Militär mit Mummenschanz gegen die Intifada

Als Touristen verkleidete Soldaten erschießen Palästinenser / Generalstreik in den besetzten Gebieten / Chefredakteur von 'El Fadjr‘ verhaftet  ■  Von Amos Wollin

Tel Aviv (taz) - Den israelischen Sicherheitskräften sind alle Tricks, die dazu „beitragen die Gewalttätigkeiten in den besetzten Gebieten“ einzudämmen, recht, erklärte ein Sprecher des israelischen Militärs. Auch Maskerade sei ein legitimes Mittel.

Augenzeugen berichteten am Freitag vom neuesten Schauspiel, das die Soldaten in Bethlehem inszenierten. Die Militärs hatten sich Fotoapparate und Rucksäcke umgehängt, unterhielten sich auf Englisch und blätterten eifrig in ihren Reiseführern. Um so erstaunter waren die Anwesenden, als die „Touristen“ am Rathausplatz, ganz in der Nähe der angeblichen Geburtsgrotte Jesus, plötzlich wild um sich ballerten und einen Palästinenser niederschossen. Elf Palästinenser, angebliche Steinewerfer, die sich auf der Flucht befanden, wurden verletzt.

Kurz danach bestätigte der Militärsprecher, daß die schießwütigen „Urlauber“ der Armee angehören. Die Fantasie der Truppenverbände, die sich immer neue Verkleidungen ausdenkt, ist bekannt.

In der Vergangenheit pflegten sich die Soldaten bei ihren Auftritten in den besetzten Gebieten als Presseteams zu tarnen, um so unerkannt zuschlagen zu können. Auch Verhaftungen gingen so dezenter vonstatten. Tradition hat mittlerweile auch die Verwandlung der Geheimdienstler und Militärs in ärztliches Hilfspersonal. Ein anderes Mal tauchten israelischen Soldaten als Araber verkleidet in Flüchtlingslagern auf. Ebenfalls erprobte „Kunstgriffe“ der Besatzer sind gefälschte Flugblätter oder Aufrufe in arabischer Sprache. In der Anfangszeit der Intifada war es durchaus üblich, daß die als israelische Siedler maskierten Truppen blutige Zusammenstöße mit demonstrierenden Palästineser provozierten.

Auf Dauer führte diese Taktik zu Protesten bei den israelischen Siedlern und die Besatzungsmacht mußte sich neue Tricks ausdenken. Überfälle mit „ausgeborgten“ Fahrzeugen mit arabischen Nummernschildern häuften sich. Eine Zeitlang dienten dem Militär als Camouflage die weithin sichtbaren Erkennungszeichen der In- und Auslandspresse. Aber auch die Vertreter der Medien wehrten sich, denn im allgemeinen blieben Autos mit Presseschildern von Steinen der Molotowcocktails der Palästinenser verschont. Um sich selbst zu schützen und der verhaßten Presse eins auszuwischen, übernahmen die Siedler die Taktik mit den Presseschildern, was zu einer weiteren Beschränkung der Arbeitsmöglichkeiten der Fernsehteams und Korrespondenten führte.

Das neue „Touristenspiel“ der Militärs schadet dem durch die Intifada sowieso schon angeschlagenen Tourismus. Der Bürgermeister von Bethlehem, Elias Freij, übrigens auch Besitzer der wichtigsten Touristenetablisements in der Pilgerstadt, verurteilte auch prompt die Verkleidungsaktion der Militärs: Man könne jetzt nur noch schwer ausmachen, ob jemand tatsächlich ein fremder Tourist oder eingetarnter Besatzer sei. Freij ist einer der wenigen Bürgermeister im besetzten Westufer, den die Israelbehörden nicht abgesetzt haben und war immer stolz auf seine guten Beziehungen zur Regierung und den Militärgouverneuren. In einer Erklärung forderte er „eine gründliche Erklärung“ von Verteidigungsminister Rabin, „und zwar sofort!“

Redaktionsleiter von

'El Fadjr‘ in Administrativhaft

Am Montag wurde der Redaktionsleiter der in Ost-Jerusalem erscheinenden palästinensischen Tageszeitung 'El Fadjr‘ auf Befehl des israelischen Verteidigungsministers Jizchak Rabin festgenommen. Nach Aussagen eines Mitarbeiters des Blattes wurde Hatem Abdel Kader von Sicherheitsbeamten für sechs Monate in Administrativhaft genommen. Sieben Mitarbeiter der Tageszeitung säßen bereits hinter Gitter. Bereits in der vergangenen Woche hatte die israelische Polizei fünf Hausdurchsuchungen in den Büros der Zeitung vorgenommen.

Generalstreik legte

besetzte Gebiete lahm

Der Auslöser für den am Montag in den besetzten Gebieten organisierten Generalstreik der Palästinenser war der 20.Jahrestag des Brandanschlags auf die Al-Aksa-Moschee in Ost-Jerusalem.

Ebenfalls am Montag kam es zu weiteren blutigen Zusammenstößen zwischen israelischen Soldaten und Palästinensern in den besetzten Gebieten Westjordanland und Gazastreifen. Drei Palästinenser wurden dabei getötet und neunzehn weitere durch Schüsse verletzt. Auch gestern wurden im besetzten Westjordanland wieder drei Jugendliche erschossen. Damit erhöhte sich die Zahl der von den Israelis getöteten Palästinensern seit Beginn der Intifada im Dezember 1987 auf 532.