Schlagstöcke, Festnahmen und ein Fisch in der Moldau

Die friedlichen Demonstranten eines „Schweigemarschs“ in Prag zum 21.Jahrestag der Invasion wurden von der Polizei gejagt, geschlagen und festgenommen / Auch die „Bewegung für eine fröhlichere Gegenwart“ mißfällt den Autoritäten  ■  Aus Prag Katharina Wolf

Prag am Abend des 21.Jahrestags der Invasion aus den „Bruderländern“ gegen den Prager Frühling 1968: prügelnde Polizisten, fliehende Menschen, 2.000 Personen singen die Nationalhymne. Die Staatsmacht greift zu: noch am Abend sind 236 Bürger des Landes und 56 Ungarn, Polen und Italiener verhaftet. Bis zum nächsten morgen sollen es noch mehr werden. Was trieb die Sachwalter der Invasion von damals zu diesem Vorgehen gegen die Opposition innerhalb eines rapide sich wandelnden Staatensystems in Osteuropa?

Für 17 Uhr hatten die „Charta 77“ und andere unabhängige Initiativen einen Schweigemarsch zur Erinnerung an die Besetzung ihres Landes angekündigt. Durch eben diese Form des Protestes sollte ein gewaltsames Eingreifen der Polizei, wie etwa bei den Demonstrationen zum Todestag Jan Palachs im Januar, vermieden werden. Wiederholt hatte die KSC in den letzten Wochen die demokratische Opposition beschuldigt, an diesem 21.August eine Konfrontation zwischen Staat und Bevölkerung herbeiführen zu wollen. Durch die Pressekampagne gegen das Manifest der „Tausend Worte“ sowie das massive Polizeiaufgebot bereits am Wochenende war es jedoch die Partei, die nicht nur die Spannung, sondern auch die Angst in der Stadt wachsen ließ.

Bereits gegen 16.30Uhr bleiben am unteren Ende des Wenzelsplatzes immer mehr Menschen stehen. Die Versuche der Polizisten, sie zum Weitergehen zu bewegen, sind erfolglos. Als ungarischen Demonstranten das einzige an diesem Tag zu sehende Transparent entrissen wird, ertönen erste „Svoboda, Svoboda„-Rufe. Die inzwischen rund tausendköpfige Menge läßt Vaclav Havel hochleben, bekundet ihre Sympathie für die derzeitige Entwicklung in Polen. Als jedoch eine kleine Gruppe versucht an Stanislav Devaty, einen in letzter Zeit mehrmals inhaftierten Bürgerrechtler zu erinnern, zögern viele, den ihnen unbekannten Namen zu skandieren.

Danach geht auf einmal alles sehr schnell. Durch die Lautsprecher, aus denen an Staatsfeiertagen festliche Musik erklingt, kommt die Aufforderung Ruhe und Ordnung zu wahren, auseinanderzugehen. Von drei Seiten wird der Wenzelsplatz durch Gitterzäune und herbeifahrende Busse abgeriegelt. Aus ihnen springen mit langen Schlagstöcken und Schutzhelmen ausgerüstete Polizisten. Als sie zu zweit und zu dritt auf die friedlichen Demonstranten einschlagen, fliehen diese in Hauseingänge und Seitenstraßen.

Noch jedoch ist die Protestkundgebung nicht aufgelöst. Rund 400 ziehen über den Altstädter Ring zur Moldau, über 2.000 singen die Hymne des Landes. Nach einem erneuten Schlagstockeinsatz werden an diesem Abend - nach Meldungen von Radio Prag - 236 Tschechen und Slowaken, 56 Ungarn, Polen und Italiener verhaftet. Von Geheimpolizisten in der Menge erkannt und festgenommen wird auch Sascha Vondra, einer der drei Sprecher der „Charta77“. Andere prominente Oppositionelle waren zuvor in „Schutzhaft“ genommen oder mit einem Aufenthaltsverbot für die Stadt belegt worden. Bis in die späten Abendstunden riegeln Angehörige der Volksmiliz den Wenzelsplatz ab. An den Metrostationen Mustek und Muzeum halten keine Züge.

Bereits seit Sonntag vormittag war der Wenzelsplatz der wohl am besten bewachte Einkaufsboulevard der Welt. Im Abstand von 50 Metern standen Polizisten in Zweier- und Vierergrüppchen, im Schatten der Bäume und Markisen lungerten unschwer zu erkennende Spitzel der Geheimpolizei. Touristen und Journalisten aus der ganzen Welt verfolgten gespannt die sich unbeteiligt gebenden PragerInnen. Nur ab und zu, wenn wieder einmal einer der Passanten einem der meist jugendlichen Polizisten seinen Ausweis zeigen mußte, wurden protestierende Stimmen laut. Als eine englische Korrespondentin und ihr Team zur Kontrolle zu einem der wartenden Polizeibusse geführt wird, kommt es zu Rempeleien. Passanten werden beiseite gedrängt, ein Kameramann bei den Dreharbeiten behindert.

Ein anderes Bild bot sich den Passanten und Touristen von der Karlsbrücke. Mitglieder der noch jungen „Bewegung für eine fröhlichere Gegenwart“ ließen von einer Moldauinsel einen aufgeblasenen Gummifisch ins Wasser. Aufgeregte Ordnungshüter machten von einem Floß aus Jagd auf den Fisch. Schon er war offenbar zuviel der Provokation, zuviel jedenfalls an einem Gedenktag wie diesem.