Der vergessene Panamakanal in Bayern

Die verheerende Umweltbilanz des Rhein-Main-Donau-Kanals / Irreparable Schäden für Feuchtgebiete und Auwälder / Landschaft aus zweiter Hand / Straßenbauorgien entlang der Trasse / Änderung der Naturschutzgesetze gefordert  ■  Von Bernd Siegler

Riedenburg war ein altes beschauliches Städtchen. Drunten im Tal schlängelte sich die Altmühl durch Feuchtwiesen und Auwälder, eine kleine Brücke verband den Ort mit der schmalen Staatsstraße nach Kelheim. Urlauber schätzten die Ruhe, Angler den Fischreichtum des Flüßchens. Das war einmal. Heute bestimmen Bulldozer, Kräne und Bagger die Szenerie. Das ganze Tal ist aufgerissen, zwei große Spannbetonbrücken stehen bereits. Aus der Altmühl ist eine 50 Meter breite, schnurgerade, von Schotter eingesäumte Wasserstraße geworden. Eine im Bau befindliche Ortsumgehung, eine Uferstraße, eine kreuzungsfreie Anbindung an die ausgebaute Staatsstraße komplettieren die Asphalt- und Betonorgie. Ursache: der Rhein-Main-Donau-Kanal.

Szenenwechsel. Berching, ein mittelalterliches Kleinod, 30 Kilometer nordwestlich von Riedenburg. Ab 1990 werden auch hier die Baumaschinen dröhnen. Knapp neben der Stadtmauer, wo sich jetzt noch ein mit alten Bäumen bewachsener Graben befindet, wird der Kanal sich seinen Weg einen Meter über dem Gelände bahnen. Platz bleibt gerade noch für eine Straße, die eine lichte Höhe von 6,50 Metern über der Schiffahrtsstraße haben muß. Damit befindet sich die Straße in Giebelhöhe der Häuser, abgestützt durch eine Betonwand, die sich um halb Berching herumziehen wird. Der Menschheitstraum einer Verbindung von Rhein und Donau und damit von Rotterdam zum Schwarzen Meer ist lange zum Alptraum geworden. Die Bilanz des Bundes Naturschutz (BN) der bayerischen Sektion des BUND, ist niederschmetternd. Aus der fließenden Altmühl ist ein fast stehender Kanal geworden, die Auenlandschaft mit Altwässern ist verschwunden, aus Feuchtwiesen wurden Produktionslandschaften, meist Maisfelder, Täler wurden mit dem Abraummaterial einfach aufgefüllt, Biotope und Moore verschwinden für immer. Obwohl sich die sogenannten „landschaftspflegerischen Ausgleichsmaßnahmen“ nahezu ausschließlich auf die Begrünung der Uferböschungen beschränken, ist der bayerische Umweltminister Alfred Dick zufrieden: „Der persönliche Augenschein liefert den Beweis dafür, daß gerade im Raum Kelheim-Riedenburg die von manchen gefürchteten bleibenden Zerstörungen ausgeblieben sind.“ Dick feiert den Kanal als „Musterbeispiel geglückter Eingliederung der neuen Wasserstraße in das gewachsene Landschaftsbild“.

Ganz in den Hintergrund ist dabei mittlerweile die seit Beginn des Jahrhundertprojekts so gepriesene wirtschaftliche Bedeutung der Wasserstraße gerückt. Der verstorbene bayerische Ministerpräsident Strauß hatte den RMD-Kanal immerhin als zweiten Panamakanal gefeiert. Inzwischen mußte das bayerische Wirtschaftsministerium Prognosen zum zukünftigen Frachtaufkommen Jahr für Jahr nach unten korrigieren. Von 14 Millionen Tonnen 1975 auf vier Millionen 1983. Die Realität sieht noch düsterer aus. Der auf eine Umschlagskapazität von 2,5 Millionen Tonnen ausgelegte Nürnberger Hafen dümpelt bei einem Jahresumschlag von meist nur 700.000 Tonnen herum. Für den Hafen wurden 230 Hektar Reichswald kahlgeschlagen und als Gewerbegebiet ausgewiesen. Doch lediglich ein Viertel der in diesem Gebiet angesiedelten Industrie hat indirekt oder direkt etwas mit der Wasserstraße zu tun. Diese Entwicklung setzt sich an den Ufern der Superröhre in Richtung Kelheim fort. „Der Kanal wird zum Alibi, großflächige Gewerbegebiete meist in Bannwaldzonen auszuweisen“, betont Hubert Waiger, nordbayerischer BN-Vorsitzender. Im Sog des Kanals werden exzessive Straßenprojekte realisiert. Die RMD-AG, die als Projektträger für alle unterbrochenen Straßen die Kosten für den Bau neuer Trassen übernehmen muß, bezahlt jedes auch noch so unsinnige großspurige Projekt. Schließlich gilt es, sich die Willfährigkeit der Gemeinden zu sichern. Zusätzlich erhalten die Kommunen entlang der Kanaltrasse großzügige Zuschüsse für Kanalisationsmaßnahmen, Sportvereine werden gesponsert, Fischereivereinen wird schon mal der gesamte Jahresbesatz bezahlt. Bauern werden gegen Naturschützer ausgespielt und mit der Versprechung von Ertragssteigerungen durch den Wegfall von Hochwässern geködert. So ist es kein Wunder, daß sich vor Ort kaum Widerstand rührte und rührt.

Einer der wenigen ist der 62jährige Gastwirt Anton Mayer aus Oberhofen bei Riedenburg. Sein Engagement für das Altmühltal hat er mit dem Verlust alter Freundschaften bezahlt. Resigniert nennt er die Region jetzt „das Tal der Umweltschande“. Er hat dem BN geholfen, bundesweit mehr als 800.000 Unterschriften gegen die Wasserstraße zu sammeln. Damals, 1981, witterten die Kanalgegner Morgenluft, als der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestags beschloß, keine weiteren Mittel mehr für neue Planungsabschnitte bereitzustellen. Die sozialliberale Koalition hatte sich für eine „qualifizierte Beendigung“ des Projekts ausgespochen, Minister Volker Hauff nannte den Kanal das „dümmste Projekt seit dem Turmbau zu Babel“. Doch die Wenderegierung beharrte auf der Fertigstellung.

„Die haben uns damals alle belogen“, resümiert heute Waiger. In der Tat hat vor allem die bayerische Staatsregierung mit einer Fülle von falschen Zahlen operiert, um Stimmung für den Weiterbau zu machen. Sie rechnete vor, daß ein Baustopp teurer käme als die Fertigstellung, 15.000 Arbeitsplätze wären in Gefahr, bereits 81 Prozent der Strecke wäre fertiggestellt. Nichts davon war wahr.

Die Naturschützer hofften anschließend vergebens, daß wenigstens die Trasse des Kanals verlegt werden kann, um inzwischen als höchst schützenswert anerkannte Gebiete zu verschonen wie z.B. Das Sulztal oder das Ottmaringer Moor. Doch die von Gegnern des Projekts als „Taktik Krummer Hund“ bezeichnete Strategie der RMD-AG bewährte sich bestens. Duftmarken und Hundehaufen gleich wurden - ohne Planfeststellungsverfahren für die Kanaltrasse Brückenmonster in die Landschaft gesetzt und so schon zehn bis 15 Jahre im voraus der Verlauf des Kanals zementiert. „Was helfen uns die besten Dokumente, die besten Untersuchungen, wenn an den Fakten nichts mehr zu rütteln ist“, beklagt Waiger.

Neben dem Main- und Donauausbau fehlen derzeit auf der Kanalstrecke von Bamberg nach Kelheim noch knapp 50 Kilometer. Die Rhein-Main-Donau AG rechnet mit der Fertigstellung 1992, die Gesamtkosten sollen sich dann auf etwa sieben Milliarden Mark belaufen. Die verheerende Umweltbilanz versucht die RMD-AG im Einklang mit den Naturschutzgesetzen rechnerisch zu kaschieren. Verluste von Feuchtgebieten sollen durch ungleichwertige Trockenrasenflächen an den Böschungen ausgeglichen werden. „Die Naturschutzgesetze fördern so die Planung von uniformierten, vorherbestimmten Ersatzlandschaften aus Menschenhand und leisten damit der Naturzerstörung weiteren Vorschub“, beklagt Waiger. Er fordert eine sofortige Änderung der Gesetze. „Wir haben die Schlacht um den Kanal verloren“, resümiert Waiger.