: Eiertanz um sieben tiefgefrorene Embryonen
Spektakulärer Scheidungsprozeß in den USA / Noch-Ehepaar Davis nach Expertenanhörungen im Zeugenstand / Sie „will die Mutter meiner Kinder“ sein / Er fühlt sich „vergewaltigt“ und erinnert an eigene Kindheit ohne Vater / Urteil frühestens am Freitag ■ Von Andrea Seibel
Berlin (taz) - Im ersten Scheidungsprozeß der USA, in dem es neben dem üblichen Hickhack um Hab und Gut auch das Schicksal sieben tiefgefrorener Embryonen zu entscheiden gilt, erlebte ein rappelvoll besetzter Gerichtssaal am Dienstag den Auftritt des Ehepaars im Zeugenstand. Am zweiten Tag des vor dem Bezirksgericht Blount County im US -Bundesstaat Tennessee laufenden Verfahrens begründeten Mary Sue Davis und Junior Lewis Davis noch einmal ausführlich ihre Positionen. Sie will das Sorgerecht für die Embryonen, weil sie weiter versuchen will, Kinder zu bekommen. Er aber will nicht Vater werden und „die Kontrolle über sein Fortpflanzungsleben wahren“. Richter Dale Young wird nun klären müssen, ob ein tiefgefrorener Embryo einfaches „Besitztum“ ist oder aber Nachkomme.
Mary Sue Davis und Junior Lewis Davis, eines von 2,5 Millionen unfruchtbaren Paaren in den USA, hatten nach sechs vergeblichen „natürlichen“ Versuchen, ein Kind zu zeugen, Zuflucht in einer der 169 Kliniken der USA gesucht, die für teure Dollars im Reagenzglas befruchtete Eizellen in die Frauen zurückfplanzen. 5.000 der inzwischen weltweit 15.000 Reagenzglasbabies erblickten in god's own country das Licht der Welt. Doch bei den Davis‘ klappte es auch so nicht. Die sieben befruchteten Eizellen, um die es jetzt geht, blieben beim letzten ihrer insgesamt sechs Versuche übrig. Die 28jährige Mary Sue Davis sagte dem Richter, trotz aller Strapazen der sehr schmerzhaften künstlichen Befruchtung glaube sie, daß die Embryonen „dazu bestimmt sind, zurück in meinen Körper zu gelangen, wohin sie auch gehören“. Auch wenn sie jetzt nicht wisse, ob sie sich jemals wieder dieser Tortur aussetzen werde, sei sie gegen eine Beibehaltung des tiefgefrorenen Zustands der Embryonen: „Das ist, als ob man sie tötet.“ „Ich will die Mutter meiner Kinder sein.“
Junior Lewis, ein 30jähriger Kühlschranktechniker, fühlt sich „vergewaltigt“, wenn seine Noch-Frau gegen seinen Willen einen Embryo auszutragen versuchen würde. Ein halb ungewolltes Kind lebte mit einer „psychologischen Last“. Er selbst stamme aus einer geschiedenen Ehe und habe nie verkraftet, daß er keinen Kontakt mehr zu seinem Vater hatte. „Ich war sehr wütend“, sagte er. „Da war auch viel Haß.“ Lewis signalisierte jedoch, daß er „dieses Kind nie im Stich lassen“ würde. „Aber ich hätte nie eine solche Beziehung zu ihm wie die Mutter.“ Das alles sei unfair ihm und dem Kind gegenüber. Die Anwältin der Frau hatte vor Prozeßbeginn argumentiert, mit der Einwilligung des Mannes in die In-vitro-Befruchtung habe er die prinzipielle Entscheidung, Kinder zu bekommen, getroffen. Mary Lewis will auf Unterhaltsgeld oder sonstige Zuwendungen des biologischen Vaters für die so gezeugten Kinder verzichten.
Am ersten Prozeßtag waren Experten zu Biotechnik und medizinischer Ethik gehört worden. Außerdem wurden dem Gericht graphische Filme über die Entnahme von Eiern und die Implantation im Reagenzglas gezeugter Präembryonen in die Gebärmutter gezeigt. Gestern sollte ein französischer Genetiker gehört werden. Mit einem Richterspruch wird frühestens am Freitag (Donnerstag abend amerikanischer Zeit) gerechnet. Es kann aber auch sein, daß sich Richter Dayle länger Zeit nimmt, schließlich liegt eine große Last auf seinen Schultern. Doch wie auch immer das Urteil ausfällt, der nächste Prozeß kommt bestimmt: In den USA schlummern 3.700 tiefgefrorene Embryonen - im gesetzlichen Vakuum.
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