piwik no script img

DDRler unterwegs vom Gulasch zu McDonald's

■ Flüchtlingsstrom zur ungarisch-österreichischen Grenze nimmt zu / Bonn sorgt sich um Belastbarkeit Ungarns / Informationssperre zur Zahl der Flüchtlinge verhängt / Bundesregierung sieht sich nur zu humanitärer Hilfe in der Lage / Botschaft keine „Durchschleusestation“

Bonn/Wien (ap/dpa) - Immer mehr DDR-Bürger versuchen über Ungarn die Flucht nach Österreich. Während seit dem Abbau der ungarischen Grenzanlagen im Mai ca. 400 geflohene DDR -Bürger von den österreichischen Grenzbehörden registriert wurden, wandten sich allein gestern bis zum Nachmittag mehrere Dutzend Flüchtlinge mit einem Hilfegesuch an die bundesdeutsche Botschaft in Wien. Auf Wunsch der Bonner Regierung verweigern mittlerweile nicht nur die Botschaft, sondern auch die österreichischen Grenzbehörden konkrete Zahlenangaben.

Angesichts der jüngsten Entwicklung gibt man sich in Bonn mittlerweile äußerst zurückhaltend und vorsichtig. Hatten noch letzte Woche Vertreter der Regierungskoalition die ungarische Ankündigung eines möglichen Asylrechts für DDR -Bürger uneingeschränkt positiv kommentiert, betonte Regierungssprecher Schmülling gestern, man dürfe die ungarische Regierung „nicht überstrapazieren“. Präzise Angaben, wieviele DDR-Bürger sich derzeit in der Bonner Botschaft in Budapest aufhalten, wollte Schmülling nicht machen. Seine Begründung, dies könne eine „gefährliche Sogwirkung“ auf andere DDR-Bürger ausüben, läßt jedoch darauf schließen, daß sich die letzten Zahlen, die von ca. 180 Personen ausgingen, nicht verringert haben.

Der Regierungssprecher betonte erneut, daß die Vertretung „keine Möglichkeit hat, diesen Deutschen zur unmittelbaren Ausreise aus Ungarn zu verhelfen“. Die Bundesregierung bemühe sich um „humanitäre Hilfe“. Die Entscheidung über eine Ausreise liege jedoch „nach wie vor bei den zuständigen Stellen der DDR“. Darauf müsse er nachdrücklich hinweisen, „um nicht falsche Erwartungen und Hoffnungen zu wecken“. Daß Schmülling im Zusammenhang mit den DDR-Bürgern im Botschaftsgebäude ausdrücklich auf die Zuständigkeit der DDR -Stellen verwies, läßt darauf schließen, daß sich die ungarischen Behörden nach ihrem spektakulären „Asylvorstoß“ nicht noch weiter aus dem Fenster lehnen wollen. Die freie Ausreise für die Deutschen in der Botschaft, die gegen gültige Abkommen mit der DDR verstoßen würde, steht für die Ungarn nicht auf der Tagesordnung. Zur Lösung dieser Frage wurde der Ostberliner Anwalt Vogel eingeschaltet. Ob die ungarischen Behörden mittlerweile auf die inkriminierenden Paßstempel für gestellte Flüchtlinge verzichten, wie es Außenminister Genscher erbeten hatte, ist nicht bekannt. Jedoch las Fortsetzung auf Seite 2

sen insbesondere die ungarischen Relativierungen zu einem möglichen Asylrecht für DDRler darauf schließen, daß man in Budapest an einer weiteren Verhärtung der Beziehungen zu Ost -Berlin nicht interessiert ist.

Aus der DDR war auch gestern keine offizielle Stellungnahme zu den Vorgängen in Ungarn zu bekommen. Der parlamentarische Staatssekretär im innerdeutschen Ministerium, Hennig, sprach von ersten Indizien, daß die DDR die Reisen nach Ungarn über weitere Devisenbeschränkungen drossele.

eis

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen