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SERNER: Walter Serner "Gesammelte Werke"

Als vor ein paar Jahren viele von uns die politischen Gruppen verließen und das Leben wieder entdeckten, wurde in den Kneipen nicht mehr über Imperialismus und Kampf diskutiert, sondern über Schönheit und Verführung, Tango und Walter Serner (1889-1942). Zunächst war letzterer kurze Zeit ein Geheimtip, dann ein stetiger Erfolg im Klaus G. Renner -Verlag. Jetzt gibt es die von Thomas Milch herausgegebene zehnbändige Ausgabe der „Gesammelten Werke“ als Taschenbuchkassette. Diese Ausgabe ist - so heißt es in der editorischen Vorbemerkung - „noch einmal sorgfältig durchgesehen: verbliebene Satzfehler wurden korrigiert, die Anmerkungen wurden verbessert und erweitert, und die Bandfolge wurde teilweise neu geordnet“. Soweit so gut. Von seinen frühen Glossen sei eine als Appetizer zitiert: „Die Großinquisition in der deutschen Sozialdemokratie. Die Reichstagsfraktion der deutschen Sozialdemokratie hat am 2. Februar 1915 den Beschluß gefaßt, daß ihre Abstimmungen geschlossen zu erfolgen haben und ihren Mitgliedern lediglich gestattet, der Abstimmung fernbleiben zu können. Liebknecht und Rühle, die trotzdem gegen den Krieg und die Kriegsanleihen sprachen, verurteilte sie deshalb wegen Disziplinarbruchs öffentlich auf das entschiedenste. Herstellt meine Herren! Ich weiß ja nicht, wie Liebknecht und Rühle bei der Beratung des Beschlusses am 2. Februar 1915 sich verhalten haben: jedenfalls muß gelegentlich solch mittelalterlicher Verurteilungen der Zusammenhang von Antimilitarismus und Disziplinbruch einerseits und Gewissensfreiheit und Inquisition andererseits hergestellt werden. Um dieser Schwierigkeit zu entgehen, schlage ich vor, den ersten Parteitag nach dem Krieg im Eskorial in Spanien zu zelebrieren - mit Herrn Scheidemann als Großinquisitor.“

Walter Serner, Gesammelte Werke, Goldmann-Verlag, 124 DM.

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