: Den Richter heraushalten
■ Justizsenatorin will weniger Gerichtsverfahren gegen Jugendliche / Berlin bei Verfahrenseinstellungen Schlußlicht
Erziehen statt strafen: Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD) hat die Strafverfolgungsbehörden angewiesen, bei Straftaten von Jugendlichen und Heranwachsenden verstärkt auf ein „förmliches Verfahren“ zu verzichten. Statt dessen sollen die Behörden soweit wie möglich Verfahren schon auf Staatsanwaltsebene einstellen, um Jugendliche besonders bei Bagatelldelikten „nicht durch das Verfahren zu belasten“. Bisher wird meist erst im Gerichtssaal eingestellt. Mit der neuen Richtlinie zur Verfahrenseinstellung zieht Berlin jetzt nach. Andere Bundesländer wie Hamburg, Bremen und Niedersachsen machen bereits seit längerem von den Möglichkeiten des Jugendgerichtsgesetzes Gebrauch. So werden in Hamburg bei Bagatelldelikten (z.B. Ladendiebstahl) 57 Prozent der Verfahren eingestellt, während es in Berlin magere 14 Prozent sind. Sogar Bayern lag bisher mit 23 Prozent besser.
Wie Limbach gestern auf einer Pressekonferenz sagte, beziehe sich ihre Anweisung auf neueste kriminologische Erkenntnisse, wonach über 60 Prozent der Jugendkriminalität Bagatelltaten seien. Diese Delikte seien in der Mehrzahl der Fälle „episodenhafte Ereignisse“ und „Probierverhalten“ und „kein Start in eine schwerkriminelle Karriere“. Limbach betonte, daß die verstärkte Einstellung von Verfahren keineswegs eine „Einladung“ zu kriminellem Verhalten sei. Die generalpräventive Wirkung des Jugendgerichtsgesetzes nehme durch die neue Anordnung keinen Schaden. Die Justiz könne ohnehin nur auf die vier Prozent Jugendliche „erzieherisch einwirken“, die erwischt würden. Die Maßnahmen der Justizbehörden auf diese kleine Gruppe dürfe nicht zu „weiterer Stigmatisierung“ führen.
Kern der neuen Anweisung sind die „sanktionslose“ Einstellung von Verfahren bei „geringer Schuld“ und „geringen Folgen der Tat“ sowie die Einstellung verbunden mit erzieherischen Maßnahmen (schriftlich bei leichteren Fällen, Gespräch bei schwereren). Erst in einer dritten Stufe soll der Jugendrichter an dem Erziehungsverfahren beteiligt sein. Nach der Anweisung kommen für die sanktionslose Einstellung von Verfahren Taten wie geringer Diebstahl (bis 50 Mark), leichte Sachbeschädigung, fahrlässige Körperverletzung, Schwarzfahren etc. in Frage, „wenn es sich um jugendtypisches Fehlverhalten handelt“.
Ebenfalls bei der Pressekonferenz anwesende Staatsanwälte betonten die „überwiegende Zustimmung unter den Kollegen“, sagten aber auch, daß die neue Anweisung keine „Pauschalregelung“ sei. Wie bisher müsse der Einzelfall entscheiden. Auch sei bei Anwendung der Anweisung unter Umständen die Schaffung neuer Stellen bei der Jugendstaatsanwaltschaft notwendig.
kotte
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