: Thomson kauft die Philips-Rüstungselektronik
■ Der größte Euro-Rüstungskonzern hält die Konkurrenz auf Abstand / Philips verkauft wegen schrumpfender Verteidigungsetats und hoher Entwicklunskosten
Berlin (taz/ap/dpa) - Die einen gehen auf deutliche Distanz zur Rüstungselektronik, die anderen kaufen zu, wo immer es geht: Der niederländische Philips-Konzern wird große Teile seiner wehrtechnischen Firmen an den französischen High-Tech -Giganten Thomson verkaufen. Nach der anstehenden Daimler/MBB-Fusion und bei einem Erfolg von Siemens, zusammen mit der britischen Firma General Electric den gleichfalls britischen Elektronik-Konzern Plessey zu schlucken, dürfte sich damit das Bild der westeuropäischen Rüstungsindustrie innerhalb der nächsten Monate grundlegend verändern.
Der Preis der Transaktion wurde noch nicht bekanntgegeben; die betreffenden Philips-Firmen sind für einen Umsatz von knapp 1,2 Milliarden Mark gut. Im einzelnen geht es um eine „große Mehrheitsbeteiligung“ von geschätzten 80 Prozent an der „Hollandse Signaalapparaten“ (HSA) einschließlich einer bundesdeutschen Firmentochter im westfälischen Gronau sowie den 49prozentigen Anteil von Philips an der französischen Firma „Telecommunications Radioelectriques et Telephoniques (TRT)“ - der Handel an der Pariser Börse mit den restlichen Aktien wurde schon in der letzten Woche ausgesetzt, als Gerüchte über den Verkauf und die mutmaßliche Aufstockung des Thomson-Pakets zur Mehrheitsbeteiligung zu kursieren begannen.
Außerdem steht eine Minderheitsbeteiligung an der belgischen Firma MBLE zur Disposition. Die Verschlüsselungselektronik der zu HSA gehörenden Philips USFA werde aus der Übernahme ausgeklammert. Der niederländische Staat, der ein Prozent an HSA hält und den Militärbereich in den vergangenen Jahren hoch subventionierte, soll Bedenken gegen den Verkauf an Frankreich haben.
Die Firma mit dem so harmlos klingenden „Signaalapparaten“ produziert Radar- und Feuerleitsysteme und ist laut Philips weltgrößter Exporteur und europäischer Marktführer für Marineführungssysteme. 1988 setzte das Unternehmen mit 5.300 Beschäftigten 900 Millionen Gulden (720Mio. DM) um. Anders als bei der USFA gab es bei der HSA-Übernahme keine Schwierigkeiten: Die Verteidigungsministerien in Paris und Den Haag haben diesen Deal bereits genehmigt. Frankreich und die Niederlande hatten 1984 ein Kooperationsabkommen zur Rüstung geschlossen, das auch die gegenseitige Verstärkung ihrer technischen und industriellen Grundlagen vorsieht.
TRT erzielte bei 2.000 Beschäftigten mit Opto- und Munitionselektronik sowie Fernmeldesystemen 400 Millionen Gulden (320Mio. DM) Umsatz. Der 38prozentige Rüstungsanteil des Unternehmens gilt als profitabel, während TRT als Ganzes für 1988 einen (niedrigen) Verlust meldete. Der MBLE-Umsatz liegt bei 200 Millionen Gulden, davon ein Viertel mit militärischer Telekommunikation und Radarcomputern für Flugzeuge.
Steigende Entwicklungs- und Fertigungskosten für Rüstungsgüter „und die unter Druck stehenden Verteidigungsbudgets“ machen nach Darstellung von Philips eine verstärkte internationale Zusammenarbeit notwendig. Im Klartext: Thomson ist viel stärker als Philips auf Märkte orientiert, die sich der internationalen Entspannungspolitik gegenüber als resistent erweisen: Fast ein Drittel der Produktion geht etwa in den Nahen Osten.
Analysten weisen darauf hin, daß Thomson durch die jüngsten Aufkäufe die aufschließende westeuropäische Rüstungskonkurrenz auf Abstand halten will. Allerdings ist der Staatskonzern ohnehin schon nach der „Hughes„-Sparte von General Motors (sechs Milliarden Dollar) mit rund 4,8 Milliarden Dollar der zweitgrößte Rüstungskonzern der Welt; auf den nächsten drei Rängen folgen die US-Konzerne Raytheon, General Electric und Lockheed. Aber für den Staatskonzern ist es, anders als etwa für Siemens, nur schwer möglich, feindliche Übernahmen zu starten - Thomson muß kaufen, wenn etwas am Markt angeboten wird, zumal das Konsortium zur Rettung von Plessey vor Siemens und der (britischen) General Electric, an dem sich Thomson beteiligt hatte, schnell auseinandergebrochen war. Das schließt allerdings nicht aus, Abstand von weniger profitablen Marktsegmenten zu nehmen: Erst im Februar brachte Thomson seinen großen Umsatz, aber wenig gewinnbringende Flugelektronik in ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem französischen Luft- und Raumfahrtkonzern Aerospatiale ein.
Innerhalb weniger Jahre wurde Thomson völlig umstrukturiert: Die Bereiche Telefon, medizinische Systeme und Halbleiter verschwanden völlig aus dem Angebot. 1988 lag der Anteil der Rüstungselektonik bei 42 Prozent des Umsatzes ('82: 20Prozent), der der Unterhaltungselektronik bei 44 Prozent ('82: 25Prozent). Insgesamt machte Thomson im letzten Jahr einen Umsatz von rund 23 Milliarden Mark.
Dietmar Bartz
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