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Desertieren-betr.: "Ein Schandmaul sucht in Bonn einen Standort", taz vom 11.8.89

betr.: „Ein 'Schandmal‘ sucht

in Bonn einen Standort“,

taz vom 11.8.89

Es ist schon recht bemerkenswert, welch‘ eine große Angst man in Bonn in allen Parteien inklusive der SPD und der Bevölkerung hat, die für Deutschland nicht gerade rühmliche Vergangenheit endlich einmal aufzuarbeiten. Unter den jetzigen und von Ihnen geschilderten Umständen fragt man sich doch unwillkürlich, wer den größeren Dreck am Stecken hat: die „Alt„-Parteien oder das Volk (von Bonn). Mir scheint, Teile der SPD haben schon vergessen, daß es mal ein „Sozialistengesetz“ gab und auch dessen Folgen.

Harald Herkenrath, SPD-Mitglied, Beisitzer der Kammer für Kriegsdienstverweigerung, Köln 30

(...) Albert Einstein hatte recht, als er damals sagte: „Wenn einer in Reih und Glied zu einer Musik marschieren kann, dann verachte ich ihn schon; er hat sein großes Hirn nur aus Irrtum bekommen, da für ihn das Rückenmark schon vollkommen genügen würde.“

In diesem Kontext ist ein ehrendes Gedenken an jene Soldaten, die desertierten - sei es „in bewußtem Widerstand“ oder allein „aus Willen zum Leben“ (Alfred Andersch), und selbst wenn „sie einfach nach Hause (gingen), um die Freundin noch einmal (zu) lieben - um so mehr angebracht, da man doch alljährlich, ganz offiziell jener gedenkt, deren „Einsatz“ letztlich der Verlängerung des mörderischen und verbrecherischen, nazistischen Unrechtssystems diente.

Angesichts der heutzutage de facto fortschreitenden Auf und Nachrüstung eines „revanchistischen Vaterländereidenkens in den Grenzen von 1937“, der wieder auflebenden Glorifizierung der verbrecherischen Waffen-SS als „tapfere Soldaten“ und der „Ohnmacht“ gegenüber der Rüstungsindustrie(mafia), dürfte nur noch der friedensfördernde Anspruch auf „massenhafte Kriegsdienstverweigerung“ im Frieden, phantasievolle Aktionen zur „Entmilitarisisierung des Denkens“ und selbstredend das Gedenken an jene Soldaten (sinnvoll) sein, die leider zu spät erkannten, welche Folgen ihre Anerkenntnis der „Pflichterfüllung“ im Sinne der militärischen Werteorientierung von „Befehl und Gehorsam“ zeitigte.

Karl Heinz Klaiber, Würzburg

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