: Neue Runde im Streit um Brokdorf
■ Mit beschädigten Zentrierstiften soll das AKW nicht wieder ans Netz / Schleswig-Holsteins Energieminister Jansen kriegt Rückendeckung durch neues TÜV-Gutachten / Töpfer sieht keinen Anlaß für Drohgebährden
Kiel (taz) - Der Streit um das Atomkraftwerk Brokdorf geht in eine neue Runde. Der schleswig-holsteinische Energieminister Günther Jansen (SPD) ging gestern in die Offensive. Er kündigte an, daß er die Wiederinbetriebnahme des Reaktors nicht genehmigen wird, falls beim derzeit stattfindenden Brennelemente-Wechsel erneut defekte Zentrierstifte festgestellt werden.
Vor einem Jahr war Jansen mit demselben Vorhaben aufgelaufen. Mit einer Bundesweisung hatte der Bonner Umweltminister Klaus Töpfer die Inbetriebnahme gegen den Willen Jansens durchgesetzt. Später bestätigte auch das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg, daß Jansens Reparaturforderungen angeblich überzogen waren. Doch diesmal hat der SPD-Minister bessere Karten. Gestern stellte er vor der Presse ein neues Gutachten des TÜV-Norddeutschland vor, das seine Position weitgehend bestätigt.
In dem TÜV-Gutachten heißt es: „Solange nicht erkennbar ist, daß es sich in der Anlage Brokdorf um einen einzelnen Schaden handelt, (...) halten wir es für notwendig, daß jeder neue Zyklus grundsätzlich mit intakten Brennelement -Zentrierstiften begonnen wird.“ Im Gesamtzusammenhang des Gutachtens bedeutet dies, daß jeder einzelne defekte Zentrierstift ausgetauscht werden muß. Jansen: „Mit diesem Gutachten treten wir in eine neue Phase der ernsthaften Materialprüfung ein.“
Der TÜV verlangt in seinem Gutachten außerdem, daß die neuen Zentrierstifte aus „austenistischem“ Werkstoff bestehen. Der bisher verwendete Werkstoff „Inconel 750 X“ habe sich als riß- und korrosionsanfällig erwiesen. Der TÜV will sicherstellen, daß die bundesweit in Atomkraftwerken immer wieder auftretenden Schäden an Zentrierstiften systematisch untersucht werden. Die Einschätzung von Umweltminister Töpfer und des OVG Lüneburg, daß die Beschädigungen nicht sicherheitsrelevant sind, wird durch das Gutachten zurückgewiesen.
Energieminister Jansen betonte mehrfach - mit treuem
Augenaufschlag -, daß es sich ausschließlich Fortsetzung auf Seite 2
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um eine Sicherheitsfrage handele und daß die Zentrierstifte nicht als Vehikel für den Ausstieg aus der Atomenergie benützt würden. Er werde die Vorgaben des TÜV ausschließlich unter dem Aspekt der Schadensvorsorge behandeln. In
teressant, so Jansen, sei jetzt die Frage, ob sich Bundesminister Töpfer wie beim letzten Streit einmische und wiederum eine angeordnete Reparatur verhindern werde. Exakte Angaben über den Zustand der Zentrierstifte werden in den nächsten Tagen erwartet. Die Zentrierstifte sind für die Justierung der Steuerstäbe verantwortlich, mit denen der Reaktor abgeschaltet bzw. seine
Leistung geregelt wird. Das Atomkraftwerk Brokdorf soll in sechs Wochen nach abgeschlossenem Brennelementwechsel wieder in Betrieb gehen.
Bundesumweltminister Töpfer erklärte gestern, zu den „Drohgebärden“ von Jansen bestehe kein Anlaß. Er werde den Bericht der Reaktor-Sicherheitskommission abwarten, bevor er die Angelegenheit ab
schließend beurteile. Die Kraftwerksbetreiberin Preußenelektra griff ebenfalls in den Streit ein. Sie erklärte, daß es an der Sicherheit der Anlage keinerlei Zweifel gebe. Der Austausch der Zentrierstifte hänge vom Ergebnis der gegenwärtigen Inspektion der Anlage ab. Das TÜV -Gutachten bringe keine grundsätzlich neue Einschätzung.
Jürgen Ötting/-man
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