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Dialoge in der Alltagssprache

■ Gerhard Midding traf Claude Sautet, dessen neuester Film „Einige Tage mit mir“ gerade anläuft, in München Ein Gespräch über das Filmemachen

Gerhard Midding: Monsieur Sautet, in Ihren früheren Filmen fühlte man sich als Zuschauer in eine bereits existierende Gemeinschaft „hineingeworfen“. Weshalb muß sich demgegenüber in „Einige Tage mit mir“ die Gemeinschaft erst einmal etablieren?

Claude Sautet: Ein großer Teil des Films ist tatsächlich dem Prozeß gewidmet, in dessen Verlauf sich diese Gruppe durch die Manipulationen Martials (Daniel Auteuil) formt. Das hat mich erst einmal sehr amüsiert, einen definitiven Grund kann ich Ihnen dafür gar nicht nennen. Zu Anfang wußte ich noch gar nicht, daß es eine solche Gruppe geben würde: sie entstand erst nach und nach. Martial amüsiert sich bei den Fonfrins zum ersten Mal in seinem Leben, und er empfindet es als Spiel voller Nervenkitzel, sich in deren Kreise hineinzudrängen. Auf diese Weise gerät er in eine erste Gruppe hinein: das Ehepaar Fonfrin, Regine, der Präfekt und seine Ehefrau. Seine eigene Familie hat Martial nie interessiert, nun hat er zum ersten Mal das Bedürfnis, einer Gemeinschaft beizutreten, und sei es nur aus Neugier.

Als er Francine (Sandrine Bonnaire) kennenlernt, hat er panische Angst vor seinen Gefühlen für diese Frau, denn auch die empfindet er zum ersten Mal. Also sucht er nach allen erdenklichen Möglichkeiten, Francine zu zerstreuen, sie zu unterhalten, nur um nicht seine wahren Gefühle zeigen zu müssen. Gleichzeitig will er aber auch mehr über Francine erfahren und gerät so in ihren Freundeskreis, der aus Fernand, Georgette, Max und anderen besteht. Er organisiert die Soiree, um zu sehen, wie beide Gruppen aufeinander reagieren. Zu seiner Überraschung ist Monsieur Fonfrin zu allem bereit, und Martial lernt ihn auf einmal, auf den zweiten Blick quasi, schätzen und lieben.

Die Figur des Martial erscheint fast wie ein Gegenentwurf zu der Figur, die Michel Piccoli in „Das Mädchen und der Kommissar“ spielt: Beide Männer sind Einzelgänger, aber Piccoli zerstört eine bereits bestehende Gemeinschaft.

Ja, unbedingt. Sehr lange war ich während der Arbeit am Drehbuch blockiert, denn diese Figur tauchte immer wieder auf. Und an „Mado“ mußte ich denken, an das Verhältnis von Piccoli zu Ottavia Piccolo. Auch „Mado“ ist die Geschichte eines blutigen Frauenhassers.

Martial besitzt aber im Gegensatz zu diesen beiden Männern einen ganz unschuldigen Macchiavellismus. Die Figuren, die Piccoli in meinen Filmen spielt, waren ganz und gar nicht unschuldig, sie waren gerissen, wollten die anderen besitzen. Die Manipulationen Martials hingegen werden von einer fast kindlichen Unschuld gemildert.

Diese Zeichnung der Figur, ihre unerklärliche und erschreckende Sanftmut, hat mich ein wenig an den Fürst Myshkin in Dostojewskis „Idiot“ erinnert, auch gewisse Handlungselemente. War das ein bewußter Bezugspunkt für Sie?

Ein bißchen. Als ich anfing, das Drehbuch zu schreiben, war ich entschlossen, ihn die Schuld für ein Verbrechen übernehmen zu lassen, das ein anderer begangen hat. Ich wußte nur noch nicht, wessen Verbrechen! Während der Dreharbeiten erst fiel mir auf: „Verdammt, das ist ja wie bei Dostojewski!“ Dennoch würde ich nicht sagen, daß die Ähnlichkeiten allzu tief reichen.

Martial scheint eine Figur zu sein, die alles mit sich selbst abmacht: Die Rolle verlangt statt Explosionen Implosionen. Wie haben Sie mit Daniel Auteuil an ihr gearbeitet? Schauspielerführung

Die Schauspielerführung besteht für mich nicht darin, die Motivationen der Figuren zu erklären. Zunächst einmal besteht meine Arbeit darin, dem Schauspieler Vertrauen zu geben. Daniel hatte große Angst davor, dem intellektuellen Niveau der Figur nicht zu entsprechen. Er hatte immer den Eindruck, nichts zu tun. Das ist die große Angst der Schauspieler!

Während der Dreharbeiten hat er sich dann vollständig in die Rolle hineingesteigert und sich am Ende auch von den anderen Schauspielern isoliert. Er aß nie mit den anderen, saß immer allein in seiner Garderobe. Das war schon faszinierend anzuschauen, denn in der Realität ist er ein sehr witziger Mensch, er ist ein richtiger Vaudeville -Komödiant. Er nahm jedoch die Rolle so ernst, daß er am Ende sogar Rückenschmerzen bekam, denn er wollte sich immer so gerade halten wie Martial. Seine Stimme veränderte sich, seine Artikulation war schließlich so getragen wie die von Martial. Er war wirklich passioniert, denn er mußte in eine Persönlichkeit hineinschlüpfen, die er ganz und gar nicht kannte. Aber tatsächlich muß sie in ihm existiert haben, als er ein Kind war.

Weshalb?

Sonst hätte er sie nicht spielen können.

Ich nehme an, Ihre Zusammenarbeit mit Sandrine Bonnaire war ganz anders?

Mit Sandrine war es sehr einfach. Mit einer Einschränkung: Sie hatte Angst vor der Rolle, weil sie ihr selbst zu sehr ähnelte! Bei zuvielen Regieanweisungen wäre die verloren gewesen, denn sie ist jung und spontan. Sie ist keine gelernte Schauspielerin, sondern eine, die aus dem Instinkt heraus arbeitet. Daniel Auteuil ist das genaue Gegenteil davon.

Worin besteht die Anziehungskraft, die Francine auf Martial ausübt? Ihre erste Begegnung ist ja nur sehr kurz, er scheint sie kaum wahrzunehmen.

Die erste Begegnung ist wirklich nur ganz kurz, aber ich habe den Eindruck, daß er zum ersten Mal eine Frau sieht. Natürlich haben wir ihn zusammen mit seiner Mutter, seiner Frau, Madame Fonfrin, Regine, gesehen, aber als er Francine anschaut, hat er das Gefühl, jemanden zu sehen, der wirklich existiert. Jemand, der einen eigenen Willen hat und etwas von sich aus tut, nicht allein, um anderen damit zu gefallen. Sie scheint ihm integer zu sein. Und das ist der Unterschied zwischen Francine und einer typischen „Bonne“: die ist bestechlich, Francine hingegen ist alles egal. Aber sie besitzt den Stolz der „kleinen“ Leute gegenüber der Bourgeoisie.

Während des ersten Abendessens bei den Fonfrins zeichnen Sie ein für Ihre Filme überraschend sarkastisches Bild der Bourgeoisie. Bürger und Kleinbürger

(lacht) Als wir die Szene schrieben, war es uns fast unmöglich, miteinander zu sprechen, denn alles, was wir sagten, klang wie die Phrasen der Fonfrin! Sobald einer von uns den Mund aufmachte, fingen die anderen schon an zu lachen.

Die Szene zeigt eigentlich den vollständigen Opportunismus dieser Leute, selbst auf diesen peinlichen Moment können sie sich einstellen, und Fonfrin ergreift sofort wieder das Wort.

Den Kleinbürgern in Ihren Filmen scheint immer eine gewisse Unerschütterlichkeit eigen zu sein, die nicht immer negativ wirkt.

Nein, das ist einfach eine Vitalität. Fonfrin ist eine Figur, die aus der Commedia dell'arte stammt, er ist der Harlekin, der sich auf alles einstellen kann und zu allem bereit ist.

Später gibt es noch einmal eine Replik auf diese Szene: Die Kleinbürger fallen auch in ungewohnter Umgebung, im Bistro, in ihre typischen Phrasen zurück.

Der Unterschied besteht nur darin, daß sie sich in der ersten Szene frei und ungestört fühlen können, denn sie führen regelmäßig diese belanglosen Gespräche über Konservativismus, Liberalität etc. In der zweiten Szene befinden sie sich in einer proletarischen Umgebung, und außerdem hat Martial diese Situation eingefädelt. Aber auch diese Szene zeigt den Opportunismus der „kultivierten“ Klassen.

Der Ensemblecharakter Ihrer Filme bedingt, daß die Geschichten von sehr vielen Figuren erzählt werden. Fernand (Vincent Lindon) beispielsweise ist weit mehr als eine Nebenfigur. Eine sehr komplexe und schwierige Rolle.

Da stimme ich mit Ihnen überein: Er muß gewalttätig sein, gleichzeitig aber auch munter und witzig. Fernand ist der typische Held der „faits divers“, der „vermischten Nachrichten“. Ich kannte einen solch jungen Burschen wie ihn, der plötzlich seine Freundin umbrachte.

Daß Sie die Geschichten von so vielen Figuren erzählen, bedingt auch eine gewisse Musikalität der Erzählstruktur, wenn etwa Figuren wie Leitmotive wieder aufgegriffen werden. Streben Sie eine „musikalische“ Dramaturgie an? Erzähltechniken

„Einige Tage“ ist beispielsweise so strukturiert: Es gibt einen Prolog, die Figuren tauchen auf, verschwinden wieder, es gibt eine „tote“ Passage, in der nur sehr wenig passiert, dann tauchen andere Figuren wieder auf etc. Es gibt also tatsächlich eine Art musikalischer Ordnung. Es geht darum, Informationen zu einem gemäßigten, vorsichtigen Tempo zu offenbaren, um eine gewisse Undurchsichtigkeit beizubehalten. Dies gilt vor allem für Martial: Die Informationen, die man über ihn erhält, sind auf seine Umwelt zugeschnitten, für die er ja zunächst also anormal erscheint.

In „Einige Tage“ gibt es nicht nur einen Prolog, sondern auch einen Epilog.

Ja, der Film beginnt in einem luxuriösen, freien Sanatorium und endet in einer geschlossenen Anstalt. Der Widerspruch besteht darin, daß Martial sich in dem freien Sanatorium zu Tode langweilt und sich in der geschlossenen Anstalt frei fühlt. Sein Innenleben zählt, seine Umgebung ist ihm egal.

In einigen Ihrer Filme ertönt kurz vor dem Prolog eine Off -Erzählstimme, die den Zuschauer immer ein wenig überrascht: plötzlich macht sich ein Erzähler bemerkbar. Weshalb benutzen Sie diese Technik so häufig?

Ich weiß nicht. Vielleicht, um die Geschichte schnell zu einem Ende zu bringen. Das habe ich schon in „Classe Tous Risques“ gemacht. Das gab es damals sehr häufig in italienischen Filmen, die ich mochte. Auch heute ist das doch noch eine sehr populäre Erzähltechnik. Ich mache das, um Distanz zu schaffen. In „Einige Tage“ ist der Kommentar etwas „journalistisch“, denn ich wollte eine Distanz zur vorhergehenden Szene schaffen, in der Francine über dem Leichnam von Rocky weint.

Ihr regelmäßiger Kameramann Jean Boffety ist vor einigen Jahren gestorben. Nun haben Sie zum ersten Mal mit Jean -Fran?ois Robin gearbeitet. Wie unterscheidet sich der Stil dieser beiden Kameramänner? Sie verwenden ja beispielsweise ganz unterschiedliche Brennweiten.

Ja, die Zusammenarbeit war ganz anders. Jean Boffety und ich arbeiten immer mit Brennweiten von 250, 300, manchmal 400mm, auch bei intimeren Szenen. Jean war einfach daran gewöhnt, der wollte gar nicht anders arbeiten. Auf diese Weise hatten wir keine Tiefenschärfe. Mit dem neuen Kameramann konnte ich alles mit sehr kurzen Brennweiten drehen, und da hatten wir die Tiefenschärfe. Das empfand ich als sehr angenehm.

Die Kameraarbeit ist eigentlich angenehm unauffällig, nur in einer Szene gibt es einen Zoom: auf Martial, als Francine ihren Freunden in der Brasserie erzählt, daß er der Supermarktketten-Erbe ist.

Die Szene in der Brasserie war für Daniel Auteuil sehr schwer zu spielen. Er mußte gleichzeitig verlegen und etwas wütend sein, es war eine Szene der subtilen Nuancen. Er ist gegenwärtig und gleichzeitig in Gedanken. Plötzlich überrascht ihn die Kamera, und genau den Effekt wollte ich erreichen. Das war faszinierend zu drehen.

In Ihrer Karriere hat es einige Brüche gegeben: Zunächst haben Sie Kriminalfilme gedreht und dann, ab Ende der sechziger Jahre, sehr persönliche Zustandsbeschreibungen der französischen Bourgeoisie. Sehen Sie Ihre frühen Filme auch als „persönlich“ an, im Sinne der Beschäftigung mit wiederkehrenden Themen etwa? Persönliche und

unpersönliche Filme

„Classe Tous Risques“ (Der Panther wird gehetzt) ist für mich schon ein persönlicher Film, auch wenn es ein Genrefilm ist. Aber das ist mir während der Arbeit an dem Film nicht bewußt gewesen, das habe ich sehr viel später entdeckt.

In einigen Filmographien gibt es übrigens einen Fehler. Mein erster Film ist wirlich „Classe Tous Risques“, nicht „Bonjour sourire“ (Die tolle Residenz). Damals war ich der Assistent von Robert Dhery, der zwei Tage vor Drehbeginn plötzlich verschwand. Der Produzent war ganz verzweifelt und verlangte von mir, daß ich den Film fertigstelle. Ich habe also den Film in einem technischen Sinne gedreht, aber die Vorarbeiten hat jemand anderes geleistet, deshalb betrachte ich ihn nicht als meinen Film. Es mußte nur am Ende ein Name im Vorspann stehen, und das war dann eben meiner.

Es gibt in Ihrem Oeuvre sehr interessante Querverbindungen: Mit Jose Giovanni haben Sie an „Classe Tous Risques“ gearbeitet und im Vorspann von dessem neuem Film „Mon ami, le traitre“ werden Sie als Co-Autor genannt.

Ja, „Classe Tous Risques“ beruhte auf einem Roman von Giovanni. Ich verfilmte „Classe“ und Jacques Becker zur gleichen Zeit „Le trou“. Giovanni und ich haben damals sechs, sieben Monate zusammengearbeitet und uns gut kennengelernt. Für ihn und für mich war Jacques Becker damals das große Vorbild, der gemeinsame Bezugspunkt.

Empfinden Sie sich als „Autor“ zumindest einiger Filme, die Sie damals für Franju, Ophüls (Marcel), Rappenau oder De Broca geschrieben haben?

Nein, das sind keine „persönlichen“ Filme für mich. Ich war nur Drehbuch-Mitarbeiter und gab manchmal Hilfestellungen. Ich mag einige Filme ganz gern, „La vie de chateau“ zum Beispiel oder einen der beiden Filme, die ich für De Broca geschrieben habe, „Le diable par la queue“. Unter uns, der zweite, „Les Mariees de l'an II“ ist ein schrecklich uninteressanter Film. Als De Broca den Film drehte, schreckte er vor allen interessanten Momenten aus dem Buch zurück, und es entstand ein schrecklich konventioneller Film. So etwas passiert sehr häufig. Deshalb bestehe ich oft darauf, daß mein Name nicht im Vorspann genannt wird.

Stimmt es, daß Sie zwischen „Gar?on“ und Ihrem neuen Film als „script doctor“ gearbeitet haben?

Ja, ich habe mit vielen Leuten zusammengearbeitet, aber ich nenne Ihnen hier keine Namen oder Filmtitel. Wenn die Filme gut werden, freut es mich, aber trotzdem möchte ich nicht, daß mein Name erwähnt wird.

Wie schreiben Sie Ihre eigenen Drehbücher?

Ich beginne immer mit einer Erzählung, ich schreibe noch nicht sofort ein Drehbuch. Manchmal höre ich mitten in der Arbeit auf, weil ich bei einem Stoff nicht weiterkomme. Ich weiß also meist zu Anfang nicht, wie ich zum Schluß kommen werde. Mein Prinzip ist die Unsicherheit, das Unvorhersehbare. Ich habe Angst, der Gefangene einer frühen Idee oder einer Äußerung zu werden, auf die man mich dann festnagelt.

Wie sah die Zusammenarbeit mit Ihrem Szenaristen Jean-Loup Dabadie aus?

Zu Anfang war das sehr fruchtbar und sehr interessant. Heute ist er etwas frustriert, wie die meisten Drehbuchautoren.

Sie beide haben eine Dialogtechnik perfektioniert, in der das Banale, Alltägliche sich zum Epigramm verdichtet.

Das war unser Ziel! Die Dialoge mußten in der Alltagssprache sein, sie durften nicht als die Worte eines Autors erkennbar sein, sie durften also nicht brillant und ausgefeilt wirken.

Jorge Semprun schreibt in einer Montand-Biographie, daß die Titelrolle in“ Cesar und Rosalie“ die erste sei, die dem wirklichen Montand auf den Leib geschrieben sei, die etwa Gebrauch macht von seiner Lust am Fabulieren. Wenn Sie eine Rolle schreiben, denken Sie da schon immer an einen bestimmten Schauspieler? Montand und Piccoli

„Cesar et Rosalie“ habe ich allerdings schon sieben Jahre früher geschrieben, und ich wußte damals auch noch nicht, für welchen Schauspieler. Die Figur ist die Kombination zweier Leute, die ich damals getroffen hatte. Ich bot die Rolle Vittorio Gassman an, aber der lehnte ab. Eines Tages traf ich dann Montand. Damals war er eine Heldengestalt, zusammen mit Simone Signoret. Sie beide waren Galionsfiguren.

Zu meiner Überraschung fand ich heraus, daß Montand ein sehr witziger Mensch sein konnte. Montand versteckt einen Teil seiner selbst: seine italo-marseillaise Kindheit. Ich stellte fest, daß ich in ihm sehr viel von einem der beiden Vorbilder für den Cesar wiederfinden konnte. Der Film ist also in gewisser Weise schon eine Begegnung mit dem wirklichen Montand.

Tatsächlich war es aber Simone, die ihn drängte, die Rolle zu spielen. Er selbst hatte nämlich große Angst davor, die Rolle eines Ungebildeten zu spielen. (imitiert Montands Stimme) „Niemand wird Montand einen Ungebildeten abnehmen!“ Als wir dann aber erst einmal angefangen hatten zu drehen, hatte er erkannt, daß er dieser Rolle entsprach, und fühlte sich wohl darin.

Wie steht es mit seiner Rolle in „Gar?on“, ist die auf ihn zugeschnitten?

Ich kannte einen etwa siebzigjährigen Kellner, der so war wie der Held des Films. Die habe ich Montand auch nicht auf den Leib geschrieben. Er wollte erst auch gar nicht den Vertrag unterschreiben. „Niemand wird Montand einen gewöhnlichen Kellner abnehmen!“ Die wichtigsten Szenen außerhalb der Brasserie - spielte er zusammen mit Jacques Villeret, und ich glaube, er hatte Angst, daß der ihm die Szenen stiehlt. Um ehrlich zu sein: „Gar?on“ ist kein großartiger Film, auch wenn es einige Szenen darin gibt, die ich liebe.

Es gibt in Ihren Filmen immer wieder Parallelen zu Szenen aus früheren Filmen. In „Mado“ beispielsweise nimmt Michel Piccoli eine Einladung zu einer Hochzeitsfeier auf dem Land an, in „Die Dinge des Lebens“ fährt er an einer Hochzeitsgesellschaft vorbei und schlägt deren Einladung aus. Sind dies bewußte Anspielungen?

Ja, diese Anspielungen sind bewußt. In „Die Dinge des Lebens“ hat Piccoli kurz vorher Romy Schneider in einem Brief geschrieben, daß er sie heiraten will. Als er dann an dieser Hochzeitsgesellschaft vorbeifährt, macht er sich über das Heiraten lustig. Das zeigt, daß er innerlich doch noch immer unentschlossen ist. Nach dem Unfall stellt er sich im Traum dann eine Hochzeit vor, bei der er und Romy Schneider heiraten und bei der alle Unfallzeugen und Schaulustigen Gäste sind.

Es gibt aber noch Verbindungen zu anderen Filmen. Das Autorennen in „Cesar et Rosalie“ fällt mir da ein: Piccoli fährt im ersten Film ganz ausgezeichnet - und kommt dann bei einem Unfall ums Leben. Montand hingegen fährt wie ein Wilder - und ihm passiert überhaupt nichts. Das war Absicht, um zu demonstrieren, daß sich die entscheidenden Dinge im Kopf der Personen abspielen.

Überhaupt sind lange Autofahrten und Essensszenen ein immer wiederkehrendes Merkmal Ihrer Filme.

Ja, Autoszenen und vor allem Bistroszenen. Damit läßt sich einfach sehr viel erzählen. In „Das Mädchen und der Kommissar“ war es mir zum Beispiel wichtig, daß die Ganoven auf dem Weg zum Überfall, - der ja dann katastrophal für sie enden wird - durch einen Tunnel fahren, in dem kurz vorher ein Verkehrsunfall stattgefunden hat.

Sie sind der einzige Regisseur, den ich kenne, der heute Autoszenen immer noch mit Rückprojektionen dreht.

Bei uns nennt man das „transparence“. Ich liebe das, ich bin ganz verrückt danach, solche Szenen zu drehen! (lacht) Ich drehe gern so, weil ich mich den Figuren im Wageninnern nähern will, ich will hinter die Windschutzscheibe dringen. Das macht bei Nachtszenen sehr viel Spaß, das läßt sich auch sehr einfach drehen. Bei Tagesszenen ist es dann schwieriger, weil dem Zuschauer der Unterschied zwischen Studioaufnahmen und Rückprojektion eher bewußt wird. Und wenn ich dann wirklich einmal eine Szene „real“ drehe, dann werfen mir die Leute vor, daß es auch nur ein Studiotrick ist!

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