: GESICHTSVERLUST
■ James Rielly im Bethanien und Dieter Appelt im Dirk Nishen Verlag
The Body as Hierarchy“ nennt James Rielly, ein junger Maler aus England, seine Serie männlicher Portraits, an der er auch im Künstlerhaus Bethanien während eines einjährigen Aufenthalts in Berlin arbeitete. Vom menschlichen Körper findet sich in seinen Bildern nur der Kopf, den er für den expressivsten Teil hält. Eine andere Körperlichkeit aber gewinnen die Bilder selbst, die Rielly mit Teer, Rostschutzmitteln, Klebstoffen und Farben gemalt hat. Die Gesichter verblassen zu durchsichtigen Schemen, ihre Konturen dünnen aus, und immer kleiner werden die oft in einer Fluchtlinie angeordneten Köpfe. Ihre Wiederholung betont die Stereotypie der Gesichter. Zugleich tritt das rauhe Relief der Leinwände massiv und pur an die Oberfläche, zeigt Krater und Risse: Profil des Mondes und eines ausgetrockneten Flußbettes. Die Gesichter darüber bleiben gewichtslose Schatten, Angriffsfläche für Verwitterung und Alter. Die Leinwand wird zur individuellen Landschaft. Man kann in Riellys Bildern das allmähliche Verschwinden des Abgebildeten im Entstehen des Farbkörpers beobachten.
Rielly verfremdet die Ikonographie des Kopfes: Er halbiert Gesichter, verschiebt und verdreht die Hälften oder verdoppelt ein Portrait spiegelsymmetrisch, so daß längs der Mittelachse ein drittes, eigenartiges Wesen entsteht. Doch was er auch anstellt: der Betrachter setzt sich die stereotypen Köpfe immer wieder zusammen. In Riellys Anamorphosen zerfließen die Gesichter in perspektivischer Verzerrung; und während man den Blickpunkt sucht, von dem aus das Bild als Portrait funktioniert, treibt man von neuem die gegenständliche Identifizierung des auf dem Bild Befindlichen voran.
Riellys bröselige Gesichter erinnern an das Verschwinden der fotografischen Portraits im Plastikrelief der neuen Personalausweise: Dort scheint die physiognomische Wiedererkennbarkeit zum sekundären Identifikationsmerkmal hinter den kodierten Infomationen in der verschlungen Oberfläche zu werden.
Von Dieter Appelt, Professor an der Hochschuler der Künste, ist vor kurzem im Dirk Nishen Verlag ein Buch mit Photographien erschienen, die große Nähe zur Auflösung der Portraits bei Rielly zeigen. Auch bei Appelt verliert der menschliche Körper seine Vertrautheit. In seinen Photographien auf Gelatine- und Silber- oder Platinum -Schichten werden Hände, Schädel und Leiber zu verwitternden Dingen. Der menschliche Körper erhält bei ihm die gleiche gefährdete Materialität wie Holz, Steine, Schlamm oder Wurzeln, die Appelt im übrigen ebenfalls fotografiert. Oft benutzt er in seinen Photographien das Motiv des Spiegels, in dem sich statt eines Spiegelbildes nur eine diffuse und verschwommene Helligkeit zeigt: Die Möglichkeit des exakten Abbildes wird bestritten. Dafür tritt die Zeit in Erscheinung, die für das Machen des Bildes benötigt wurde: Appelt hat aus den Zufällen der Photographie Mehrfachbelichtungen oder bewegungsbedingte Unschärfen Aufnahmetechniken entwickelt, um den Prozeß des Bildermachens selbst zu visualisieren. Das Objekt vor der Kamera scheint sich während dieses Vorganges in Schatten aufzulösen und zu verschwinden.
Auch Teer und Klebstoff, die Materialien, die James Rielly benutzt, können - ähnlich wie Appelts vorbehandelte Oberflächen - als eine Art Negativ-Masse dienen: Zäh, bindend und erst allmählich hart werdend, bleiben sie eine Zeitlang in ihrer Form beeinflußbar. Rielly hat diese Empfänglichkeit des Stoffes genutzt, um der Bildoberfläche jene rauhe und schwere Struktur zu verleihen, die im Gegensatz zu den stereotypen und verblassenden Bildnissen steht.
Der Maler und der Photograph kosten den Reiz der immateriellen Erscheinung und der schwerelosen Körperhaftigkeit aus. Die Spuren des Gegenständlichen werden zu Schatten. Die Spannung ihrer Arbeiten entsteht aus dem Eindruck des langsamen Verlöschens des Bildes und des Verfalls des Sichtbaren.
Katrin Bettina Müller
James Rielly, „The Body as Hierarchy“ im Künstlerhaus Bethanien bis 27. August. Dieter Appelt, „Photographie“, mit einem Text von Bernd Weyergraf, erschienen im Verlag Dirk Nishen, Berlin 1989.
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