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Mit Plastikausweisen gegen die Intifada

Tauziehen am Gaza-Streifen: Maschinenlesbare Ausweise sollen Palästinenser gefügig machen / Kollaborateur wegen Kennkarte ermordet / US-Palästinenser mit US-Staatsbürgerschaft im Westjordanland gefoltert und ermordet / USA fordert Aufklärung der Todesumstände  ■  Von Amos Wollin

Tel Aviv (taz) - In der Stadt Rafah im israelisch besetzten Gaza-Streifen haben Palästinenser am Samstag abend einen 36jährigen Landsmann mit Axthieben und Messerstichen ermordet. Das Opfer habe sich geweigert, seine neue computerlesbare Kennkarte herauszurücken, hieß es in arabischen Berichten.

Seit Freitag gilt das neue Gesetz der Besatzungsbehörde, nach dem alle Palästinenser, die jünger als 60 Jahre alt sind und in Israel arbeiten, bei der Zufahrt von Gaza nach Israel einen maschinenlesbaren Plastikausweis vorzeigen müssen. Palästinensern, die als „Sicherheitsrisiko“ gelten, wurde der Ausweis gleich verweigert. Die israelischen Arbeitgeber wurden angewiesen, keine Arbeiter aus Gaza ohne den neuen Ausweis einzustellen. „Illegalen Arbeitern“ drohen Haftstrafen. Das neue Kontrollsystem dient nach Aussage der israelischen Behörden der kollektiven Sicherheit und sei ein Kampfmittel gegen die Intifada.

Die nationale Intifadaführung hat die Bevölkerung aufgefordert, die Kontrollkarten abzugeben und das neue „System der Ausfahrt und Arbeitserlaubnis“ zu boykottieren. Tausende der Kennkarten hat die Bevölkerung Gazas bereits vernichtet. Lediglich Kraftfahrzeuge, die lebenswichtige Produkte transportieren, dürfen mit dem neuen Ausweis den Gaza-Streifen verlassen. Ob das neue Kontrollsystem der Besatzer als Kampfmittel gegen den Palästinenseraufstand erfolgreich sein wird oder der Widerstand der Intifada die neue Repressionsmethode zunichte macht, ist noch nicht abzusehen. Nach Aussage der Militärbehörde haben heute früh statt der sonst üblichen 4.000 Fahrzeuge nur ca. 250 den Gaza-Streifen verlassen.

Durchschnittlich 60.000 Männer und Kinder überqueren täglich die Grenze und verdienen den Lebensunterhalt ihrer Familien als Tagelöhner in der israelischen Bauindustrie, der Landwirtschaft, als Fabrikarbeiter oder bei der Müllabfuhr. Ihre Löhne liegen weit unter dem Niveau der Israel-Arbeiter. Ein guter Teil des schwerverdienten Geldes geht obendrein noch für die Fahrt zum Arbeitsplatz und zurück zu den „Schlaflagern“ des Gaza-Streifens drauf. Ein Intifada-Flugblatt rief die Arbeiter des Westufers letzte Woche zur Solidarität mit den streikenden Kollegen im Gaza auf. Sie dürften die Arbeitsplätze der Gaza-Arbeiter in Israel nicht übernehmen. Ein Vertreter der Arbeiter erklärte: „Mit den neuen Repressalien versuchen Israelis, die Bevölkerung zu kontrollieren und gefügig zu machen. Nur Leute, die parieren, sollen arbeiten und damit überleben dürfen.“

Todesumstände eines US-Palästinensers unklar

Die Todesumstände des 14jährigen Palästinensers amerikanischer Abstammung, Amdschad Hussein Dschibrill, sind immer noch ungeklärt. Fest steht nur, daß er am Mittwoch in El Bireh im Westjordanland an einer Demonstration teilnahm und daß israelische Soldaten auf davonlaufende junge Palästinenser schossen. Zwei Tage später fand ein Schäfer die Leiche des Jungen. Der Arzt Walid Tawil, der Dschibrill mit Hilfe seines amerikanischen Passes und seiner Armbanduhr identifizierte, stellte fest, daß er von einer Kugel aus nächster Nähe direkt ins Herz getroffen wurde. Die Leiche sei von „entsetzlichen Folterungen“ entstellt gewesen: zerbrochene Zähne, Schädelbruch, Verbrennungen von Zigaretten am ganzen Körper, und das linke Auge war ausgestochen. Fotos des Toten wurden vor der Beerdigung am Samstag aufgenommen und in den Zeitungen veröffentlicht.

Die amerikanische Regierung hat von Israel die „vollständige Aufklärung der Todesumstände“ des Jungen verlangt, erklärte am Wochenende der Presseattache des amerikanischen Konsulats in Jerusalem, Gilbert Sherman. Nach Angaben Shermans hatte die Mutter des Jungen am Donnerstag dort das Verschwinden ihres Sohnes bekanntgegeben und erklärt, er sei von israelischen Sicherheitskräften gefangengenommen worden. Die israelische Armee ließ die Leiche am Samstag abend exhumieren, um eine Autopsie vornehmen zu lassen.

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