: Marshallplan für Bananen in der DDR
■ Öffnung des Osten wird den Westen unzählige Milliarden kosten
Marshallplan - der Begriff ist noch in jedem Lehrbuch des realen Sozialismus in Zusammenhang gestellt mit kaltem Krieg, rollback und Ausdehnung des Nato-Paktes bis an die deutsch-deutsche Grenze. Es zeugt schon von bemerkenswerter Naivität oder gewollter Provokation vor allem gegenüber der DDR-Obrigkeit, wenn mit dem Begriff jetzt Goodwill demonstriert werden soll.
Und trotzdem: Bezahlt wird doch. Ob die Dimensionen des Marshallplans ausreichen werden, ist dabei noch unsicher. Die mittelfristige Finanzplanung jedweder Bundesregierung darf schon jetzt langsam anfangen, mehrstellige Milliardenbeträge bereitzustellen, mit der sie sich den Luxus erlauben wird, die Existenz der DDR zu sichern, auch wenn sie den Staat in letzter Konsequenz noch nicht einmal anerkannt hat.
Gehen wir von dem ja nicht unbedingt abwegigen Szenario aus, daß sich auch die DDR als letzte Bastion des schönen guten RGW-Tauschhandels letztlich nicht dem Prozeß zur Weltmarktorientierung verschließen kann. Es gibt bislang kein Beispiel dafür, daß eine solche Öffnung einer zuvor abgedichteten Volkswirtschaft nicht zumindest vorübergehend auf folgende Dinge hinausläuft. 1.: Gewaltige Preisexplosionen bei den zuvor subventionierten Waren - in dem Fall vor allem bei Lebensmitteln, aber auch anderen Dinge. 2.: Ausbleibende Explosion bei den Löhnen, wenn nicht gar stattfindende Implosion - mangels Produktivität. 3.: Im Ergebnis gewaltige Reallohneinbußen, wie auch Schließung einzelner Betriebe, ebenfalls mangels Produktivität. Aus versteckter Arbeitslosigkeit wird offensichtliche.
Nun wären Mängel in der materiellen Versorgung der DDR -Bevölkerung und deren geduldiges Lamento darüber nichts neues. Schalten wir aber ein anderes Szenario parallel, daß sich nämlich die DDR auch nicht als letzte Bastion der Null -Freizügigkeit halten kann, dann wird daraus eine neue Qualität. Das mangelnde soziale Umfeld im Westen, das bislang noch viele vom persönlichen großen Sprung abhält, wird im Zuge weiterer Reiseerleichterungen zwangsläufig an Bedeutung verlieren. Und wenn der Sozialismus in der DDR jemals eine Legitimation besaß, die zum Bleiben veranlaßte, so wird die durch das Eingangs-Szenario nicht unbedingt bestärkt. Die kulturelle Dimension, der nationale Bezug, die die Bürger freizügigerer Staaten Osteuropas zum Bleiben veranlassen, entfällt im Falle DDR. Dafür stand die Mauer längst nicht lange genug.
Das finale Szenario dann also - Erich macht als letzter das Licht aus? Das will nicht nur Erich nicht. Ein entsprechender Andrang würde hier im Lande des Arbeits- und Wohnungsmangels schnell zum Wahlkampfthema werden, auch wenn heute noch alle Welt - inzwischen schon etwas leiser schreit: „Reißt die Mauer ein.“ Am allertraurigsten wäre indes die bundesdeutsche Exportindustrie, wenn „drüben“ außer Erich niemand mehr zu beglücken wäre. Schließlich freuen sich die Banken jetzt schon darauf, den Aufbau des Kapitalismus mit den tüchtigen Deutschen drüben zu finanzieren.
Wie aber sollen die dort gehalten werden, wo sie sind? Da helfen die sicher schon parat gelegten Milliardenkredite für Produktion und Produktivität nur wenig, sie werden sich erst nach Jahren auswirken, und auch nur dann, wenn jemand drüben bleibt. Viel mehr werden dann wieder die Päckchen gefragt sein, nur daß Bonn keine Bananen oder Kaffee schicken muß. Die liegen dann in den Regalen zu hübschen Preisen aus. Geld muß in den Päckchen stecken, damit sich die Massen die Bananen kaufen können. Und das wird mehr ausmachen als die Investitionsmilliarden.
Ein zu simples Szenario? Wetten werden noch angenommen. Aber nicht mehr lange. Über mangelnde Rasanz der Entwicklung in den letzten Jahren und Tagen kann sich schließlich keiner beklagen.
Ulli Kulke
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen