, daß Rafsandschani, wenn er wirklich gute Absichten hegt, sich der Ultras entledigt, die weiter in seiner Umgebung herumwimmeln und sein Regime ernsthaft bedrohen.

'Liberation‘

Zu den Ermittlungen um den dreifachen Kurdenmord in Wien schreibt die linke Pariser Tageszeitung:

Die Version, die sich nach und nach in den zuständigen österreichischen Kreisen abzeichnet, läuft auf „Flügelkämpfe“ innerhalb des iranischen Regimes hinaus. Dschaafari Sahrarudy, der Mann Rafsandschanis, soll tatsächlich Verhandlungen angebahnt haben, deren Saboteur Hadschi Mostafawi, ein Mann von Mohamad Rayschari, Minister der Nachrichtendienste und einer der „Hardliner“ des Regimes, mit oder ohne Hilfe von Busurgian und einem eventuellen vierten Mann wäre. Diese These, die bereits plausibler klingt als die von den Iranern selbst angeführte, die die israelischen Geheimdienste oder die „Volksmudschaheddin“ beschuldigen, hat vor allem das Verdienst, daß sie vielen gelegen kommt. Zuallererst Österreich, das damit von der Last befreit ist, es mit dem gesamten iranischen Regime aufnehmen zu müssen. Sie dürfte auch Dschalal Talabani und seine Bewegung erleichtern, die den Prozeß eingeleitet haben, der zur „Hinrichtung“ eines hochangesehenen Kurdenchefs geführt hat, obwohl sie sich für den guten Willen der Emissäre verbürgt hatten. Sie dürfte auch einem Teil der iranischen Opposition nicht mißfallen, die mehr oder weniger diskret auf Rafsandschani setzt und für die kurdische Sache kaum Sympathien hegt. Schließlich dürfte sie auch Haschemi Rafsandschani selbst ins Konzept passen, der vielleicht nach einer Lösung des iranischen Kurdenproblems sucht, aber für Abdlerahman Ghassemlu und die PDKI niemals besondere Zuneigung empfand. Das nackte Ergebnis bleibt eine führerlose PDKI ohne einen unersetzlichen Mann.

'Le Figaro‘

Die „Entstehung einer Gegenmacht“ in der UdSSR beobachtet der konservative 'Figaro‘:

Wenn es auch an der sozialen Front weiter zu Unruhen kommt, können Gorbatschow und seine Männer zu Recht mit der politischen Bilanz der 40tägigen Sitzung des Obersten Sowjets zufrieden sein. Die oft stürmischen Debatten haben zur Entstehung einer Gegenmacht, zur Willkür des Parteiapparats geführt, der gegenüber den Reformen zurückhaltend bleibt.

Die Konservativen zu bremsen und gleichzeitig den Übereifer der Ultrareformer zu dämpfen bleibt noch immer das Erfolgsrezept Gorbatschows, der ein Mann der Mitte ist, ohne es zu sagen.

Ein kleiner dunkler Schatten im Gesamtbild: Die neue Regierung, auf die Michail Gorbatschow zählte, um den Reformprozeß und die Ausschaltung der Querdenker zu beschleunigen, ist nicht komplett.

'Paris Normandie‘

Zu den Berichten der 'Bild'-Zeitung, wonach eine Million DDR -Bürger im Westen leben möchten, schreibt die rechtsliberale Zeitung aus Rouen:

War es nicht Lenin, der den Ausdruck: „mit den Füßen abstimmen“ erfand? Die Ironie der Geschichte würde ihn sehr bitter berühren, wenn er sehen könnte, wie die Bewohner der DDR „abstimmen“, indem sie mit allen Mitteln aus dem Land fliehen, in dem sein Porträt an jeder Straßenecke prangt.

Seltsamerweise ist es eine gewisse Liberalisierung der osteuropäischen Länder, die diesem Strom Vorschub leistet. Die Reisen innerhalb des sowjetischen Blocks sind etwas weniger streng geworden, und Ungarn, das die Hälfte seines Eisernen Vorhangs abgerissen hat, bildet künftig das schwache Glied der Kette.

Was die Ostdeutschen zur Flucht veranlaßt, sind auch die Reformen der Ära Gorbatschow, der Anblick dessen, was anderswo in Bewegung gerät und bei ihnen hoffnungslos unbeweglich bleibt. Viele von ihnen haben begriffen, daß sie unmittelbar nichts zu erhoffen haben. Wie könnte man in der Tat glauben, daß der schüchterne Wind der Freiheit im Osten über die Grenze dieses wohl stalinistischsten Staates des Sowjetblocks gelangt, solange Erich Honecker die Zügel der von Ulbricht ererbten Macht straff in Händen hält?

'Der Bund‘

Die in Bern erscheinende Zeitung schreibt zum Treffen der Präsidenten der mittelamerikanischen Staaten:

Für die USA ist Mittelamerika, trotz ihrer strategischen Interessen, auf der Liste ihrer außenpolitischen Prioritäten nach unten gerutscht. Washington blickt zur Zeit nach Osteuropa oder Richtung Naher Osten.

Die amerikanische Regierung wird sich vermutlich erst dann wieder vordringlich um Mittelamerika kümmern, wenn die fünf in Tela tagenden Staatschefs die sofortige Entwaffnung der Contras verlangen sollten. Die USA-Regierung ist gegen eine Auflösung der Contra-Einheiten vor den Wahlen in Nicaragua.

'The Independent‘

Die unabhängige britische Tageszeitung befaßte sich mit den für Februar geplanten Wahlen in Nicaragua und schrieb, die Regierung in Managua erhoffe sich davon besonders eine Verbesserung der Beziehungen zu den USA.

US-Präsident George Bush seinerseits sollte in den Wahlen in Nicaragua eine Gelegenheit sehen, aus der peinlichen Contra -Angelegenheit herauszukommen, ohne das Gesicht zu verlieren.

Er könnte die Wahlen sogar als Triumph der US-Politik sehen, denn Nicaragua hat sich in den vergangenen zwei Jahren weitgehend zu einem wirtschaftlichen und politischen System gewandelt, das den westlichen Demokratien ähnlicher ist als alles, was seine Freunde im sowjetischen Block auch nur in Erwägung ziehen würden.

'Il Messaggero‘

Die römische Tageszeitung meint zum Erfolg der Opposition in Ungarn bei den Nachwahlen vom Wochenenende:

Für die kommunistische Partei, die in Ungarn seit Jahrzehnten an der Macht ist, bedeutet es mehr als nur das Läuten der Alarmglocken. Zum ersten Mal besetzen Kandidaten der Opposition Sitze im Parlament. Und doch läßt das Ergebnis dieser Minivolksbefragung das Regime im Blick auf die allgemeinen Wahlen, die 1990 vorgesehen sind, nachdenken. Erstmals werden dann Kandidaten der anderen politischen Parteien zugelassen, die somit eine historische Wende im Land auslösen und eine Situation herbeiführen könnten, wie sie in Polen mit dem umbestreitbaren Sieg der Solidarität bei den letzten Wahlen aufgetreten ist.