: GEFÜHLSDEMONTEURE
■ „Jeanne d'Arc 1989“ von der Laokoon Dance Group im Hebbeltheater
Die Nonne mit den roten Lippen wendet sich vertrauensvoll an das Publikum. Eigentlich hätte sie ja viel lieber die Rolle des Gilles de Rais, Massenmörder und Kinderschänder, der später vor unseren Augen noch Jeanne quälen wird, gespielt; aber die Chefin bestand auf der „Heiligen Katharina“. Katharina, die einst schon die Hirtin Jeanne mit ihren Einflüsterungen kirre machte, übernimmt jetzt im Gewirre der Macht, Gier und Intrigen auf der Bühne die Rolle des Pfandfinders, streut hilfreich Interpretationen ins Publikum, ermahnt die anderen Mitspieler und sagt Jeanne im Ton einer strengen Mutter Bescheid, wann sie auf den Scheiterhaufen muß.
So zelebriert die Laokoon Dance Group, die das durchgestrichene Dance in ihrem Namen mitführt, sich als Warnung an das Publikum, damit sich dieses keine getanzten Vergnügungen erhofft, im ersten Akt ihrer „Jeanne d'Arc 1989“ die Demontage der heroischen Legende. König Charles, ein Trottel; seine Mätresse Agnes, eine geldgierige Schlange; der Ritter, ein perverser Todesengel und der Bischof, ein Heuchler: Jeanne, das nicht ganz gescheite Kind, taugt ihnen gerade zum Fußabtreter und Zankapfel. Wo Bühnentragik waltete, wird jetzt Kasperletheater gespielt. Doch kosten die Auf- und Abtretenden ihre Machtposition im Rampenlicht aus und gefallen sich in exaltierten Posen.
Aus der gesicherten Distanz der Erkenntnis, einer ironischen Persiflage beizuwohnen, die deutsches Bildungsgut in Kisten verpackt als Versatzstück über die Bühne schiebt, Sturz in den 2. Akt. Seht, da steht ein Mensch. Johanna von Hagenhills Monolog an der Rampe, rührende Unbeholfenheit, ausgesetzt in dem dunklen Bühnenraum. Da breitet sich vor uns eben noch kalt Lächelnden das schlichte Gemüt eines Naturkindes aus, das ganz zornig wird, wenn die Panzer bei den alljährlichen Manövern durch sein Feld fahren. Johanna hört es flüstern. Ihr Pazifismus und Märtyrertum bringt sie ins Irrenhaus. Die armselige Kreatur wird uns nahegebracht als letzte Heldin unserer Zeit. Zuckt da nicht das Herz?
In der dritten Laokoon-Version der Geschichte führt Joe, die Bühnenarbeiterin, den Kampf gegen die feinen Herrschaften, die immer König spielen wollen: mit viel Gebrüll und einem klapprigen Heer von Stativen, deren vorhersehbare Verschiebung von einer auf die andere Bühnenseite entnervend lang immer wieder verzögert wird. Da ward Johanna wiederentdeckt im trotzigen Narzißmus einer Generation, die „Attacke“ schreit und sich selbst nur in der aggressiven Reibung findet.
Seit zehn Jahren operiert die Laokoon Dance Group vom bayerischen Riedenburg aus an der Dekontruktion der Heiligtümer und edlen Gefühle. Noch immer gilt ihr Motto, entgegen den Intentionen von Lessings Laokoon nicht die Schönheit des leidenden Menschen, sondern seine Verzerrung und Banalität auf die Bühne zu bringen. Rosamund Gilmore schreibt die Texte und entwickelt die Choreographien, Franz Hummel, früher bekannt als Wunderkind am Piano, komponiert. „Jeanne d'Arc 1989“ wurde von der Stadt Ingolstadt produziert, ihr Stück „Einmarsch“ entstand im Auftrag der Wiener Festwochen. Heute abend werden sie ihre „H-Moll -Messe“ aufführen, Konfrontation banaler Bilder mit feierlichen Klängen.
Katrin Bettina Müller
Laokoon Dance Group, „H-Moll-Messe“, 21.8. um 20.30 Uhr im Hebbeltheater
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