: Stammheim bleibt weiterhin Programm
Nach dem Hungerstreik der RAF-Gefangenen werden aus den Hochsicherheitstrakten in unionsregierten Ländern Haftverschärfungen und Schikanen bekannt / Christdemokraten mauern gegen Zusammenlegungsangebote aus Berlin, NRW und Schleswig-Holstein / Haftverschonung für kranke Gefangene nicht in Sicht ■ Von Maria Kniesburges
Als der zehnte Hungerstreik der Gefangenen aus der RAF am 12.Mai dieses Jahres abgebrochen wurde, lag lediglich ein dürftiges Ergebnis auf dem Tisch: die Bildung zweier Gruppen von je vier Gefangenen in den SPD-regierten Ländern Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Gabriele Rollnik, verurteilt als Mitglied der ehemaligen „Bewegung 2.Juni“, wurde von West-Berlin zu den drei Frauen Christine Kuby, Irmgard Möller und Hanna Krabbe nach Lübeck verlegt, im nordrhein-westfälischen Köln-Ossendorf wurden Adelheid Schulz, Christa Eckes, Sieglinde Hoffmann und Ingrid Jacobsmeier zusammengelegt. Für beide Gruppen besteht Kontakt zu weiteren Gefangenen der jeweiligen Vollzugsanstalten.
Signalisiert wurde seinerzeit jedoch selbst aus Kreisen von Politik und Justiz, daß es bei dieser minimalen Korrektur der jahrelang praktizierten Sonderhaftbedingungen nicht bleiben sollte. Wenn die Drucksituation aufgrund des Hungerstreiks weggenommen sei, so hieß es, könne mit Bedacht doch Zug um Zug über weitere Änderungen nachgedacht werden. Auch die Anwälte versicherten, daß die intensiven Gespräche mit Vertretern aus Politik und Justiz auch nach Beendigung des Streiks „im stillen, aber beharrlich“ fortgesetzt würden.
Herausgekommen ist dabei allerdings bis heute, immerhin schon drei Monate nach Abbruch des Streiks, offenbar gar nichts. Im Gegenteil. Die CDU-regierten Länder halten starr und stur an den Sonderhaftbedingungen fest, gegen die sich während des Hungerstreiks aufs neue ein breiter Protest erhoben hatte. Von den Gewerkschaften bis zu Vertretern der Kirche war die umgehende Beendigung dieses schon seit mehr als achtzehn Jahren währenden skandalösen Zustands gefordert worden. Vergeblich. Aus den Hochsicherheitstrakten werden statt dessen handfeste Verschärfungen und eine Zunahme der täglichen kleinen, und gerade deswegen so perfiden Schikanen aus dem Sonderhaftprogramm bekannt.
Eine auch nur geringfügige Erweiterung des kleinlichen Ergebnisses des Hungerstreiks wird nach wie vor blockiert: Die CDU-regierten Länder rücken die Gefangenen, die in ihrem Hoheitsbereich einsitzen, nicht heraus. Das Angebot aus dem rot-grün regierten Berlin, dort eine Männergruppe zu bilden, läuft daher ins Leere. Die in Frage kommenden Gefangenen sitzen fest, so beispielsweise Christian Klar in Stuttgart -Stammheim, Helmut Pohl im hessischen Schwalmstadt, Karl Grosser und Günter Sonnenberg im baden-württembergischen Bruchsal oder auch die drei Gefangenen Karl-Heinz Dellwo, Knut Folkerts und Lutz Taufer im Celler Hochsicherheitstrakt in Niedersachsen. Genauso blockiert wird die Bereitschaft aus Schlewig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, die dort gebildeten Frauengruppen um weitere Gefangene zu erweitern wie etwa Brigitte Mohnhaupt und Claudia Wannersdorfer, die im bayerischen Aichach festgehalten werden. Es gilt nach wie vor das Wort der bayerischen Justizministerin Berghofer -Weichner, womit sie ihre strikte Ablehung eines Eingehens auf die Forderungen der Hungerstreikenden begründete: „Der Dümmere gibt nach.“ Und nach diesem programmatischen Leitsatz wird von Stammheim bis Celle weiter unbeirrt verfahren, auch wenn der niedersächsische Justizminister Remmers dies öffentlich anders zu verkaufen trachtet.
„Regelvollzug“ im
finsteren Celler Loch
„Wenn der niedersächsische Justizminister Remmers von Verbesserungen der Haftbedingungen und Integration in den Regelvollzug redet“, resümieren die Rechtsanwälte Renate Trobitzsch und Dieter Adler, „so wird das aufs schärfste konterkariert durch die realen Zustände im Trakt und die Methoden, mit denen gegen unsere Mandanten vorgegangen wird.“ Und in der Tat, die Vollzugsanstalt Celle macht ihrem Namen nach wie vor alle Ehre - als finsteres Celler Loch. Mehrfach hatte Remmers in den vergangenen Wochen in die Welt posaunt, man setze alles daran, die drei im Celler Trakt Inhaftierten - Karl-Heinz Dellwo, Lutz Taufer und Knut Folkerts - „in den Regelvollzug zu integrieren“. Das aber scheitere an den Gefangenen selbst, da diese alle dahin gehenden Angebote abgelehnt hätten.
Mit gutem Grund: Remmers hatte nicht etwa vorgesehen, die drei gemeinsam auf eine Station mit anderen Gefangenen im Normalvollzug zu verlegen, wie dies etwa in Köln-Ossendorf praktiziert wird, er hatte vielmehr im Sinne, die drei auf jeweils getrennte Stationen zu verteilen. Nachdem die drei Gefangenen diese in Aussicht gestellte Trennung voneinander abgelehnt hatten, verordnete ihnen Remmers zwangsweise „Gesellschaft“.
Aufschlußzeiten wurden
gekürzt
Bisher zwei andere Strafgefangene wurden in den Hochsicherheitstrakt verlegt, weitere Verlegungen dorthin sollen noch folgen. Prima Aussichten: Einer der zwei bislang in den Hochsicherheitstrakt verlegten Strafgefangenen genießt unter seinen bisherigen Mitgefangenen im Normalvollzug einen eindeutigen Ruf - als einer, der „dem Vollzug mal dies und das steckt“. Und während Remmers noch lauthals jede Bespitzelungsabsicht von sich wies - O-Ton: „Wir wollen gar nicht wissen, was die reden.“ präsentierten die Anwälte die Erklärung eines ehemaligen Gefangenen aus dem Normalvollzug in Celle, der angibt, man habe ihn als Spitzel auf die drei Gefangenen aus der RAF ansetzen wollen (siehe Kasten).
Gleichzeitig setzte es eine Verschärfung der bisherigen Haftbedingungen: Infolge einer Auseinandersetzung mit Vollzugsbeamten, die dem Gefangenen Dellwo verweigerten, einen Bildband von Marc Chagall mitzunehmen zum gemeinsamen Hofgang mit anderen Gefangenen, der ihnen im Zuge des Hungerstreiks gewährt wurde, setzte es für alle drei Gefangenen sieben beziehungsweise fünf Tage strikte Bunkerhaft in einer Leerzelle. Doch nicht nur das: Ab sofort wurde ihnen der tägliche gemeinsame Aufschluß im Trakt um eine Stunde von knapp fünf auf knapp vier Stunden gekürzt.
Und auch die Walter über den Hochsicherheitstrakt Stuttgart -Stammheim stellen derzeit aufs Neue unter Beweis, daß das Isolationsprogramm noch immer nicht ausgereizt ist. Die Anwälte verzeichnen in diesen Wochen „eine gravierende Verschärfung der Postkontrolle“, die insbesondere den Briefwechsel der im Stammheimer Hochsicherheitsbunker inhaftierten und strikt voneinander isolierten Gefangenen untereinander betrifft. So benötigten die Kontrollbeamten unlängst mehr als zwei Wochen, bis ein Brief von der einen Zelle zur anderen weiterbefördert werden durfte.
Doch nicht nur die ohnehin nur schriftlich mögliche Kommunikation unter den Gefangenen im Trakt wird systematisch unterlaufen, auch der Briefwechsel nach draußen wird gezielt behindert. Jüngstes groteskes Beispiel: Als die Bundestagsabgeordnete der Grünen Jutta Oesterle-Schwerin in Briefkontakt mit der zu fünfzehn Jahren Haft verurteilten und in Stammheim inhaftierten Eva Haule treten wollte, hatte dies eine Verfügung des fünften Strafsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart zur Folge. Dort heißt es: „Die Postsendung der Bundestagsabgeordneten Jutta Oesterle -Schwerin vom 25.Mai 1989 wird von der Aushändigung an die Angeklagte (Eva Haule, d.Red.) ausgeschlossen und ist zu deren Habe zu nehmen.“ Zur Begründung wird angeführt: „Das Schreiben der Bundestagsabgeordneten der Grünen vom 25.5.1989 und der diesem beigefügte 'Redebeitrag zur Gewaltdebatte Fraktionssitzung 2.Juni 1987‘ wären bei Aushändigung an die Untersuchungsgefangene geeignet, den Zweck der Untersuchungshaft und die Ordnung in der Vollzugsanstalt zu gefährden (§ 119 Abs. 3 StPO). (...) Ebenso erfordert es die Ordnung in der Vollzugsanstalt, von der Untersuchungsgefangenen Einflüsse fernzuhalten, die sie dazu bringen könnten, aus der Anstalt heraus weitere terroristische Straftaten zu begehen oder zu planen.“
Entschieden zu gewaltlos
Eine derartige Beeinflussung hatte die Grüne Bundestagsabgeordnete jedoch ganz und gar nicht im Sinne. So wird der inkriminierte Redebeitrag zur Gewaltdebatte eröffnet mit den Sätzen: „Ich habe ein sehr differenziertes Verhältnis zur Gewalt. Ich unterscheide zwischen Gewalt gegen Menschen und Gewalt gegen Sachen - und lehne sie beide ab.“ Doch offenbar geht den baden-württembergischen Justizbehörden die Gewaltlosigkeit der Abgeordneten entschieden zu weit, heißt es doch in dem Redebeitrag weiter: „Wenn man jedoch wie ich jede Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung ablehnt, dann muß man auch die Gewaltanwendung durch den Staat ablehnen.“ Gegen die Zurückhaltung ihrer Postsendung hat die Abgeordnete Verfassungsbeschwerde eingelegt.
Zur Aufrechterhaltung der Isolation der derzeit fünf Gefangenen im Stammheimer Trakt untereinander wird nach wie vor ein kompliziertes Hofgangsystem praktiziert, welches gewährleistet, daß sie sich auch tatsächlich niemals auch nur zu sehen bekommen. Allen fünf Gefangenen wird dreimal die Woche Hofgang gestattet, wobei im Wechsel jeweils ein Gefangener am gemeinsamen Hofgang mit anderen Gefangenen teilnehmen darf, niemals aber zwei der fünf gleichzeitig. Das einzige positive Ergebnis, das während des Hungerstreiks für die in Stammheim inhaftierten Gefangenen durchgesetzt werden konnte, ist, daß sie nunmehr das Licht in den Isolationszellen selbständig aus- und einschalten können. Bislang konnten die Lichtschalter in all den Jahren nur von den Vollzugsbeamten außerhalb der Zellen betätigt werden. Jahrelang, so die Anwältin Christian Klars, Renate Trobitzsch, „haben wir auf dem Antrags- und Beschwerdeweg versucht, diesen Zustand zu beenden, zumal sich das dauernde Neonlicht schädlich auf das Augenlicht der Gefangenen ausgewirkt hat. Jahrelang sind wir damit gescheitert.“ Jetzt verfügen die Gefangenen über Schreibtischlampen sowie über einen Stromanschluß für einen Tauchsieder. Ein Fortschritt, der allerdings lediglich ein Licht auf eine jahrelange finstere Praxis wirft.
Keine Haftverschonung
für die Kranken
Für den Gefangenen Günter Sonnenberg, inhaftiert im baden -württembergischen Bruchsal, ist dagegen nicht einmal die lächerlichste Verbesserung zu verzeichnen. Im Gegenteil, es häufen sich die Alltagsschikanen. So berichtet sein Anwalt Gerd Klusmeyer daß dem Gefangenen Durchschlagpapier und Briemarken aus der Zelle kassiert wurden - Dinge, die lediglich der Kommunikation nach außen dienen können. Nach wie vor sitzt Günter Sonnenberg, der seit seiner Verhaftung im Mai 1977 infolge einer Schußverletzung am Kopf an epileptischen Anfällen leidet, 23 Stunden isoliert in der Zelle. Lediglich bei dem täglich einstündigen Hofgang trifft er mit dem Gefangenen Karl Grosser zusammen.
Alle Anträge, die zwei Gefangenen in eine Zelle zusammenzulegen, um so die Gefahr eines erneuten epileptischen Anfalls Günter Sonnenbergs zu begrenzen, wurden bislang strikt abgelehnt. Die geforderte Haftverschonung des kranken Gefangenen steht nicht in Sicht. Und ebenso wird unter der Regie der Justizministerin Berghofer-Weichner im Falle der Gefangenen Claudia Wannersdorfer verfahren. Auch sie leidet unter epileptischen Anfällen, eine Folge der Haftbedingungen, wie aus einem ärztlichen Gutachten hervorgeht. Während ärztlicherseits angeraten wird, die Gefangene zumindest mit „einer Person ihres Vertrauens“ in einer Zelle zusammenzulegen, war die bayrische Justiz im Gefolge des Hungerstreiks lediglich zu der minimalen Lockerung bereit, den zwei in Aichach inhaftierten Gefangenen Claudia Wannersdorfer und Brigitte Mohnhaupt drei Mal in der Woche einen gemeinsamen Zellenaufschluß von je einer Stunde zu gewähren. Auch hier scheint man von einer Haftverschonung, wie sie seit langem gefordert wird, weit entfernt. Genauso wie offenbar nach wie vor im Falle des ebenfalls in Bayern inhaftierten Bernd Rössner (siehe taz vom 8.8.89, Seite 5). Denn in Bayern geht noch längst nicht, was in Berlin ohne Sicherheitsgefährdung möglich ist. Nach jahrelangem Hin und Her noch unter dem Berliner CDU-Senat wurde der Gefangenen Angelika Goder, einst inhaftiert als Mitglied der ehemaligen „Bewegung 2.Juni“, eine seit Jahren notwendige Hüftoperation ermöglicht. Zur Rekonvaleszenz wird ihr ein Jahr Haftverschonung gewährt. Nachdem sie längst mehr als zwei Drittel ihrer 15jährigen Haftstrafe hinter sich hat, ist unwahrscheinlich, daß sie überhaupt noch zurück in den Knast muß.
Zur Sicherheit im Staate werden unterdessen in Stammheim, in Celle, in Bruchsal, in Schwalmstadt und andernorts die Trennscheiben weiter hochgefahren. Und auch die Entkleidungsaktionen vor Besuchen stehen in einer ganzen Reihe von Trakten noch immer auf der Tagesordnung, ebenso wie das regelmäßige Zellenfilzen. „Offenbar zur puren Schikane werden die Kontrollen in verschiedenen Trakten sogar noch stärker in die Länge gezogen, als es bisher schon der Fall war“, so die Anwälte. Es bleibt dabei: Was der bundesrepublikanische Sicherheitsapparat einmal ausgeklügelt hat, das hat System und Dauer. Frei nach dem tumben Motto: „Der Dümmere gibt nach.“
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