Kohls letzte Wahl: Rühe

■ Stellvertretender Fraktionsvorsitzender soll CDU-Generalsekretär werden / Kohl versichert: Keine Richtungsänderung / In Landesverbänden gärt es / Biedenkopf stellt unverblümt Kohls Zukunft in Frage

Bonn (dpa) - Der CDU-Chef, Bundeskanzler Helmut Kohl, will den stellvertretenden Unionsfraktionsvorsitzenden Volker Rühe (46) zum neuen CDU-Generalsekretär und Nachfolger von Heiner Geißler machen. Dies kündigte Kohl gestern in Bonn an. Mehrfach versicherte Kohl im Gegensatz zu Befürchtungen des abgesägten Geißlers, es gebe für die CDU „keine Richtungsänderung“. Sie bleibe „Volkspartei der Mitte“.

Ob aber mit dem gleichen Kanzler, bezweifelt der ehemalige CDU-Generalsekretär Kurt Biedenkopf. Er stellte die Zukunft Helmut Kohls als CDU-Vorsitzender und Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl 1990 in Frage: „In den kommenden Wochen werden wir nicht über Generalsekretäre, sondern über den Parteivorsitzenden diskutieren“.

Biedenkopf forderte für den Bremer CDU-Bundesparteitag im September eine Debatte über die Trennung von Parteivorsitz und Kanzlerschaft. „Viele in der Partei halten es mit mir für notwendig, daß darüber diskutiert wird, wie den Interessen der Partei besser gedient werden kann: durch Ämterkombination oder Ämtertrennung“, sagte er. In Bremen müsse offen über Kohls negative Bilanz als Parteichef diskutiert werden. Für Juni 1990 verlangte Biedenkopf einen eigenen Parteitag, um den Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl im darauffolgenden Dezember zu bestimmen.

In den CDU-Landesverbänden gärt es. Mit Unverständnis, Bedauern, Überraschung oder einem „großen Schock“ haben die meisten Verbände auf Geißlers Sturz reagiert. Sie rechnen jetzt mit Diskussionen an der Basis, Unruhe, Richtungsstreit oder gar einer innerparteilichen Zerreißprobe. Nicht nur die Personalentscheidung selbst, sondern auch die Art des Vorgehens des Bundeskanzlers erregte Unmut. Nur wenige Landesverbände, darunter Kohls Heimatverband Rheinland -Pfalz, Hessen, Bremen und Hamburg stellten sich hinter die Entscheidung. Auf dem Bundesparteitag in Bremen sind heftige Diskussionen zu erwarten. Das Gremium wählt auf Vorschlag des Parteivorsitzenden den Generalsekretär.

Der Vorsitzende des mitgliederstärksten CDU-Landesverbandes NRW, Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, bedauerte die Entscheidung und zeigte eine „gewisse Überraschung“. Der geschäftsführende Landesvorstand forderte die sofortige Einberufung des Präsidiums sowie des Bundesvorstands.

Der Generalsekretär in Niedersachsen, Hartwig Fischer, kündigte an, die Parteibais werde „die Entscheidung des Parteivorsitzenden Helmut Kohl nicht diskussionslos hinnehmen“. Die Junge Union meinte, Kohl „muß schon mit dem Klammerbeutel gepudert sein“, wenn er nicht sehe, daß durch seinen Entschluß ein Richtungsstreit ausgelöst werde.

Für den CDU-Landesfraktionschef in Baden-Württemberg, Erwin Teufel, ist die Entscheidung „ganz und gar unverständlich“. In Schleswig-Holstein wertete der Generalsekretär Peter-Uwe Conrad die Trennung von Geißler als „großen intellektuellen Verlust“. Der CDU-Vize im Norden, Peter Kurt Würzbach, meinte, diese Entscheidung werde „kräftige Unruhe in die Partei bringen“. Der Landesvorsitzende im Saarland, Peter Jacoby, äußerte sich betroffen und sieht eine „innerparteiliche Zerreißprobe“ auf die Union zukommen. Berliner CDU-Chef Diepgen bedauerte die Kohl-Entscheidung. Tagesthema Seite 3

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