piwik no script img

Hinter dem Moralisten stand der Demagoge

■ Heiner Geißler, der Überzeugungstäter, ist gegenüber dem „linken Reformer“ beinahe in Vergessenheit geraten

“...Man muß es tun. Denn wie ein großer Philosoph einmal gesagt hat: Nicht die Taten bewegen die Menschen, sondern die Worte über die Taten. Derjenige, der die Ideen hat, und der auf die auch die richtigen Begriffe wählt, hat die Macht auch über das Denken der Menschen“ (Heiner Geißler).

Heiner Geißler muß gehen, und alle sind betroffen. Die Kommentatoren bedauern , haben Mitleid, fürchten sich vor einer Zukunft ohne diesen Generalsekretär. Antje Vollmer, Fraktionssprecherin der Grünen, bezeichnet Geißler kurz nach dessen Sturz zwar als einen der gefährlichen Gegner ihrer Partei, sie lobt aber auch seine „glaubwürdige Abgrenzung“ von den Republikanern. Ihrer Ansicht nach ist er es außerdem gewesen, der das Wort von der multikulturellen Gesellschaft auch für Konservative mit Sinn erfüllt hat.

Auch Anke Fuchs, Geschäftsführerin der Sozialdemokraten, erinnert vor allem daran, daß Geißler die verkrusteten Strukturen seiner Partei habe modernisieren wollen. Und auch sonst wird der bald ehemalige Generalsekretär öffentlich für die Worte und Taten gerühmt, mit denen er sich vom rechten Lager seiner Partei absetzte. Hinter dem „Moralisten“ verschwindet der Demagoge - der, den Willy Brandt vor einigen Jahren als „den seit Goebbels schlimmsten Hetzer in diesem Land“ bezeichnet hatte. Und auch die Furcht vor einem Rechtsruck, der dieser Absetzung des Generalsekretärs in Union und Regierung folgen könnte, schützt das im links -liberalen Bewußtsein kleinere Übel Geißler vor fast jeder tiefer gehenden Kritik - zu Unrecht.

Heiner Geißler hat zwar versucht, die Union in eine Partei mit christlich-sozialem Menschenbild umzuwandeln. Er begann damit Mitte der siebziger Jahre, indem er massiv die Rechte von Rentnern, alleinstehenden Frauen und Behinderten einklagte. 1984 setzte er gegen lautes Murren in den eigenen Reihen den Essener Frauenparteitag durch. Kampagnen für Menschenrechte in Chile, für Abrüstung, frühe Plädoyers für eine Öffnung gegenüber der Sowjetunion, die Einführung des Begriffs „multikulturelle Gesellschaft“, rigorose Kampfansagen an die Republikaner - das Bild vom „linken Reformer“ schob sich immer stärker vor das des skrupellosen Kämpfers. In Vergessenheit geriet der Überzeugungstäter Geißler, der mit perfiden Vereinfachungen Feindbilder produziert, um damit seine politischen Gegner in die Knie zu zwingen.

1977 etwa legte der Generalsekretär eine „Dokumentation“ vor, die SPD-Politiker wie Brandt, Vogel und Schmidt, Schriftsteller wie Böll und Grass, den damaligen Bundesverfassungsrichter Helmut Simon und den Theologen Helmut Gollwitzer in die Nähe von Terroristen rückte. Die infame Unterscheidung von „guten Deutschen“ und „bösen Deutschen“ blieb sein Grundmuster auch für andere politische Auseinandersetzungen. Anfang der achtziger Jahre waren vor allem die Sozialdemokraten die „bösen Deutschen“, nämlich „unanständig“, „unmoralisch“, „die fünfte Kolonne Moskaus“.

„Der Pazifismus der dreißiger Jahre, der dem heutigen sehr ähnlich ist, hat Auschwitz erst möglich gemacht.“ So brachte Geißler 1983 die Friedensbewegung mit dem Völkermord der Nationalsoziaisten in einen Zusammenhang - nur um der CDU in einer schwierigen Situation, der Nachrüstungsdebatte, zu helfen. „Radikale und SPD - Zukunft und Wohlstand ade“ dieser CDU-Slogan für den Europawahlkampf stammt von Heiner Geißler. Überhaupt hat derGeneralsekretär die ungeheuerliche Unionskampagne der letzten Monate (linksradikal rechtsradikal, Grüne Republikaner) entscheidend geprägt. Hemmungslos für die Sache der Partei kämpfen, die eine große, soziale Volkspartei werden sollte, ohne Scheu vor Skrupeln Kampagnen inszenieren - dafür, daß dies Geißlers Sache war, gibt es viele Belege. Die „multikulturelle Gesellschaft“, die strikte Abgrenzung gegenüber den Republikanern und andere nun so sehr gerühmte Worte gehörten eben dazu.

Ferdos Forudastan

Noch hält er alle Plätze besetzt.

Foto: Gebhard Krewitt/Antrazit

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen