: Ein Höllenhund wider besseres Wissen
Heiner Geißler: Parteimanager zwischen Oggersheimer und visionärem Weg ■ P O R T R A I T
Willy Brandt, des fortschrittlichen Spießers liebste Projektionsfigur, nannte ihn einmal den größten Hetzer seit den Zeiten von Joseph Goebbels, und der Jubel auf der linken Seite war beträchtlich. Von links her hat man sich viel Mühe gegeben, Heiner Geißler systematisch mißzuverstehen, genauer: nur seine eine - die parteiliche - Seite, nur den jesuitischen Kettenhund Geißler wahrzunehmen. Zuletzt war er ein wenig besser gelitten, aber wohl nur, weil er als Kronzeuge gegen eine vermutete Mehrheitsmentalität der CDU ins Feld geführt werden konnte.
Heiner Geißler, das ist erst einmal der seltene Fall eines intelligenten Parteimanagers, der - obwohl er in der festen Burg der Parteizentrale sitzt - die Gesellschaft nicht aus den Augen verliert. Die SPD hat dergleichen nicht zu bieten
-Geißlers ehemaliges sozialdemokratisches Pendant Peter Glotz hat es nie verstanden, perspektivische Innovation und effektives Management der Partei zusammenzubringen. Genau das aber war lange Zeit das Erfolgsrezept Heiner Geißlers. Peter Glotz gab eine unglückliche Figur ab, weil er zwischen introvertiertem Grübeln und hurraparteilichem Zweckoptimismus hin- und hergerissen und zerrieben wurde; Heiner Geißler war als Generalsekretär dagegen stark, weil er - in ziviler und christlicher Tradition - die Partei nie als Weltanschauungsverein mit heimlichem Hang zur Intimität begriff und weil er gegenüber dem proletarisch -kleinbürgerlichen Treiben der Oggersheimer Kumpane im Kanzleramt auf fast aristokratischer Distanz blieb.
Vielleicht ist es diese Ruhe, die die Koexistenz zweier Gestalten in der Person Heiner Geißler ermöglicht: des umsichtigen Sozialpolitikers und Modernisierers und des reflexhaft zubeißenden Propagandisten, des dreckschleudernden Höllenhundes. Viele waren erstaunt, daß ausgerechnet ein CDU-Politiker die Formel von der „multikulturellen Gesellschaft“ in Umlauf brachte. Doch das hat durchaus Methode und Tradition. In den siebziger Jahren waren es Heiner Geißler und seine Leute, die mit der „Neuen Sozialen Frage“ eines der wichtigsten und perspektivreichsten Themen der absehbaren Zukunft benannten. Sie taten das zwar - da führte der Höllenhund die Feder - in Absicht auf einen Regierungswechsel auf Biegen und Brechen. Aber sie hatten zugleich einen zentralen Schwachpunkt des politischen Systems (dessen Sozialdemokratisierung ja längst auch die CDU erreicht hatte) bezeichnet: die Tatsache, daß nichtorganisierte Interessen - Interessen also, die nicht mit großen Bataillonen aufwarten können, keine Chance haben und daß die Ausrichtung der Politik auf das Gleichgewicht großer Machtblöcke die demokratische Substanz untergräbt. So seltsam es angesichts des Eiferers Geißler klingen mag: Heiner Geißler gehört zu denen, die früh schon für eine neue Reflexivität der Politik eintraten. Daß er dies als „General“ tat: darin liegt der ganze Widerspruch (aber auch die Faszination) seiner politischen Existenz. Wenn Geißler von der „sozialen Mitte“ spricht, spürt man, daß er einer Vision auf der Spur ist, daß er im Schwanken ehemals festgefügter gesellschaftlicher Strukturen und Zuordnungsmuster eher eine Chance als eine Gefahr sieht, daß er eine flexiblere gesellschaftliche Gestalt im Auge hat. Das aber paßt überhaupt nicht zu der törichten, am Status quo und am politischen Beton orientierten Lagertheorie, die er - aus kaum nachvollziehbaren Gründen - als Generalsekretär vertreten hat. Als Stratege war er mit dem Wechselwähler auf du und du - es ist daher nicht ohne häßliche Ironie, daß es eben dieser Wechselwähler (im Gewande der Republikaner) war, der ihm die rote Karte zeigte.
Sein Sturz entstellt die CDU wieder zu der Partei, die sie nicht mehr sein sollte; er entbehrt aber nicht der Konsequenz. Denn es war zu kühn, was der Drahtseilkünstler Geißler der Partei empfehlen wollte. Die Modernisierung der CDU erfolgte bekanntlich von oben, aus dem Adenauer-Haus, und als Projekt hat sie die Basis der Partei nie richtig erreicht. Doch es liegt wohl nicht daran, daß Geißler (der trotz seiner Position! - in der Partei ja großen Rückhalt genießt) nun derart rüde aus dem Amt gejagt wurde. Die moderne Partei, die Geißler anstrebt, hätte mit der alten CDU nicht viel mehr als den Namen gemein, Geißlers Projekt lief letztlich auf die Revolutionierung einer ehemals konservativen Partei hinaus. Wenn Helmut Kohl jetzt dazu neigt, die CDU in einen Kanzlerwahlverein zurückzuverwandeln, liegt er insofern richtig, als das das einzig plausible Konzept zum Machterhalt, wenn auch mit Hängen und Würgen und mit absteigender Tendenz, sein könnte. Es macht Sinn, daß sich die Wege von Kohl und Geißler trennen. Der eine, der ohne die Insignien der Macht nicht mehr viel ist, mag instinktiv begriffen haben, daß der andere der Partei listig und sportlich einen steinigen Weg verordnen wollte - letztlich den Weg in die Opposition, in die programmatische Schärfung, den nun endlich auch für die CDU unausweichlichen Weg in die mit Anstand geschrumpfte Volkspartei. Geißler hat bis zuletzt (und vermutlich wider besseres Wissen) so getan, als gingen der Oggersheimer und der visionäre Weg zusammen. Es ist Kohl zu danken, daß er dieser Fiktion den Boden entzogen hat.
Wenn es richtig gut kommt, wird schon in nächster Zukunft auch die CDU zu einer Partei, in der die oppositionelle Rede nicht mehr nur im Flüsterton möglich ist. Der demokratische Diskurs als eine offene Veranstaltung ist dabei, die CDU einzuholen. Heiner Geißler sollte zum Kristallisationspunkt und Organisator einer oppositionellen Strömung in der Christdemokratie werden. Das mag seinen Verein (wenn auch vermutlich erst nach 1990) aus den Bonner Regierungsämtern vertreiben. Aber es wäre ein unschätzbarer Beitrag dazu, die Politik einigermaßen auf die Höhe der Probleme der Zeit zu bringen. Denn Lafontaine und/oder Vogel gegen Kohl et al.: das wäre zu einfach, das würde eine immer noch in ungute Traditionen eingeklemmte SPD illegitimerweise ins Recht setzen, das würde uns alte und unbrauchbare Schauspiele bescheren. Und es müßte den Jesuiten, den Überzeugungstäter und den Moralisten Heiner Geißler doch reizen, mit zeitgemäßen Argumenten gegen den Hang linker Parteien zur Selbstgerechtigkeit, zur Blauäugigkeit und zum Messen mit zweierlei Maß zu Felde zu ziehen. Die Bundesrepublik ist eine vergleichsweise zivile Gesellschaft geworden. Als solche hat sie ein Recht auf eine ebenso zivile christdemokratische Partei.
Thomas Schmid,
ökolibertärer Vordenker der Grünen
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