: Politikfreie Körper
■ "Bilder aus dem privaten Bereich" von Sigurd Wendland
Wie privat ist es, wenn es privat sein soll? Frau auf Futonmatte, Mann auf Sessellehne, Frau auf Designersofa, Mann auf Kinderdecke, Menschen auf Dach, ausgestreckt zum Sonnenbad. Und alle sind sie nackt. Mit hängender Schulter oder selbstbewußt geöffneten Schenkeln, das Gesicht der Sonne entgegen oder der verlorene Blick am Betrachter vorbei. „Bilder aus dem privaten Bereich“ nennt der Maler Sigurd Wendland seine Ausstellung, die zur Zeit im Haus am Lützowplatz gezeigt wird. Ganz gradlinig setzt der Maler das Thema um, die stumme Nacktheit im heimischen Interieur ist privat, Berlin privat. Die Modelle sind alle um die 40, kommen aus einer Szene; die wenigen mobiliaren Details erinnern an die Wohntrends bei dir und mir.
Der Maler kennt sich aus mit Personen und mit der Szene, so lange schon hat er sich darin bewegt, er gehört dazu. Noch im vergangenen Jahr stellte er die Ergebnisse seiner letzten Schaffensperiode aus, Porträts von zumeist prominenten Szenegenossen: die Musiker Udo Lindenberg, Wolfgang Niedecken und Marianne Enzensberger, die Kabarettisten Wolfgang Neuss und die Drei Tornados, den Filmer Lothar Lambert, die Gerichtsreporterin Annette Wilmes. Und Dieter Kunzelmann, Thorwald Proll, Bruno Ganz, Rainer Bieling, Heidi Paris, Peter-Paul Zahl. „Real existierenden Subjektivismus“ nannte Wendland damals die erfolgreiche Abbildung der Erfolgreichen, um nicht verwechselt zu werden mit den Realisten. Hofmaler? „Damit hab‘ ich schon wieder aufgehört. Mich interessierten Leute, über die ich gerade nachgedacht habe, die mich irgendwie ausgedrückt haben. Sie machten Berliner Kultur aus und somit auch mich. Ich brauchte keinen politischen Inhalt zu malen, aber dadurch, daß ich eine bestimmte Person wiedergegeben habe, wurde auch ein politisches Programm auf die Leinwand gebracht.“
Nach dem Ende der politischen Programme wurde das Private politisch, der Malerschritt zum Privaten war danach nicht mehr weit: „Bei den Porträts wurde lediglich das Gesicht ein bißchen entzaubert, der Rest blieb verkleidet, geschützt vor den Blicken. Dann habe ich die Leute eben gefragt, ob sie sich nicht auch mal nackt malen lassen würden.“
„Ganz politisch“ fing es mal für den Maler an, der seit 1972 in Berlin lebt. So politisch, wie für viele der Porträtierten. „Während der K-Gruppen-Zeit haben wir nachts riesige Bildtransparente gemalt für riesige Demos, die am nächsten Tag stattfanden. Politische Schlagworte wurden auf die Leinwand gebracht. Politisch ganz dümmlich verkürzt wurden Sachverhalte dargestellt, mehr oder weniger für Analphabeten. Für mich war Kunst damals, Produkte herzustellen, die benutzt werden müssen.“
Dann kam die malerische Auseinandersetzung mit RAF -Fahndung, Amnestie, linkem Revolutionstourismus, Nationalstolz und real existierendem Sozialismus, er bemalte einen Weltkriegsbunker und machte sich Gedanken über den richtigen Blick auf die Trümmerarchitektur der Nachkriegszeit: Die Themen der jüngsten linken Geschichte hatten ihren pinselnden Chronisten.
Dem sich ständig wandelnden Politikverständnis der familiären Szene ist Wendland treu geblieben, heute malt er für sich: “...als erstes. Durch die Erfahrungen, die ich gemacht habe mit bestimmten Ausstellungen, als ich mit Bildern dieses oder jenes unterstützen wollte und mir das völlig klar schien, dabei aber erfuhr, daß der Betrachter das Gemalte doch ganz anders interpretieren kann, ist mir klar geworden, daß ich nur noch das male, was ich denke und empfinde, das, was mir Spaß macht. Dabei versuche ich nicht, für den Markt oder für ein Publikum zu arbeiten.“ Und deshalb könne er auch nicht mehr sagen, daß das, was er mache, noch politisch sei: „Was ich versuche, ist, ein Bild grundsätzlich so aussehen zu lassen, daß es heute gemalt ist. Auch jeder Akt spiegelt 1989 wider, unsere Zeit, unsere Szene, eben unser Leben heute.“ Vom Gebrauchswert der einstigen illustrierten Parolen ist viel geblieben, Porträts und Akte geben gleichfalls verkürzt private Inhalte wieder, zum schnellen Verständnis, auch für Analphabeten.
Elmar Kraushaar
Sigurd Wendland: Bilder aus dem privaten Bereich. Bis zum 20.August im Haus am Lützowplatz, Di-So 11-18Uhr
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