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Mit dem Rücken zur Wand

Auf Druck der UdSSR bahnt sich in Äthiopien eine Lösung des Eritrea-Konflikts an / Im längsten Krieg Afrikas sind Militärs demoralisiert, das Volk ist ausgeblutet / Jimmy Carter will Bürgerkriegsgegner an den Verhandlungstisch bringen  ■  Aus Addis Abeba K. Pedersen

Der Konflikt in Eritrea ist ein vergessener Krieg, paradoxerweise vor allem in Afrika. Die ehemalige italienische Kolonie, die im Zweiten Weltkrieg von Großbritannien erobert wurde und ihren Namen der griechischen Bezeichnung für das Rote Meer - erythra thalassa - verdankt, gehörte nur zehn Jahre lang als autonome Provinz zu Äthiopien. 1962 annektierte Kaiser Haile Selassi das Land, um dem „ewigen Äthiopien“ 1.000 Kilometer Küste und den sicheren Zugang zum Roten Meer zu verschaffen. Anfang der sechziger Jahre hatten arabische Staaten und die Sowjetunion versucht, das damals mit den Vereinigten Staaten verbündete christliche Kaiserreich von jenem erythra thalassa abzuschneiden, aus dem - je nachdem - ein rein „arabisches“ oder „progressives“ Meer werden sollte. Seit 1963 hat die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) ihren Sitz in Addis Abeba, und seit rund zehn Jahren hält sie hier ihren alljährlichen Gipfel ab. Gleichwohl ist niemals in der legendären „Afrikahalle“ der panafrikanischen Organisation vom Krieg in Eritrea die Rede gewesen - dem seit 28 Jahren andauernden, längsten Konflikt auf dem Kontinent. Erst vergangene Woche hat der äthiopische Staatschef Mengistu Haile Mariam selbst das Tabu gebrochen. Ohne sich um das Sakrosankt der „Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten von Mitgliedsstaaten“ zu kümmern, sprach er von der nationalen Aussöhnung von Angola und Mozambik und fügte zum Erstaunen aller versammelten Staatsoberhäupter an: „Weil wir glauben, daß der Erfolg unserer Friedensbemühungen im Norden nicht nur Äthiopien, sondern dem Frieden im allgemeinen zugute kommen wird, haben wir nicht den geringsten Zweifel daran, daß unsere afrikanischen Brüder sich an unserer Seite halten und uns vollauf unterstützen werden.“

Die Unterstützung Afrikas ist freilich eine vernachlässigbare Größe im Ringen der Supermächte - und arabischer Länder wie Syrien, Saudi-Arabien und Irak - um Einfluß am Horn von Afrika. Die USA und die UdSSR haben den „Regionalkonflikt“ nunmehr unter gemeinsame Verwaltung gestellt. Ex-Präsident Jimmy Carter, der jetzt an der Spitze der NGO „global 2000“ für landwirtschaftliche Selbstversorgung und bessere medizinische Versorgung in Afrika arbeitet, hat Anfang August erfolgversprechende Vermittlungsbemühungen aufgenommen. Er sprach mit Staatspräsident Mengistu und flog dann nach Khartun weiter. In der sudanesischen Hauptstadt hatte Carter bereits im vergangenen April mit dem Führer der Volksbefreiungsfront Eritrea (EELS), Issayal Afewerke, verhandelt. „Meine Rolle ist noch nicht genau definiert, aber zwischen beiden Seiten herrscht grundsätzliches Einverständnis darüber, daß Direktverhandlungen in Gegenwart eines neutralen Beobachters eröffnet werden sollen“, erklärte Carter vor seinem Abflug aus Addis Abeba.

„Über Erpressung berichtet“

Diplomatische Kreise spekulieren über eine „baldige, ernste Gesprächsrunde“, die vermutlich in Atlanta, der Heimatstadt Carters im amerikanischen Südstaat Georgia, stattfinden soll. Anschließend würden die - erwartungsgemäß langen und schwierigen - Verhandlungen in Kairo fortgesetzt. Dies aus praktischen Gründen, aber auch weil der ägyptische Staatspräsident Mubarak vergangene Woche zum amtierenden Präsidenten der Organisation für Afrikanische Einheit gewählt wurde. Im übrigen hat Carter sicherlich gute Erinnerungen an Ägypten. Zu Zeiten El Sadats gelang ihm sein größter diplomatischer Durchbruch: das Friedensabkommen von Camp David zwischen Kairo und Jerusalem.

In den vergangenen Monaten haben die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion eine Verhandlungsstrategie ausgearbeitet, die schon vergangenes Jahr in Südwestafrika den Abzug der kubanischen Truppen aus Angola und die Unabhängigkeit Namibias ermöglicht hat. Nach einer amerikanisch-sowjetischen Vorabsprache haben sich Anfang Juli in London zum erstenmal ein Vertreter des sowjetischen Außenministeriums, Juri Jukalow, und der Führer der eriträischen Unabhängigkeitsbewegung, Issayal Afewerke, zu offiziellen Unterredungen getroffen. „Unsere sowjetischen Freunde haben uns über die Erpressung berichtet“, erklärte dieser Tage der äthiopische Außenminister und fügte an, woran kaum mehr jemand zweifeln kann: „Die Sowjetunion kann in diesem Konflikt eine bedeutende Rolle spielen.“

Mit Sicherheit. Denn Moskau ist, seit der Unterzeichnung eines auf 20 Jahre ausgelegten „Freundschaft- und Beistandsabkommens“ im November 1978, Äthiopiens bester Waffenlieferant und Kreditgeber: Die aufgelaufene Schuldenlast übersteigt heute sieben Milliarden Dollar. Ist Michael Gorbatschow bereit, weiterhin in einen aussichtlosen Krieg im Norden Äthiopiens zu investieren, während er sein eigenes Militärbudget reduzieren muß? Die Antwort ist offensichtlich bereits vor einem Jahr anläßlich des letzten offiziellen Besuchs Menistous in Moskau gefallen. Der Vater der sowjetischen Perestroika hat dabei auch für Eritrea „eine gerechte Lösung“ verlangt. Die russische Afrika -Spezialistin Galena Krylova ist noch deutlicher geworden, als sie „die Fixierung der äthiopischen Regierung auf eine ausschließliche militärische Lösung“ des Eritreas-Problems kritisierte. Nach dem gescheiterten Putschversuch in Addis Abeba, am 16.Mai, erlaubte sich Radio Moskau einen perfiden Kommentar: „Es ist doch merkwürdig, daß die beiden Anstifter des Umsturz-Versuchs, die Generäle Merew Meguissew und Ahma Desder, beide in Eritrea gedient haben.“

Putsch als Spielfilm

Dann, als am 16.Mai gegen 14.00 Uhr eine Schießerei um das im Herzen der Hauptstadt gelegene Verteidigungsministerium ausbrach, war das tatsächlich „eine Sache unter Militärs“. Schräg gegenüber den häßlich-grünen Häuserblock, unter den Arkaden einer Verkaufsstraße, versammelten sich lediglich etwa 100 Schaulustige, die dem Fortgang der Dinge wie in einem spannenden Spielfilm folgten. „Die Leute hatten keine Ahnung, was sich eigentlich abspielte“, erinnert sich ein Augenzeuge jener ungewissen Stunden. „Das ist auch eine Frage des Informationszugangs. Lediglich die Minderheit, die regelmäßig die Nachrichten der Auslandssender verfolgt, war auf dem laufenden.“ Tatsache ist, daß 300 Meter vom Verteidigungsministerium entfernt, die Warteschlangen vor dem Stadion an die Kasse drängten, während von rebellierenden Piloten gesteuerte MIG 23-Düsenjäger im Tiefflug über der Stadt die Schallmauer durchbrachen, ging das angekündigte Fußballspiel ohne Unterbrechung über die Bühne.

Der Putsch hatte offenbar einen korporatistischen Beigeschmack: Die Offiziere der altehrwürdigen Militärschule von Harrar, die zu Kaisers Zeiten alle Kadetten ausgebildet hatte, revoltierten gegen die neuen Stabschefs, die vom Mengistu-Regime unter den Abgängern der Militärakademie von Holleta rekrutiert worden sind. Aber war nicht gleichwohl der Hauptbeweggrund der Revolte - der endlose Bürgerkrieg in Eritrea - auch die Sache des Volkes? Man hätte es glauben sollen, in einem Land, in dem keine Familie ohne Opfer geblieben ist, in dem ein Heer von Krüppeln durch die Straßen humpelt und bettelnde Kinderhorden Ausländern bis ins Taxi nachsteigen und mit weinerlicher Stimme „together, together“ winseln. Während der langen Monate der bitterkalten Regenzeit wissen sie nicht, wie sie über die Nacht kommen sollen. Ihr Leid hat selbst die steinernen Herzen der allgegenwärtigen Milizen erschüttert; deren furchtbarer Nationalstolz Erwachsenen jegliches Betteln untersagt. Die Straßenkinder aber haben zumindest dieses existenzielle Notwehrrecht.

Die äthiopische Armee - 32.000 Soldaten, von denen rund die Hälfte in den Nordprovinzen „im Einsatz“ sind - ist heute vollständig demoralisiert. Ihr Debakel hat im März 1988 in Afabet, in Nord-Eritrea, begonnen. Die Garnisonsstadt mußte schließlich geräumt werden, nachdem 18.000 Regierungssoldaten getötet, verletzt oder gefangengenommen worden waren. Seither kontrollieren die ELPF-Rebellen das Land, und die Luftwaffe der Zentralarmee bewahrt ein nurmehr prekäres militärisches Gleichgewicht. In der Nachbarprovinz Egre, in der ebenfalls gekämpft wird, hat sich das Regierungsheer gar vollständig zurückziehen müssen. Am 27.Februar kamen bei der Schlacht um Inde Selaisse schätzungsweise 12.000 Soldaten ums Leben. Anschließend wurde die Provinzhauptstadt Makele kampflos geräumt.

Auf Verschleiß gesetzt

Trifft die Ende Mai angekündigte Friedensinitiative der äthiopischen Regierung die eriträischen Rebellen „draußen vor der Tür“? Das ist offensichtlich das Kalkül der Zentralmacht, die auf den „Verschleiß“ der Guerilla in der nunmehr vollständig geräumten Nordprovinz setzt. Die 1975 von universitären Intellektuellen nach eriträischem Vorbild gegründete Volksbefreiungsfront Igris (TDLS) hat jenseits punktueller Guerillaoperationen keinerlei praktische Kampferfahrung. Anders als die EPLS bleibt sie auch weiterhin orthodox, marxistisch und verbal und - ihren Kritikern zufolge - stalinistischen Praktiken verschrieben. Die eriträischen Rebellen haben 1987 die inflationären „anti -imperalistischen“ und „anti-zionistischen“ Referenzen aus ihrem politischen Programm gestrichen und sich statt dessen auf eine „pluralistische Demokratie“ verpflichtet. Obgleich beide Bewegungen seit 1985 militärisch zusammenarbeiten, um die Zentralmacht in Addis Abeba zu schwächen, scheinen sie heute politisch zu weit voneinander entfernt, um gemeinsam an den Verhandlungstisch gehen zu können.

Trotz ihrer militärischen Erfolge wissen die eriträischen Rebellen, daß heute nicht nur die Regierung Mengistous eine Kompromißlösung bitter nötig hat. Für Addis Abeba ist das Auslaufen des gegenwärtigen Militärabkommens mit der Sowjetunion - Anfang 1991 - zur Sanduhr politischen Überlebens geworden, zumal bereits im vergangenen Jahr 57 Prozent des Staatshaushalts für den Krieg im Norden ausgegeben wurden. Und der gescheiterte Putschversuch im Mai hat die Moral der Truppe kaum verbessert. Elf der rund 50 Generäle der äthiopischen Armee sind als „Verräter“ erschossen und - offiziell - 176 Stabsoffiziere anschließend verhaftet worden. Diplomaten in Addis Abeba schätzen die wirkliche Zahl der verhafteten Militärs aufs Dreifache.

Die äthiopische Regierung steht mit dem Rücken zur Wand aber nicht erst seit gestern. Die eriträischen Rebellen hingegen müssen sich zunehmend der drohenden Gefahr innerer Spaltung stellen: Während das Fußvolk der Guerilla-Armee fast ausschließlich von Muselmanen gestellt wird, mobilisieren die koptischen Christen Eritreas die militärische und politische Führung der ELPF. Präsident Mengistu hat bereits im vergangenen Dezember versucht, diesen inneren Widerspruch in den Reihen der eriträischen Bewegung politisch auszunutzen, als er die Bildung freier, autonomer Provinzen vorschlug: eine für die Muselmanen der Küste und der Täler und eine andere für die mehrheitlich in den Bergen Eritreas angesiedelten Christen.

Seither zeichnen sich die Umrisse einer stillschweigenden Übereinkunft zwischen der Zentralregierung und der christlichen Führungselite der eriträischen Rebellen ab. Nach 28 Jahren endloser „Sezessionskriege“ in der Nordprovinz scheinen sich beide Seiten darauf zu besinnen, daß der Konflikt um Eritrea ursprünglich aus der Ablehnung eines reinen „arabischen“ Meeres geboren wurde. Für das „ewige Äthiopien“ und für die koptischen Eriträer ist der Zugang zum Roten Meer ironischerweise der Fels, auf dem sich ihre friedliche Gemeinsamkeit gründet.

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