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Die Kugeln im Sumpf

Der Störfall im Atomkraftwerk Isar I bei Ohu  ■ K O M M E N T A R E

Die unendliche Geschichte der Störfalle in bundesdeutschen Atommeilern ist seit dem Wochenende um eine Variante reicher. Die Variante heißt „Kugeln im Reaktorsumpf“ und spielt in Ohu an der Isar. Die Sache ist so kompliziert, wie das Innenleben der Atommeiler kompliziert ist. Was im Reaktorbauch von „Isar I“ wirklich und en detail los ist und welchen Schaden die 67 von der Wechselbühne in das Druckgefäß geplumpsten Stahlkugeln dort anrichten können, das vermögen einige wenige handverlesene Experten zu beurteilen, die mit dem Aufbau und den Konstruktionsmerkmalen dieses Reaktortyps vertraut sind. Vielleicht sind es 50 Experten, vielleicht auch nur 20. Zieht man all diejenigen Fachleute ab, die als Firmenangehörige durch „Interessenlagen“ gebunden sind, sind es sicher nicht mehr als zehn.

Nun liest die Öffentlichkeit interessiert vom Greifer am Teleskopmast und vom Korrosionsschlamm im Reaktorgrund, hört von Durchführungen für neun Axialpumpen und 70 Steuerstäben in der unteren Kalotte des Reaktordruckgefäßes, das ausgerechnet dort sehr „verwinkelt“ ist, wo sich jetzt eine noch unbekannte Anzahl der verloren gegangenen, zwei Gramm schweren und acht Millimeter großen Edelstahlkugeln aufhalten, die wiederum aufgewirbelt durch den Druck der schiffsschraubenstärkegleichen Pumpen an den Brennstäben entlangschrammen und die 0,7 Millimeter starke Zirkaloy -Schutzschicht verletzten können, wodurch Radioaktivität im Primärkreis frei wird usw. usf. Dieselbe Öffentlichkeit hat sich aber längst damit abgefunden, daß sie im Grunde keine Ahnung hat und auf den kleinen Insider-Kreis angewiesen ist. Dieses Schicksal teilt sie mit allen Journalisten, die in diesen Tagen über die „Kugeln“ schreiben (müssen), und mit den politisch Verantwortlichen.

Die Behauptung, daß all diejenigen, die sich in diesen Tagen zu dem Störfall äußern, überfordert sind, ist keine Denunziation, sondern eine Banalität. Und weil das so ist, darf jeder interpretieren und erklären, was er will. Beurteilen und entscheiden werden jetzt einige wenige, denen der ahnungslose Rest ausgeliefert ist.

Dies gilt für jede Großtechnik. Nur: Bei der Entscheidung über die Wiederinbetriebnahme in Ohu steht mit dem berühmten Knopfdruck die Handhabung eines radioaktiven Inventars von einigen hundert Hiroshima-Bomben auf der Tagesordnung. Ein solches Gefahrenpotential kann man aber nicht einer Handvoll Experten überlassen. Wir können aber nicht alle Experten werden. Was bleibt also übrig? Nur eines: Abschalten!

Manfred Kriener

PS: Wir erfahren soeben, daß in Biblis eine Dichtung defekt ist, die die obere Kalotte des Reaktorgefäßes sichert, in dem Wasser unter einem Druck von 155 bar steht, wobei jetzt ein Feuchtigkeitsfühler anzeigen soll, was im Primärkreis und... (Siehe Seite 4)

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