Bradys Clinch mit Banken geht erst los

Nach der grundsätzlichen Einigung auf finanzielle Erleichterungen für Mexiko: Gläubiger werden sich eher für Zinsbegrenzung als für Schuldenreduzierung entscheiden / Droht jetzt eine Zweiklassen-Gesellschaft unter den Schuldnerländern / Erlaß immer noch rotes Tuch  ■  Von Horst Buchwald

Die sieben mächtigsten westlichen Regierungschefs traten während des Pariser Gipfels einigen Banken empfindlich auf die Füße. Sie hatten sich schließlich viel vorgenommen: Ein neues Kapitel in der Schuldenstrategie sollte begonnen werden. Im Abschlußkommunique wurden die sich sträubenden Kreditinstitute aufgefordert, „realistische und konstruktive Standpunkte“ einzunehmen und „umgehend Abkommen über Finanzierungspakete zu schließen, die Schulden- und Schuldendienstverringerungen sowie neue Kredite beinhalten“.

Wenige Tage später lag ein Verhandlungsergebnis der Banken mit Mexiko vor, das US-Präsident Bush eigentlich schon in Paris präsentieren wollte. Dies aber vermiesten ihm ausgerechnet die Banken des eigenen Landes, so daß der Erfinder des neuen Kapitels, sein Finanzminister Brady, lospolterte: Ihnen fehle es an „politischem Verständnis“. Der Clinch mit den Banken ist jedoch keineswegs vorbei. Obwohl erst ein grober Rahmen zwischen den Banken und Mexiko gestrickt wurde, bezeichnete ihn Brady als „Modell für andere Länder“. Zu den nächsten Kandidaten zählt er die Philippinen, Venezuela und Costa Rica.

Die Banken sind allerdings nicht der Meinung, das Verhandlungsergebnis sei beliebig übertragbar. Case-by-case bliebe die Devise, so bekräftigte Horst Schulmann, Geschäftsführender Direktor des Washingtoner Instituts of International Finance (IIF) - das Sprachrohr der multinationalen Banken. Jedes Land müsse sich selbst um die Konditionen bemühen. Die Grenzen wollen die Banken bestimmen - wie beim Mexiko-Abkommen auch. Denn es werden noch einige Monate vergehen, bis deutlich wird, was der Deal eigentlich wert ist. Einen endgültigen Abschluß soll es erst im November geben.

Die Verhandlungskommission der Banken, in der 15 Gläubigerinstitute vertreten waren, hatten den insgesamt rund 500 Banken drei Alternativen vorgeschlagen. Welche der drei für jedes Institut akzeptabel ist, darüber wird jetzt gefeilscht. Die geringste Chance wird der Möglichkeit eingeräumt, dem Land 35 Prozent der bisherigen Kredite zu erlassen. Schließlich haben die amerikanischen und japanischen Banken kaum Wertberichtigungen vorgenommen. Der Vorsorgegrad liegt gerade bei 30 bzw. 15 Prozent. Auf sie entfällt aber der Hauptteil der insgesamt 54 Milliarden Dollar Schulden. Der bekannte US-Ökonom Rüdiger Dornbusch glaubt deswegen, daß die mexikanischen Gesamtschulden von rund 108 Milliarden Dollar sich kaum nennensert verringern werden. Das IIF erklärte auf Anfrage, jegliche Einschätzung darüber, welche der drei Optionen von den Banken bevorzugt würde, sei zu früh. Die Kreditinstitute würden erst Ende des Monats die genaue Ausformulierung der konkreten Vereinbarungen erhalten.

Bestenfalls Zinsreduzierung

Die meisten Banken werden jedoch nach vorherrschender Auffassung der Fachwelt eine der beiden übrigen Alternativen vorziehen:

-Umwandlung der alten Kredite in neue Anleihen mit 30 Jahren Laufzeit, für die Mexiko 6,25 Prozent statt des bisherigen Zinssatzes von zehn Prozent zu zahlen hat;

-neue Kredite von jährlich drei Milliarden Dollar über vier Jahre hinweg zu ebenfalls 6,25 Prozent.

Statt einer Schuldenreduzierung käme also bestenfalls eine Zinsreduktion heraus. Mexiko wird auf diese Weise für die konsequente Umsetzung der IWF-Stabilisierungsprogramme geringfügig belohnt. An den zwei Seiten der mexikanischen Wirtschaft würde dies jedoch nichts ändern. Einer für lateinamerikanische Verhältnisse geringen Inflationsrate von 20 Prozent steht eine offizielle Arbeitslosenquote von 20 Prozent gegenüber. Nach sieben Jahren stagnierender Wirtschaft und sinkendem Lebensstandard leben mehr als 30 Millionen Mexikaner (Gesamtbevölkerung 82 Millionen) in absoluter Armut.

Für den IWF und die Banken zählen dagegen andere Dinge: Die Importschranken wurden abgebaut; durch die systematische Abwertung des Peso wurde ein Exportboom ausgelöst; zwei Drittel der Staatsbetriebe wurde verkauft, geschlossen oder fusioniert, ausländische Investitionen stark erleichtert.

Kaum noch Rückzahlungen

Ob das Ziel der Brady-Initiative - die Schuldnerländer zu Wachstum und Kreditwürdigkeit zurückzuführen - erreicht wird, ist selbst bei Mexiko zweifelhaft. Allein um den dramatischen Rückgang des Lebensstandards der rasch wachsenden Bevölkerung aufzuhalten, ist ein jährliches Wachstum von vier Prozent notwendig. Doch das ist wohl ein Wunschtraum. Folglich wird sich die Kapitalflucht (allein im Zeitraum von 1983 bis 1988 betrug sie über sechs Prozent des Bruttosozialprodukts bzw. rund 80 Milliarden Dollar) auch weiter fortsetzen.

Die Banken hingegen schneiden besser ab. Brady hatte sie bei der Verkündung seiner Initiative mit den Worten gelockt: „Die Forderungen der Banken werden etwas gesenkt, dafür sind es bessere Forderungen, die besser bedient werden...“.

Vor allem die letzte der beiden Alternativen scheint dies zu gewährleisten, denn ein Garantiefonds von sieben Milliarden Dollar, an dem sich das am nächsten verschuldete Land der Welt, die USA, mit zwei Milliarden Dollar, sowie der Hauptgläubiger Japan mit der gleichen Summe und Spanien mit 300 Millionen Dollar beteiligen, soll die mexikanischen Zinszahlungen sichern. Die Bedienung der Schulden ist also gesichert, ein Zahlungsstopp wurde abgewehrt.

Erinnern wir uns: Der Hauptauslöser für die Brady -Initiative war folgende Situation: Im März dieses Jahres wies Argentinien Zinsrückstände von zwei Mrd. Dollar auf; Brasilien, Mexiko und Venezuela drohten bereits mit einem Zahlungsmoratorium. Unter diesen Umständen wären die Banken gar nicht darum herumgekommen, umfangreiche Forderungen als „im Wert beeinträchtigt“ abzubuchen und sie je nach Empfehlung der Aufsichtsbehörden um zehn bis 20 Prozent abzuschreiben. Bei einem Abschreibungssatz von 20 Prozent hätten die US-Banken allein für Argentinien fast eine Milliarde Dollar aufwenden müssen. Wegen der geringen Vorsorge eine enorme Belastung! Der Vorteil des Mexiko -Abkommens ist also nicht zu übersehen.

Dennoch ändert es nichts an der insgesamt brisanten Lage der Verschuldungskrise. Argentiniens Zinsrückstände sind indessen bei vier Milliarden Dollar angelangt, und Brasilien hat jetzt angekündigt, die im Spetember fällig werdenden Zinsen von 2,3 Milliarden Dollar nicht zahlen zu wollen. Venezuelas Forderung nach Schuldendiensterleichterung wurde von den Gläubigern schroff als unannehmbar abgewiesen. Das Land verlangt, seine Schulden knapp unter dem halben Marktzins zu bedienen oder bei einem leichten Abschlag auf den Marktzins eine Schuldenreduzierung um 50 Prozent, womit in etwa einem Vorschlag des Sekretariats des Lateinamerikanischen Wirtschaftssystems (SELA) entsprochen wird.

Heißer Tropfen

Aus dem African Development Report 1989 ist zu entnehmen, daß die Wachstumsaussichten für diesen Erdteil langfristig schlecht sind. Im vergangenen Jahr wuchs die Auslandsverschuldung um 19,4 Milliarden Dollar auf insgesamt 233 Milliarden Dollar. Wie schon der Baker-Plan klammert auch die Brady-Initiative diese Problematik einfach aus. Eine neue kommt hinzu: die der sozialistischen Länder. Nicht mehr Polen und Jugoslawien allein sind quasi zahlungsunfähig. Die Sowjetunion schickt sich an, ebenfalls ein Großschuldner zu werden.

Vor diesemn Hintergrund ist die Brady-Initiative nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Den geopolitischen Interessen der USA kommt sie sehr entgegen - an der globalen Problematik ändert sie nichts. Ganz offensichtlich ist mehr erforderlich als „politisches Verständnis“. Zwei Hinweise machen das deutlich:

-Allein die Zinssteigerungen 1988 schufen für Mexiko Probleme, die die Dimensionen des Brady-Planes bei weitem übertrafen. Sie liefen für die kommenden fünf Jahre auf Mehrbelastungen von rund 70 Milliarden Dollar hinaus, die nun allenfalls in dem Maße wieder reduziert werden, wie sich die Banken für die entsprechende Option entscheiden;

-um das US-Haushaltsdefizit zu decken, werden acht Prozent der weltweiten Sparkapitalbildung absorbiert, wodurch die Zinsen nicht unbeträchtlich steigen.

Die Vernetzung zwischen dem größten Sünder und den Problemen der übrigen Schuldner wird enger. Leider wird diese Tatsache immer wieder verdrängt. Das Mexiko-Abkommen schafft zudem zwei Kategorien von Schuldnern. Bei steigenden Zinsen wäre es für das mittelamerikanische Land sinnvoll, während alle übrigen Schuldner mit weiter wachsenden Schuldendienstverpflichtungen konfrontiert würden.

Das Treffen der (Drittwelt-) „Gruppe der 77“ (jetzt 128 Mitgliedsländer) in Caracas Ende Juni offenbart zudem, daß sich durch die Brady-Initiative das Verhältnis zwischen Nord und Süd keineswegs verändert hat. Kritisiert wird der Protektionismus der Industrienationen. Beklagt wird eine Verschlechterung der terms of trade. Nach wie vor wird eine neue Weltwirtschaftsordnung gefordert sowie eine „substantielle Reduzierung der Schulden“ durch die Banken in besonders kritischen Fällen auch ein Schuldenerlaß.

Ein neues Kapitel des Schuldenmanagements wurde zwar geschrieben, praktiziert wird es jedoch nicht. Für die Banken ist Schuldenerlaß immer noch ein rotes Tuch.