: Andreotti - der Mafia-Gärtner
Der Dunkelmann-Spezi erläutert, wie er sich den „Kampf“ gegen die Unterwelt vorstellt / Erster Schritt: Die beamteten Nullnummern bleiben / Siziliens Mafia-Ermittler werden durch einen unbekannten Petzer verunsichert / Sektkorken kanllen ■ Aus Rom Werner Raith
Festliche Zeiten für Palermos Dunkelmänner: Intrigen -Altmeister Giulio Andreotti übernimmt - anders als in allen früheren Regierungen, wo ein Staatssekretär dafür ernannt wurde - selbst die Koordination der Geheimdienste und wird damit die unter seinem Vorgänger De Mita eingerissene Praxis eines Einsatzes der Agenten nicht nur gegen böse Linksmilitante, sondern auch gegen Mafiosi und Camorristen schnell beenden.
Dazu ließ Andreotti bestätigen, daß der mittlerweile von allen Fraktionen als Nullnummer eingestufte „Hochkommissar für den Kampf gegen die organisierte Kriminalität“, Domenico Sica, im Amt bleiben wird; er ist, wie palermische Fahnder über ihre Zuträger erfahren, den Bossen aufgrund seiner tagtäglich bewiesenen Ineffizienz allzusehr ans Herz gewachsen, als daß sie ihn missen möchten. Schließlich erklärte Justizminister Giuliano Vasalli, ein Sozialist, er sehe „keinen Grund“, warum sich die Politik in den katastrophalen Selbstzerfleischungsvorgang der sizilianischen Justiz einmischen sollte. Dort geht es seit Wochen drunter und drüber: Ein Anonymus versorgt seit Anfang Juni mal den Staatspräsidenten, mal die Antimafia -Kommission, mal den Obersten Richterrat mit Briefen voller Anwürfe speziell gegen den Leiter des „Antimafia-Pools“, Giovanni Falcone, und den Leitenden Staatsanwalt des ersten „Maxi-Prozesses“ gegen 465 Mafiaverdächtige, Giuseppe Ayala.
Zwar erwiesen sich die Anschuldigungen gegen die beiden bisher erfolgreichsten Mafia-Ermittler der italienischen Justiz allesamt als haltlos.
Doch da zahlreiche Details in den Schreiben von eindrucksvoller Sachkenntnis zeugen, vermutete die Polizei den Verfasser im Justizpalast selbst. Hochkommissar Sica, der, wie gewohnt, den Fall sofort an sich zog (schon als Terroristenfahnder in Rom war er vor allem dafür bekannt, Verfahren lieber zu eröffnen als abzuschließen), ließ seine eigenen James Bonds auf den Fall los. Die stellten sofort fest, daß sich der Anonymus alle Mühe gegeben hatte, deutlich sichtbar und allüberall auf seinen Schreiben Fingerabdrücke zu hinterlassen. Und die paßten, so Sica, tatsächlich auf einen der Ermittlungsrichter aus dem Antimafia-Pool, Alberto Di Pisa mit Namen.
Doch fragten sofort Kritiker, ob denn ein seit zehn Jahren als hervorragender Fahnder ausgewiesener Jurist so blöde sei, sämtliche Personalien auf den Briefen zurückzulassen. Seither ist Sica wieder mal auf dem Rückzug - zuerst mit der Behauptung, De Pisa sei ihm von Falcone selbst als „verdächtig“ genannt worden, was der mit einem trockenen „No!“ quittierte; dann mußte er sich auch noch das Eingeständnis herausquetschen lassen, daß auf den Briefen mindestens acht weitere Personen ihre Abdrücke hinterlassen haben, und mittlerweile gibt es auch insgesamt 16 Schreibmaschinen, auf denen die Briefe geschrieben sein könnten.
„Einen Polizeischüler, dem solche Pannen unterlaufen“, entrüstet sich Luciano Violante von der Antimafiakommission, „würde man rausschmeißen.“ Für Andreotti ist Sica aber offenbar genau der richtige Mann.
Wer auch immer die Briefe verfaßt haben mag - sein Ziel hat er erreicht: Im Antimafia-Pool, angewiesen auf engste und diskreteste Zusammenarbeit - traut keiner der 16 Ermittlungsrichter und Staatsanwälte mehr dem anderen, und Pool-Chef Falcone, der vor sechs Wochen nur knapp einer in seinem Garten plazierten Zwanzig-Kilo-Bombe entgangen ist, hat mit seinen 49 Jahren sein Testament schon gemacht: „Früher oder später werden sie es schaffen, mich umzubringen.“
Der Ministerpräsident, als oberster Chef der Exekutive, wäre hier als Garant gefragt. Doch wie aus Palermos Zuchthaus Ucciardone zu hören war, haben dort vergangenen Sonntag die Sektkorken geknallt, als Andreotti gewählt war: Schließlich hat der neue Ministerpräsident schon immer gerne mit erprobten Dunkelmännern vom Schlage des Mafia-Bankiers Michele Sindona oder des unter Anklage stehenden ehemaligen Bürgermeisters von Palermo, Vito Ciancimino, gekungelt. Außerdem ist Sizilien seine parteiinterne Basis.
Und über die bestimmen im wesentlichen jene 150.000 Wählerstimmen, über die die Clanchefs.
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