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Täuschungsmanöver der türkischen Justiz

■ Hungerstreikende Gefangene nach wie vor angekettet / Polizeiterror in Aydin / Angehörige werden drangsaliert

Istanbul (taz) - Die türkische Menschenrechtsorganisation ATDLH dementierte am Montag Berichte aus dem Justizministerium, nach denen in türkischen Gefängnissen einige Disziplinarstrafen wie das Anketten der Häftlinge oder die Dunkelhaft abgeschafft worden sein sollten. Auch sollten von den insgesamt 258 politischen Gefangenen im Gefängnis von Aydin 63 ihren vor 47 Tagen begonnenen Hungerstreik abgebrochen haben. Da zur Zeit niemand die Erlaubnis erhalte, das Gefängnis in Aydin zu betreten, bestehe der Verdacht, daß die Justizverwaltung diese Berichte vorsätzlich lanciert, so ATDLH. Sie beschuldigte am Montag den Minister, mit diesen Gerüchten die öffentliche Meinung zu täuschen.

Während im Gefängnis der westtürkischen Stadt der Hungerstreik bald in die achte Woche geht und vier Häftlinge bereits im Koma liegen, zeigt der Staatsterror in Aydin ein neues Gesicht: An allen Eingängen der Stadt kontrolliert die Polizei seit Sonntag nachmittag die Einreisenden. Sämtliche Delegierte des türkischen Menschenrechtsvereins, die am Samstag in Aydin angekommen waren, wurden erkennungsdienstlich behandelt. Die angereisten Angehörigen der Hungerstreikenden wurden in ihren Häusern und Hotels aufgespürt und namentlich erfaßt. Die kurdischen Viertel und die Stadtmitte, in der sich die Büros des Menschenrechtsvereins und der Sozialdemokratischen Partei häufig Zufluchtsort der Angehörigen von Gefangenen befinden, sind fest in der Hand der Polizei. Trotz dieser offenen Repression ist es den Vertretern von ATDLH durch die Unterstützung des Chefarztes des Gefängniskrankenhauses gelungen, mit den Gefangenen im Krankenhaus zu sprechen. „Osman Zeybek hat mir die Folterspuren auf seiner Brust gezeigt. Alle Hungerstreikenden würden geschlagen und gefoltert, erzählte er mir“, sagte der Sprecher der Delegierten, Akin Birdal. „Im Krankenhaus waren alle Gefangenen an ihre Betten gekettet.“ 12 Gefangene verweigern seit gestern laut Aussage des Chefarztes nicht länger die ärztliche Behandlung.

Außer Gerüchten dringt über die Zustände im Gefängnis von Aydin nichts mehr nach außen. Justizminster Sungurlu beschuldigte die Presse, durch ihre Berichterstattung würde sie die Häftlinge ermutigen, „ihren Hungerstreik mit mehr Entschlossenheit zu führen“.

Zeynep

Herkmen/Roland Schimmelpfennig

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