: „ F I X G U T L E B E N ? “
■ Von Uwe Lehmann-Brauns, CDU-Abgeordneter und
kulturpolitischer Sprecher
taz-Autor Sallmann (taz v. 17.8.89) ist durch die wochenlange Berichterstattung über die Fluchtbewegung aus der DDR genervt. Er hat nichts übrig für Leute, die hier „fix gut leben“, vom Eifelturm spucken und nicht mehr länger Trabant fahren wollen.
Die AL is dabei, ihm die politische Lösung vorzubereiten. Die Leute aus der DDR und Berlin (Ost) sollen (taz vom 19.8.89) nicht mehr als deutsche Inländer, sondern als außereuropäische Ausländer behandelt werden. Damit könnte der Machtapparat drüben zu mehr demokratischen Reformen ermutigt werden. Zweck der aktuellen AL-Nachdenklichkeit: die Verankerung der Zweistaatlichkeit.
Nun wissen auch die Staatsmänner, -frauen im GA der AL, daß die Anerkennung einer DDR-Staatsbürgerschaft für DDR-Leute keine Freizügigkeit bringt - sonst dürften sie beliebig nah Polen, Österreich oder Frankreich fahren. Die direkte Wahrheit ist vielmehr, daß die AL dabei ist, einen brutalen Separatismus zum Parteiprogramm zu machen. Konsequenz zum Beispiel: Wer in Schwaben wohnt, darf nach Kreuzberg oder Wilmersdorf umziehen, wer aus Dresden oder Pankow kommt, nicht. Ein hübsches Geburtstagsgeschenk für die Leute in der DDR zum 40.Jahrestag (Recht haste. Für einen generellen Zuzugsstop nach West-Berlin, ob Wessis oder Ossis! Ernstgemeinte Bemerkung vom sezza)!
50.000 von ihnen durften im ersten Halbjahr raus, wie viele es noch wollen, ist Gegenstand beängstigender Spekulationen. Die Mauer hat dem Regime nichts gebracht und den Leuten keine demokratischen Verhältnisse. Die wollen weg, trotz beruflicher Sicherheit, Verwandschaft, Freundschaft, Heimat. Auch die, die an den Sozialismus glaubten, fühlen sich verraten und verkauft. Allgemein ist, gefördert durch staatsamtliche Erklärungen („Die Mauer bleibt“), das Vertrauen in eine individuell gestaltbare Zukunft endgültig verloren gegangen.
Die offenbar unabänderliche Vormundschaft, die staatliche Leistungsunfähigkeit, Schmutz in der Luft, Lärm und Verfall, demütigendes Schlangestehen - so lautet ein Teil täglicher Realität. Zugegeben: Die elementarsten Bauchbedürfnisse werden gedeckt. Von Alkohol kann reichlich Gebrauch gemacht werden; aber Konsum jenseits dessen ist teuer (Delikatläden) oder devisenabhängig (Intershops, auch sonntags geöffnet!), das heißt nur einer Minderheit zugänglich. Pech für Kinder, Rentner, Kranke, Arbeiter ohne Westverwandschaft, Nichtbonzen. Der Apparat ist nicht einmal in der Lage, das Bedürfnis nach Restmobilität - die DDR ist kaum größer als Bayern - herzustellen. Tatsächlich muß man 15Jahre auf den berühmten „Trabi“ warten. Unaufhaltsam schwindet die Substanz der alten Städte, 1988 mußten 72.000 Altbauwohnungen (!) abgebrochen werden. Bereits 1970 überschritt die Kohlenmonoxydkonzentration in Leipzig und Berlin (Ost) das Zehnfache des zulässigen Kurzzeitwertes. In den Tälern qualmen die verrußten Schlote, die Sterblichkeit in den DDR-Industriegebieten ist zehn Jahre vorverlegt.
Das sind keine Neuigkeiten. Sie charakterisieren auch nicht die ganze Wirklichkeit der DDR. Bei Gewährleistung von Mobilität, wie sie dem Westbesucher inzwischen zugestanden wird, ist der Aufenthalt drüben allemal ein Gewinn. Aber darum geht es nicht. Angesichts des nicht abreißenden Zustroms ist es erforderlich, Verhetzungen durch Legendenbildung zu verhindern. Denn es ist nicht ein Plus an Wohlstand, das die Leute hierher treibt, sondern eine erstickende und entnervende, unabsehbare Vormundschaft (Woher weißt du's so genau, daß es hier als Fakt auftauchen kann? sezza).
Demgegenüber ist es für biorhytmische, naturkostverpflegte, im Weststaat lebende ALer, die sich jetzt sogar ein Stück Pensionsberechtigung verdient haben, einfach, zu Lasten der Schwachen einen demütigenden Separatismus aufzukochen. Sie haben die Lektion vom unabbänderlichen Status quo in der Breschnew-Zeit verinnerlicht. Niemand gibt gern preis, was er als Kind erfahren hat. Dabei nimmt die AL in Kauf, den Splitterparteien DKP-SEW das letzte Profil abzunehmen. Der neue Separatismus der AL bestätigt eine Beobachtung: die Entwicklung der Partei zum fundamental-opportunistischen Kollektiv.
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