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Keine Revolution in Wuppertal

In der Stadt der Schwebebahn zieht die Verwaltung die Notbremse: Wegen Indoktrinationsgefahr darf Dieter N. keinen Vortrag an der Volkshochschule halten / Vorwurf: Er stehe den Autonomen nahe und wolle jetzt die „Autonomen der zwanziger Jahre“ feiern  ■  Von Bettina Markmeyer

Wuppertal (taz) - Die Stadt Wuppertal beschreitet neue Wege, um ihre BürgerInnen zu schützen. Wegen der „Gefahr politischer Indoktrination“ hat diese Woche Oberstadtdirektor Dr. Joachim Cornelius dem Sozialwissenschaftler Dieter N. verboten, im nächsten Jahr an der Volkshochschule (VHS) einen Kurs über das Thema „Revolution in Wuppertal 1918-1920“ zu halten. Die Begründung lieferte der städtische Pressesprecher Ziegler: „Die Verwaltung hält es nicht für sinnvoll, daß für diesen Kurs ausgerechnet jemand Kursleiter ist, der in der aktuellen Situation die Autonomen und ihre Aktionen unterstützt.“ Man bezweifele, daß Dieter N. „neutral und distanziert“ einen Kurs leiten könne, „der sich mit der Rolle der Autonomen in den 20er Jahren beschäftigt“.

Nun beschäftigt sich Dieter N. nicht mit bisher nur der Stadt Wuppertal bekannten „Autonomen“ der 20er Jahre, sondern mit der anarchistischen Gewerkschaftsbewegung und ihrem Widerstand gegen den Kapp-Putsch 1920. Außerdem hatte er sich nie vorgenommen, „neutral und distanziert“ VHS-Kurse zu leiten. Solche Qualifikationen wurden von ihm, als er 1985 anfing, nebenberuflich für die Erwachsenenbildung zu arbeiten, auch nie verlangt. Allerdings hat er sich wiederholt öffentlich für ein Autonomes Zentrum in Wuppertal eingesetzt. N. gehörte zu jener Verhandlungsdelegation, die im Namen der BesetzerInnen der Wuppertaler „Muno-Fabrik“ am 19. Juni bei Oberbürgermeisterin Ursula Krause (SPD) vorsprach und über Räume für ein Zentrum verhandeln wollte. Krause lehnte Verhandlungen ab und ließ räumen. Am vergangenen Wochenende wurde die Fabrik erneut besetzt und wieder geräumt. Die Stimmung in der Stadt ist gereizt. Die 'Wuppertaler Zeitung‘ hetzt seit Monaten gegen BesetzerInnen und Autonome, Räume für ein Zentrum gibt es nicht.

Während die Grünen die rote Karte für N. als „kommunales Berufsverbot“ bezeichnen, beteuert Pressesprecher Ziegler, daß das Verbot „kein Rausschmiß aus der VHS“ sei und „Herr N. selbstverständlich zum nächsten Semester wieder Kurse anmelden kann“.

Kulturdezernent Jüchter und der Leiter der Volkshochschule, Edgar Bach, mögen sich in Sachen Revolution nicht äußern. Laut Satzung hat die VHS „im Rahmen der vom Träger (die Stadt Wuppertal) festgelegten Grundsätze das Recht auf selbständige Lehrplangestaltung“. Verantwortlich für die Abwicklung des Kursprogramms ist VHS-Leiter Bach. Ihm obläge es, zumindest zu prüfen, ob Oberstadtdirektor Cornelius, der sich nach der Gemeindeordnung „völlig im Recht“ fühlt, richtig gehandelt hat. Dabei könnte sich zeigen, daß bei „einem ungewöhnlichen Vorgehen“ wie in Wuppertal die Rechtslage gar nicht so eindeutig ist. Dieser Auffassung jedenfalls ist der Direktor des Landesverbandes der Volkshochschulen von NRW, Horst Wiedefeld. Hingegen meint Dr. Frank Steinfort, beim Deutschen Städtetag zuständig für Schulen und Weiterbildung, daß Volkshochschulen in ihrer inhaltlichen Arbeit nicht vor Eingriffen durch die Verwaltung geschützt sind: „Ein Zustand, der verbesserungswürdig sein könnte.“

Dieter N. hatte zunächst rein zufällig von den großen Schwierigkeiten um die Wuppertaler Revolution erfahren. Ein Freund hatte bereits den VHS-Vertrag in der Tasche, während er immer noch wartete. Er wandte sich an den Fachbereichsleiter für Politik und Geschichte, Jürgen Nollau, und erfuhr dort staunend, welche Gefahr er für die Wuppertaler Bevölkerung darstelle. 21 TeilnehmerInnen seines zweiten VHS-Kurses, einer Studienfahrt nach Auschwitz und Warschau, die sich bereits angemeldet und 50 Mark angezahlt haben, sind offenbar gefeit gegen politische Indoktrination. Der Kurs findet statt.

Auch das Seminar über die Revolution soll nicht ganz ausfallen. Man will versuchen, so Pressesprecher Ziegler, einen „neutralen Kursleiter“ zu finden. Der oder die dürfte allerdings schon bei der Zusammenstellung der Kursmaterialien Schwierigkeiten bekommen. Die Quellenlage zum Anarcho-Syndikalismus der 20er und 30er Jahre ist alles andere als gut, und es ist „unbestreitbar das Verdienst (von Dieter N. und Mitautor Ulrich Klan), die vorhandenen Archivalien und die nur noch in wenigen Exemplaren erhaltenen Zeitschriften und Flugblätter des Anarcho -Syndikalismus ermittelt zu haben“. So jedenfalls würdigte der Leiter des Wuppertaler Stadtarchivs, Ulrich Eckardt, 1987 das ein Jahr zuvor erschienene Buch des gefeuerten VHS -Kursleiters. Unter dem Titel Es lebt noch eine Flamme hatte er und sein Mitautor eine detailreiche Geschichte der anarchistischen Gewerkschaftsbewegung der 20er und 30er Jahre an Rhein und Ruhr vorgelegt.

Obwohl er „die Sympathien der Verfasser für ihren Untersuchungsgegenstand keineswegs“ teile, bescheinigte Eckardt den Sozialwissenschaftlern saubere Arbeit. Die Wuppertaler Verwaltung indes interessieren solch wissenschaftliche Spitzfindigkeiten nur am Rande. Doch, doch, denkbar sei es schon, daß auch jemand wie Dieter N. einen VHS-Kurs ohne politische Indoktrination abhalten könne, gibt Pressesprecher Ziegler zu. „Aber die Verwaltung muß doch fragen, was wahrscheinlich ist.“

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